Vielleicht hat ne Bibliothek in der Nähe ja das Buch von Herrn Isenmann zur mittelalterlichen Stadt, da dürften solche Fragen für Rollenspielbelange ausreichend beantwortet werden:
Eberhard Isenmann, Die deutsche Stadt im Mittelalter 1150–1550. Stadtgestalt, Recht, Verfassung, Stadtregiment, Kirche, Gesellschaft, Wirtschaft, Köln 2012.Davon ab hab ich mich vor Jahren mal im Rahmen einer Hausarbeit unter anderem in die Bevölkerungszahlen bestimmter mittelalterlicher (Hanse-)Städte eingelesen. Tatsächlich werden die Zahlen immer ungenauer, je weiter zurück der betrachtete Zeitraum liegt. Während für Frühe Neuzeit und Spätmittelalter im Bestfall die städtische Verwaltungsbuchhaltung (die ja wiederum mit der heutigen absolut nicht vergleichbar ist) überliefert ist, wird's für die Zeit davor wirklich schwierig. Da läuft es am Ende auf Schätzungen aufgrund archäologischer Grabungen oder sonstiger Hinweise hinaus, die zum Teil stark auseinandergehen.
Für Novgorod etwa, den Sitz des Hansekontors in der Rus', wird die EW-Zahl vom Hanseforscher Rolf Hammel-Kiesow gegen Ende des 10. Jahrhunderts auf 2.000 geschätzt, in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts dann auf ca. 15.000 (das entspricht etwa der Lübecks um 1300). Für die Hochzeiten Novgorods im späten Mittelalter geht Stephan Selzer von 20.000 - 25.000 EW aus, sein Kollege Norbert Angermann von 30.000. Andrzej Poppe kommt sogar auf 70.000 - 80.000 EW für das 14./15. Jahrhundert (für den gesamten Stadtstaat Novgorod, der immerhin 1,5 Mio qkm umfasste, schätzt Poppe die EW-Zahl auf 700.000 Menschen). Die Zahlen von Poppe sind aber die mit Abstand höchsten, die ich finden konnte und da das ein Lexikonartikel (Art. "Novgorod" im Lexikon des Mittelalters) war und ich mich nicht zu sehr reinvertieft habe, hab ich keine Ahnung, wie Poppe auf diese im Vergleich zu den anderen Forschern so hohen Zahlen kam.
Für Riga im heutigen Lettland habe ich für 1500 Bevölkerungsschätzungen von 6.000 - 10.000 Personen gefunden (Andris Šnē) und allgemein für das 16. Jahrhundert eine Angabe von 12.000 Personen (Heinrich von zur Mühlen im LexMA).
Für Reval, das heutige Tallinn in Estland, wird die EW-Zahl für 1600 mit 5.000 (unter Einbeziehung von Fischermy und Dom 6.500) angegeben (auch Heinrich von zur Mühlen im Artikel zu Reval).
Zugegebenermaßen lagen Riga wie Reval wohl auch eher im von uns aus betrachtet peripheren Bereich - nichtsdestotrotz waren das zwei wirtschaftlich wie politisch einflussreiche und bedeutende Städte. Riga kontrollierte den Inlandhandel über die Düna, während Reval im Spätmittelalter Lübeck aus seiner Führungsrolle am Novgoroder Hansekontor verdrängte. Beide Städte, Riga und Reval, hatten großen Einfluss im gesamten livländischen Bereich.
Leider find ich die genauen Zahlen und die Literatur dazu gerade nicht mehr - aber als es darum ging, dass die livländischen Städte (neben Riga und Reval gabs da ja noch mehr) sich finanziell und personell an kriegerischen Auseinandersetzungen der Hanse beteiligen sollten, konnte man anhand der Summen, die aus den Städten gegeben wurden, deutlich sehen, dass Riga und Reval mit irgendwas um die 200 deutlich mehr gaben als die nächst-kleinere livländische Stadt, bei der die Summe einstellig war. Klar, hat auch was mit Wirtschaftsmacht, nicht nur Bevölkerungsmenge zu tun, aber ich denke, solche Zahlen veranschaulichen schon auch Größenunterschiede. Und nachdem wir jetzt wissen, dass schon Reval aus heutiger Sicht keine Metropole war, können wir uns vielleicht vorstellen, wie es in Städt(ch)en wie Narva oder Fellin aussah.
So große Städte wie wir sie uns heute unter einer mittelalterlichen Stadt vorstellen (Lübeck etwa, Nürnberg, Brügge oder eben auch Novgorod) sind wirklich die Ausnahme. Dass die unser Bild vom Mittelalter so dominieren, liegt vermutlich an der Überlieferungslage, die es uns schwerlich erlaubt, uns mit kleineren Siedlungen in solcher Ausführlichkeit zu befassen. (Zu dem Thema gibt es einen tollen Artikel von
Arnold Esch: Überlieferungschance und Überlieferungszufall als methodisches Problem des Historikers (aufbrufbar von manchen Bibliotheksnetzwerken aus)).
Insofern find ich es jetzt nicht unrealistisch, wenn Städte nur ein paar hundert Einwohner haben. Stadt bedeutete im Mittelalter ja primär (zumindest für das Hl. Röm. Reich), dass das Stadtrecht erwirkt wurde, nicht, dass die Siedlung eine bestimmte Größe gehabt hätte.