So, wie so oft komme ich erst viel zu spät zum Antworten. Sonntag wurde mein zweites Kind geboren. Das hält einen beschäftigt…
Ich wollte trotzdem noch ein paar Einwürfe loswerden:
@YY: Du hast Recht, mein Vergleich mit digitalen Produkten war klar fehlerhaft. Danke, dass du einen meiner Irrtümer beseitigtest.
@winterknight: Dass ich mit Rollenspielen Geld mache, ist doch reichlich übertrieben. Ich habe zwei kommerzielle Produkte veröffentlicht, die komplett aus meiner Feder stammen, und bin ein wenig an Fate-Produkten beteiligt. Ich bewege mich schon seit Jahren im vagen Dunstkreis der Verlage, aber Experte bin ich nun auch nicht.
Daher hier meine halbwissende Einschätzung:
1) Wir haben keine exakten Zahlen, aber es sieht trotzdem deutlich so aus, als wäre die Zahl der Rollenspieler seit dem 80ern doch drastisch gefallen. Der Gewinn der Skatkartenbranche mag kein exakter Indikator für die Zahl der Skatspieler sein, aber die Zahl der verkauften Blätter korreliert vermutlich trotzdem damit.
Die DSA1-Box verkaufte sich über 100.000-mal. Wir wissen nicht, wie viele davon auch gespielt wurden, aber wenn nur jeder zweite damit auch spielte und wir annehmen, wirklich
jeder Spieler in einer Runde hätte eine Box besessen (schließlich könnte man mit einer Box durchaus fünf Spieler versorgen), wären das immer noch über 50.000. Heutige Schätzungen drehen sich eher im Bereich von 10.000.
2) Wie Boba korrekt bemerkte, ist das Problem heutzutage eins der Zeit. Rollenspiele erfordern nicht nur Zeit (das hält sich tatsächlich in Grenzen, wenn man es mal umrechnet), sie sind auch mit relativ hohem Anfangsaufwand verbunden, bevor eine Belohnung eintrifft. Das gilt für Neulinge erstrecht oder für Leute, die eine Runde suchen, aber auch für jene, die schon voll etabliert sind. Wenn ich mich mit meiner Runde verabrede, dann dauert es noch bis zu diesem Treffen, bis mein Belohnungszentrum heiß läuft. Wenn ich mich dagegen an einen Rechner setze, kann ich sofortige Rückkopplung kriegen.
3) Wir schauen gerne auf Neulinge, weil (a) das Hobby sie braucht, um nicht durch Austritt oder gar Exitus der Beteiligten zu schrumpfen. Aber auch weil (b) die Faktoren, die Leute zum Rollenspiel bringen, sich in den Faktoren widerspiegeln, die sie dort halten (vor allem, wenn sich ihre Runde auflöst oder sie umziehen oder Ähnliches, was ein erneutes Aufbauen einer Runde erfordert).
4) WotC etablierte schon vor Jahren drei Kernfaktoren, die Leute zum Rollenspiel bringen und halten: (1) Mittelschicht, (2) genügend Freizeit, (3) geringe Mobilität und schwache Anbindung an urbane Zentren (bei dem Zustand der öffentlichen Verkehrsmittel in den USA heißt das Vorstand und kein Auto). Letzterer Punkt war vor allem wichtig, weil hier die Konkurrenz zu anderen Hobbys in Erscheinung tritt. Wer stattdessen die vielen Angebote eines Stadtzentrums hat, der wird nicht so leicht Rollenspieler. (Selbst wenn er selbst möchte, müssen ja noch die Mitspieler denselben Versuchungen widerstehen.) In den USA waren es daher Jugendliche in Vorstädten und Studenten, die den dicksten Batzen darstellten. Beide haben für gewöhnlich kein Auto und leben zu weit weg von bspw. Diskotheken, um statt Rollenspiel Tanzen zu gehen. Mit der zunehmenden Ausstattung von Wohnorten mit instantan zugänglicher Unterhaltung, ohne dafür fahren zu müssen, besteht hier ein Problem.
