Und Nummer 3...L'OgreA.k.a. Das Biest
"Once upon a time, in the hidden heart of Montaigne..."
...da lebte einst ein junger Comte in einem wunderschönen Waldschloss. Obgleich sein zurückgezogen lebender Vater ihn mit Zuneigung und Zeitvertreib förmlich überschüttete, ersehnte der Junge ferne Länder und Abenteuer. Den Vater, der von andauernder Krankheit gebeutelt war, grämte es, dass er seinem Sohn die weite Welt und ihre Wunder nicht zeigen konnte, doch wollte er ihn auch nicht gehen lassen, war er doch der einzige, der ihm von seiner Familie nach dem Krieg des Kreuzes geblieben war. Stattdessen erzählte der Alte ihm wundersame Geschichten und las ihm aus den vielen Büchern des großen Studierzimmers vor. Anfangs, vermochte dies den Hunger nach der Ferne noch zu zügeln, aber ach, je älter der Junge wurde, desto mehr empfand er das Zuhause als einen Käfig. Oft mischte sich seine
Gouvernante Mme. Claudette, eine fromme, zugeknöpfte Nonne des vaticinischen Glaubens, die den Vater rührend umsorgte. "Sieh, wie es deinem Vater geht", sagte sie, "wer weiß schon, wie lange wir ihn noch bei uns haben. Und da willst du ihn allein lassen, grausames Kind! Er hat niemanden als dich!"
Doch je schlechter es dem Vater mit den Jahren ging, umso mehr Hunger entwickelte der Junge nach der Welt. Immer wieder ließ er den Vater allein, unternahm Streifzüge. Das Schloss wurde dem jungen Comte zu eng, selbst mit seinen großen Gärten und hohen Zimmern. Die immer selben Gesichter der Dienerschaft und das leere Hofzeremoniell mochte er nicht mehr leiden. In Gedanken und Gebeten malte er sich Festmähler und schöne Gespielen aus, Duelle, Bälle und Abenteuer. Und des Nachts, in der alten Kapelle, direkt neben dem himmelsstrebenden Quittenbaum im Garten, kniete er und wenn er sich ungesehen wähnte, rief er Theus an, er möge den Alten zu sich rufen, auf dass er selbst endlich in den Genuss eines echten aristokratischen Lebens käme, das die wenigen Gäste, die ab und an im Schloss halt machten, ihm zeigten.
Theus erfüllte seinen Wunsch. Es war der Tag seines 16. Geburtstags. Der Vater hatte nachts in schweren Krämpfen darnieder gelegen und konnte sich daher nicht zum Kaffee im Freien unter dem Quittenbaum begeben – es war ein Ritual gewesen, das sie jedes Jahr, im Kreise weniger Gäste aus der umliegenden Gemarkung gepflegt hatten. Der junge Comte war zornig darob und die Gäste, welche überhaupt nur aus Höflichkeit zugegen waren und selbst die Stunden zählten, brachen hastig auf. Der magiekundige, entfernte Cousin des Comtes,
Héctor, der auch zu Gast war, erzählte von einem Ball in der nahen Stadt, und so fasste der Comte einen Entschluss. Er packte schnell das nötigste, darunter den Degen, den der Cousin ihm geschenkt hatte und stieg zu diesem in die Kutsche. Die Gouvernante überbrachte ihm noch die Nachricht, sein Vater wünsche ihn zu sehen, doch der Comte blieb hart und fuhr. Die Erinnerungen an diesen Abend verlieren sich im Dunkel des Weins, doch der Comte trank Wein, drosch Karten, küsste Debütantinnen und focht sogar ein Duell, bevor er müde und matt an der Seite Héctors bei Sonnenaufgang wieder zurück ins Schloss kam.
Die Vorhänge waren schwarz, ebenso wie die Gewänder der Dienstboten. Die Gouvernante sagte ihm, dass der Vater in der Nacht verstorben sei und er in den letzten Atemzügen noch immer nach dem Sohn gerufen habe. Da tobte der Comte, dass der Alte ihn nicht einmal auf dem Sterbebett in Ruhe lassen könne. Die Schatulle mit dem Geschenk des Vaters öffnete er nicht, sondern warf sie von sich.
