*Würg* Nachdem ich wegen Kollegenkrankheiten heute doch keinen freien Tag habe, sondern 11 Tage durcharbeiten darf, muss ich mich ablenken. Also warum mal nicht wieder stundenlang eine Rezension für ein Spiel schreiben, das vielleicht drei Leute interessiert?
Wie der Betreff schon sagt, ist Tephra ein Steampunk-RPG, das 2015 vom kleinen Label Cracked Monocle herausgegeben wurde.
LayoutTephra ist ein Softcover - leider in meinem Fall, weil es mir schon mal runtergefallen ist und jetzt einen unschönen Knick am Rücken hat. Ansonsten hat es stabile Seiten und ist in Schwarz-Weiß gehalten - lediglich das Cover bietet Farbe mit zwei Charakteren, einer Fantasy-Schwertkämpferin mit steampunkigen Goggles am Kopf und einem viktorianisch gekleideten Gentleman mit Scharfschützengewehr und Pistole am Gürtel. Sieht nett aus, aber nichts Umwerfendes.
Mir gefällt der
Zeichenstil von
Tephra (auch wenn das hier ausgemalte Beispiele sind und es grobere wie detailliert-feinere Zeichnungen im Buch gibt.
Das Buch ist gut strukturiert, finde ich. Es beginnt ohne Umschweife damit, wie Attribute (Brute, Cunning, Dexterity, Spirit, Sciences), Skill Checks (grundlegendes System: d12+Attribut, 4 Tiers of Success: 1-9=passabel, 40+mythenhaft, bei gewürfelter 1 wird kein Bonus dazugezählt, bei gewürfelter 12 darf man nochmal würfeln - das System geht davon aus, dass man diese Checks IMMER schafft, aber bei Tier 1 nur gerade so und nicht für lang) und Attacken (3 frei kombinierbare AP pro Runde, Attacken, Bewegungen, Gegenstände vorbereiten etc. kosten alle 1-2 AP, im Kampf werden sowohl Angriff als auch Verteidigung und danach Schaden und Soak gegeneinander ausgewürfelt - das KÖNNTE etwas lang werden, aber wohl auch nicht länger als iterative Attacken in D&D) funktionieren, um danach obskurere Regeln wie Sozial-Regeln, Cover, Statuseffekte und Terrain zu erklären. Danach beginnt das riesige Charaktererschaffungs-Kapitel, das 230 Seiten in einem 290 Seiten dicken Buch einnimmt. Die zusammenhängenden Kapitel darin sind immer gleich aufgebaut (bei Rassen immer Beschreibung - Physiologie - Psychologie - Roleplaying Tipps - drei Beispiel-NPCs - Traits) und fast nur mechanische Information, wenig Flavourtext, wodurch man sich gut zurechtfindet, aber eigene Phantasie investieren muss.
SpielweltDie wird hauptsächlich bei den Rassen (was halten die Menschen von den anderen Rassen, sehr grobe Vorgeschichte) und in Kapitel 4 "Context" erklärt, wo eine grobe Weltkarte und eine je 2-seitige Beschreibung der wichtigsten Volksgruppen (Ethnic Traits, Foreign Relations & Stereotypes, possible Background Stories) das Nötigste erzählt - detailliert ausgearbeitete Städte gibt es aber nicht. Es benötigt einen DM mit genug Phantasie, um die Welt zu füllen, auch wenn er sich vom viktorianischen England über frankenstein'sche Experimente und Expeditionen bis zum Wilden Westen inspirieren lassen kann.
CharaktererschaffungDie gesamten Kapitel 2-10. Kapitel 2 gibt einen kurzen Überblick, wie ein Bau und Aufstieg vonstattengeht, die anderen erklären die Bestandteile genauer.
Kapitel 3 sind die Rassen. Neben Menschen mit den vielfältigsten Traits gibt es die Ayodin (Unterwasserwesen, von denen eine Splittergruppe einen Weltkrieg gegen die Menschen führte), Elfen (naturverbundene, diskriminierte Hulking Brutes), Farishtaa (engelhafte Rasse, durch Bio-Technologie aus Elfen geschaffen, wodurch sich dessen Persönlichkeit verändert - deshalb Konflikte zwischen Elfen und Farishtaa, ob die ganze Elfenrasse "gerettet" werden sollte), Gnome (lebenslustig, unterteilt in naturverbundene und "metal-deranged"-technikversessene Gnome) und Satyren (durch Alchemie gezüchtete Arbeitssklaven, seit einigen Jahrzehnten frei, flink im Kampf und hedonistisch im Privatleben). Die Unterteilung der Kapitel hab ich oben schon erwähnt.
Kapitel 4 "Context" wurde schon erwähnt. Kapitel 5 ist Gear. Das beginnt mit einem rudimentären Geldsystem und geht schnell auf die einzelnen Waffen über (Melee, Firearms, Bows, Crossbows, Animals - da hab ich geblinzelt -, grundlegendes Equipment wie Rations und Zelte), bei denen nicht spezielle Waffen, sondern Unterkategorien wie "Light Melee Weapons" oder "Heavy Firearms" rein mechanisch beschrieben sind - Spieler kann sich aussuchen, wie die Waffe aussieht -, mit AP-Kosten im Kampf (meist 2), der Damage Class, ob ein- oder zweihändig und bei Fernkampfwaffen AP für Nachladen (meist 1).