5) Hier machen sich auch größere ökonomische Faktoren bemerkbar. Die Mittelschicht wird nicht gerade größer, die Freizeit wird durch steigende Arbeitszeiten und Pendelzeiten nicht mehr, und die Urbanisierung schafft die Vorstädte langsam ab. (Und der Geburtenrückgang schafft die Jugendlichen ab.)
6) Um diesen Problemen zu begegnen gibt es verlagsseitig nur die Möglichkeit, die Aktivierungsenergien klein zu halten. Konzepte die Plot-Point-Kampagnen sind ein schönes Beispiel, der neuen Realität von wenig Zeit/Aufmerksamkeit Rechnung zu tragen. Auch das Kaufabenteuer fügt sich hier gut ein. Ende der 90er war diese Produktgattung so gut wie tot (einer der Zwecke der OGL war, dass andere Firmen Abenteuer schreiben könnten und WotC es nicht selbst machen müsste). Geld wurde mit Splatbooks verdient. Aber jene erfordern tiefes Einsteigen in ein System und viel Lesezeit. Aktuell sind es wieder mehr Abenteuer – und zunehmend kürzere Abenteuer mit geringen Vorbereitungsaufwand. Oder Zusatzprodukte wie Kartendecks, die sofort genutzt werden können.
Der zweite Punkt sind natürlich schnelle Mittel und Wege, um zu einem System zu kommen, bereitzustellen. Einsteigerboxen usw. richten sich nicht nur an völlige Neulinge, sondern sind vor allem dafür da, das erfahrene Rollenspieler sie nutzen können, um Leute zu ihrem System zu bringen (seien es Einsteiger oder jene, die bisher andere Systeme spielten).
7) Das Problem aus Sicht der Verlage ist, dass diese Produkte nicht in denselben Mengen verkauft werden. Dass Splatbooks so beliebt waren, liegt daran, dass auch die Spieler sie kauften. Abenteuer werden nur von SLs erworben. Also braucht es weniger Angestellte und weniger Produkte, um die Nachfrage zu decken.
Jemand wies zurecht darauf hin, dass Hasbro D&D einstellen würde, wäre es nicht rentabel. Aber genau das passierte zu 75 %. Die Zahl der Leute, die heute bei WotC an D&D arbeiten, ist ein Bruchteil dessen, was Anfang des Jahrtausend dort arbeitete.
Ja, das Spielerhandbuch verkauft sich sehr gut, aber das Produkt ist bereits fertig. Um Angestellte zu rechtfertigen, muss man weitere Produkte auf den Markt bringen. Und das Geld der Kunden verteilt sich heute eben auf viel mehr Optionen, so dass für Rollenspiel im Allgemeinen und ein System im Speziellen weniger bleibt.
Ein Ausweg aus diesem Debakel ist, die Spielerschaft mehr zu aktivieren. (Was durch das Netz heute besser geht denn je.) Es muss ein Ruck durchs Hobby gehen. Wie viele Nischenhobbys haben sich unsere Ansprüche und unsere Thementiefe immer weiter gesteigert, so dass es schwierig ist, hineinzukommen.
Deshalb kann ich jeden SL nur ermutigen, sich zu überlegen, wie es Einsteiger ins Hobby bringen könnte und wie man Hürden klein hält. Vor allem, wenn man im Verein spielt, sollte man immer einen Satz vorgefertigter SCs parat haben, falls jemand auftaucht. Und den Interessierten nicht mit einer riesigen Datenmengen abzuschrecken, ist vielleicht wichtiger, als alles andere.
9) Die neue Akzeptanz für Rollenspiel und Nerds ist ein zweischneidiges Schwert. Ich möchte nicht in einer Zeit leben, wo ich als Satanist angesehen werde, sobald ich ein Regelwerk berühre. Aber es ist auch nicht abstreitbar, dass diese Kontroversen wirklich gute Werbung war.