Und zugleich schalt er sich selbst, dass er in diesen letzten Stunden nicht bei ihm gewesen war. Die Wut entlud sich in Gewalt, bei der Totenmesse am selben Abend. Dass Cousin Héctor beim Knien in der Kapelle kurz zögerte und die Hände als Letzter faltete, war ein Affront, den der junge Comte nicht dulden wollte. An Ort und Stelle zog er seinen neuen Degen und attackierte den Cousin. Der schleppte sich noch zum Quittenbaum und vergoss sein Porté-erfülltes Blut über dessen Wurzeln, als er den Todesstoß empfing. Die Gouvernante versuchte den Prinzen aufzuhalten und stürmte Héctor zu Hilfe, doch auch sie ereilte der Zorn des Comte. Die Dienerschaft stand nur stumm im Kreis und sprach kein Wort, unwillens einzugreifen, obgleich sie es wohl gekonnt hätte. Im Sterben liegend, fluchte Claudette, Theus möge sich eine gute Strafe ersinnen für den Comte, der den Fehler bei anderen suche, der sein eigenes gewesen sei. Er möge ihn lehren, was Einsamkeit ist, wie der Hausherr sie zeitlebens empfunden hätte. Solange der Quittenbaum Früchte trage, möge er sich daran erinnern und wenn er vertrockne, so möge der Comte das auch tun. Und sein Innerstes möge sich nach außen kehren. Erst, wenn er jemanden finde, der aus Liebe bei ihm bliebe, sollte er Frieden finden.
Ob durch Zauberkunst oder Gottesurteil: Claudette's Fluch griff. Am nächsten Morgen fand der Comte sich mutterseelenallein im Schloss wieder. Schlaftrunken schritt er die Treppe hinab und fand in der Empfangshalle die Schatulle mit dem Geschenk des Vaters. Darin lag ein Fernglas von kunstfertiger Hand, das etwas Magie in sich trug, aber ob der groben Behandlung leicht gesprungen war. Es konnte jeden Ort zeigen, den der Comte schon einmal bereist hatte. Das besagte zumindest der Brief, der beilag und in dem der Vater dem Sohn den Segen erteilte, in die Welt zu gehen und sein Glück zu finden. Der Comte stürmte nach draußen, doch das Schloss und die Gärten waren von dichtem, weißem Nebel umgeben und lagen unter einem grauen Wolkenschleier. Alles war karg und kalt, bis auf den Quittenbaum, der knallgelbe Früchte trug.
Erst dann erblickte der Comte sein Antlitz im Wasser des nahen Brunnens. Es war wie das eines wilden Tieres... Hauer wie von einem Wildschwein sprangen aus dem Mund hervor, die Haut übersät mit dichtem, schwarzen Pelz, die Glieder verwachsen, träge und grobschlächtig. Im Wunsch, diesen verfluchten Ort zu verlassen, schlug sich der Comte in den Nebel, doch der führte ihn immer wieder zurück zum Schloss. Daraus bestand nun seine Welt. Nur das Fernrohr konnte ihm die Stadt zeigen, doch fehlte stets ein Stück des Bildes, da, wo das Fernrohr gesprungen war. Die Diener des Hauses waren noch da, bestraft für ihre Untätigkeit bei der Mordtat sind sie aber mit dem Anwesen selbst verschmolzen. Ein jeder Raum des Schlosses ist lebendig und vermag zu sprechen, denn der Geist eines bestimmten Dieners ist in ihm gefangen. Die Kapelle meidet der Comte, denn darin wohnt noch der Geist Héctors. Die restlichen Diener hoffen, wieder zu Menschen zu werden, sobald der Fluch gebrochen sei.
Das ist die Geschichte des jungen Comtes
Fréderic Vaudemont de Glavène. Doch er wurde vergessen und das Land, was einst seiner Familie gehörte, weitergegeben an das
Adelshaus St-Michel de Glavène. Wie der Nebel um das Schloss legte sich auch ein Nebel auf die Gedanken der Menschen auf Stadt und Land.
L'Ogre, das menschenfressende Ungeheuer im Wald, wurde zu einer Legende, dann zu einem Witz. Doch vielleicht kommt ja bald wieder Bewegung in die Sache.
Philbert Bourdin, der Buchdrucker aus dem nahen Städtchen, ist nach einem Ritt in den Wald, seit Tagen verschollen. Seine Tochter
Jolie, Rekrutin bei den Musketieren, ist entschlossen, ihn zu suchen – auf die Hilfe des arroganten
Monsterjägers Gustave verzichtet sie dabei aus gutem Grund.