Kapitel 6-10 sind die Kampffertigkeiten, in denen immer eine Hauptfähigkeit (Attribute) und vier Spezialisierungen (Skills) beschrieben sind. Jede Attribut-Fähigkeit besteht aus dem Namen ("Difficult Lifting"), einer Beschreibung ("You can use your bodily strength to attempt to pick heavy things up to move them") und den 4 Tiers of success (von Tier 1 "You can barely lift it. After 3 turns, you'll drop it and you cannot move while holding it" bis Tier 4 "The object is proving to be not problem. You can move normally and put it down at your leisure"). Jede Skill-Fähigkeit beinhaltet zusätzlich die AP-Cost im Kampf und das Baukastensystem des RPGs: Jede dieser Skill-Fähigkeiten gibt numerische Boni auf HP, Accuracy, Evasion, Augment, Do-it-yourself und die Attribute - wie viele HP ein Spieler hat, wird nicht durch Würfeln oder eine Klasse festgelegt, sondern wie viele Skills er hat, die einen Bonus auf HP geben. Wer also viele Nahkampf-Fähigkeiten aus dem "Brute"-Attribut wählt, bekommt viele HP und wird stark, wer viele Science-Fähigkeiten wählt, bekommt viele Augment- und Do-it-yourself-Punkte, die man braucht, um nützliche Gadgets, Roboter, Waffen, Prothesen, Vehikel oder Bio-Technologie herzustellen. Finde ich persönlich klasse zu lesen und würd's gern ausprobieren.
Kapitel 6 ist "Brute" mit Fähigkeiten wie Breath Holding, Difficult Lifting oder Forceful Intimidation und den Skills "Brawl" (Dirty Fighting), "Frenzy" (Rage-Techniken), "Overpower" (Nahkampf-Schaden) und "Resilience" (Schaden absorbieren).
Kapitel 7 ist "Cunning" mit Fähigkeiten wie Gather Intel, Notice und Lockpicking und den Skills "Espionage" (Ninja-Techniken), "Expertise" (Skill-Monkey), "Showmanship" (Inspiration für Allies, Verwirrung für Gegner) und "Tactical" (Buffs und Debuffs).
Kapitel 8 ist "Dexterity" mit Fähigkeiten wie Balance, Sneak und Pickpocket und den Skills "Ace" (berittener oder Vehikel-Kampf), "Agility" (schnelles Bewegen, Reflexe, Dodge), "Marksmanship" (Fernkampf) und "Swashbuckling" (Fechtmeister).
Kapitel 9 ist "Spirit" mit Fähigkeiten wie Concentration und Buffs und den Skills "Faith" (göttliche Heilung), "Grace" (Ki-Fähigkeiten), "Luck" (Boni für dich, Mali für Gegner) und "Shamanism" (Druiden/Ranger-Fähigkeiten).
Kapitel 10 umfasst gleich 6 Attribute und die jeweiligen Skills - "Alchemy" (Acid, Gases, Medicines, Poisons), "Armsmith" (Firearms, Melee, Bows, Armor), "Automata" (ferngesteuerte Kampfmaschinen, denkfähige Automaten, programmierte rein reagierende Automaten, Prothesen), "Bio-Flux" (Einweg-Mutagene), "Engineer" (Vehikel, Panzer) und "Gadgetry" (Explosives, Eyewear, Trinkets). Jedes dieser Attribute hat eigene, aber meist nur auf Augment und Do-it-yourself basierende, nicht übermäßig komplexe Craft- und Upgrade-Regeln. Wie man an der bloßen Menge der Erfinder-Talente sieht, war es den Schöpfern des RPGs wichtig, das kreative Element von Steampunk herauszuarbeiten und die Schattenseiten wie Müll und ethische Fragen nur anzudeuten.
Regeln für SpielleiterDas letzte, kurze Kapitel "Narration" gibt einige generelle Tipps für DMs, etwa wie man NPCs interessant macht ("noticable cough, habit to rub his nose"), Geschichten aneinanderreiht ("start with a bang, awesomeness factor, types of adventures"), optionale Regeln für gefährliche Adversaries (can reroll 12s, more AP than characters, higher level) und Belohnungen (treasure, experience, personal story) und ganz am Schluss Appendizes, in denen die mechanischen Boni aller Skills aufgelistet sind (leider ohne Seitenangabe) und ein 2-seitiger Character Sheet.
FazitIch hab's noch nie gespielt, aber mir gefällt das Baukasten-System im Kampfabschnitt sehr - ich würd's sehr gern mal mit meiner Gruppe ausprobieren und einen Trickster-Mönch (Gadgetry/Grace) spielen. Man muss sagen, dass das Regelwerk nur wenig Fluff enthält - die meisten Dinge werden rein auf die Werte reduziert beschrieben, was aber immerhin den Vorteil hat, dass das Buch nicht ausartet. Allerdings kann der DM nur auf rudimentäre Fakten der Welt und einige Kurzbeschreibungen von NPCs ohne Kampfwerte zurückgreifen, die Welt muss er allein füllen.
Das größte Manko ist vielleicht, dass kein Bestiary im Buch inkludiert ist (andererseits ist das ja bei D&D auch nicht anders). Dafür braucht man Zusatz-pdfs wie Pets & Predators, das Adversary Book und vor allem The Narrator's Accomplice, alle auf drivethrurpg zu haben. Ich hab auch gehört, dass sich das System teilweise zerbrechen lässt, etwa wenn man alles in Resilience reinsteckt und dann durch so gut wie nichts mehr verwundbar ist. Würde mich beim Projekt eines eher kleinen Teams nicht wundern, hätte mich jetzt nicht gestört, weil dann halt alle Feinde, die von dir wissen und halbwegs intelligent sind, wegrennen oder deine Freunde/NPCs bedrohen.
Fans von Steampunk würde ich das System empfehlen, auch wenn ich es - wie gesagt - noch nicht gespielt habe. Aber zum Preis von nur 8 Euro für das pdf auf drivethru hat man auch nicht viel verloren.