Meinungen sind ja zum Glück günstig zu haben und werden auch durch teilen nicht weniger, da kann ich mal meine dazu einwerfen:
Charakterspiel hat für mich viel mit Entscheidungen und Spielwerten, nicht primär mit Schauspiel zu tun.
Wenn ich mich in einen Charakter hineinversetzen soll, egal ob er ein Abbild oder eine Idealisierung meiner selbst, oder eine völlig fremde Persönlichkeit ist, frage ich mich immer:
Wie sieht dieser Charakter die Welt?
Was will dieser Charakter erreichen?
Was sind seine Ziele?
Wie geht er vor?
Was sind seine Wege?
Sprachmuster, Akzente, Lieblingsgesten oder -formulierungen usw. sind für mich erstmal Beiwerk. Das hilft vielleicht, sich zu erinnern, dass man einen anderen Charakter spielt, als man selbst ist, aber in erster Linie ist das, was anders ist, doch die Überzeugungen, die Sicht der Welt und die Herangehensweise an Probleme und Hindernisse.
Was die Herangehensweise an Probleme und Hindernisse angeht, so ist in den Spielwerten und ggf. Klasssenfähigkeiten bereits eine Menge enthalten. Für mich bedeutet ROLLENspiel ebven nicht nur Spiel im Sinne irgendwelcher Schauspielrollen, sondern auch im Sinn der Interpretation der Klassenrollen. Rolle, wiederhole ich immer wieder, ist im soziologischen Sinn eine Ansammlung von Erwartungen an eine Person in einem sozialen Kontext - also auch eine Erwartungen an bestimmte Kompetenzen. Wer einen Krieger spielt, hat auch die Rolle eines Kriegers. Er soll können und tun, was von Kriegern erwartet wird.
Generell halte ich es selten für "gutes Rollenspiel", wenn jemand gegen seine Spielwerte spielt.
Was die Ziele des Charakters angeht, so liegt dabei viel an der Spielweise der Gruppe. Kann der Charakter eigene Ziele treffen? Machen seine Entscheidungen einen Unterschied aus? Oder fließt die Story dahin, ohne dass die Spieler mit ihren Charakteren einen Unterschied machen können, weil alle ihre Handlungsoptionen durch die Story vorgegeben sind? Insofern ging für mich der Tod Bedeutungsverlust des Charakterspieles im Rollenspiel mit den gescripteten Abenteuern des Storytelling einher. Das ist ein Preis, den man in Grenzen bereit sein muss, zu zahlen, wenn man einer dramaturgischen Storyline folgen will.