So, jetzt muss ich mal meinen Senf dazugeben. Ich bin ein großer Witcher-Fan, vor allem der Bücher, aber auch der Computerspiele. Als solcher war ich natürlich elektrisiert, als Netflix die Serie ankündigte und sich an den Büchern orientieren wollte. Letztlich habe ich dann doch kein Abo abgeschlossen, weil ich ansonsten kaum fernsehe. In den Medien habe ich dann das Hin und Her und die geteilten Meinungen verfolgt. Die Skepsis stieg, ein neues Game of Thrones war wohl nicht entstanden. Nun haben mich meine Frauen (die beste Ehefrau von allen und unsere Töchter) doch noch weichgeklopft und wir streamen jetzt auch. Willkommen, 21. Jahrhundert!
Endlich konnte ich mir einen eigenen Eindruck verschaffen (bin noch nicht ganz durch). Das Ergebnis vorweg: Knapp über Trash-Niveau
Kostüme: Billig und unpassend. Eist Tuirseach in Brokatwams oder vergoldeter Plattenrüstung?! Wo ist Rittersporns ikonisches Federhütchen? Geralts Lederhose sitzt am Hintern so schlecht, dass sie an die früheren Windelbuxen meiner Töchter erinnert - und zwar die vollen. Doppelt schade, weil ich unterstelle, dass der ultrafitte Henry Cavill einen passend wohlgeformten Po für die Damenwelt darin versteckt. Die Dryaden sehen etwa so glaubwürdig aus wie die Indianer in den Karl-May-Verfilmungen mit Barker/Brice. Schlechte Perücken, schlechte Schminke, schlechte Props. Nilfgards Noppen-Kondom-Rüstungen sind schon ein geflügeltes Wort.
Kulissen: Nicht viel besser. Keine ganz schweren Schnitzer, wirkt aber alles leer und leblos. Natur- und Außenaufnahmen sind okay. Aretusa ohne jede Ähnlichkeit mit den Büchern.
Cast: Dazu ist schon viel Tinte vergossen worden. Auf die leidige Diversity-Diskussion will ich gar nicht eingehen. Obwohl meine große Tochter Ciris dunkelhäutigen elfischen Fluchtbegleiter prompt für einen Faun oder Satyr hielt. Unabhängig von ihrer Hautfarbe oder Ethnie sind die Darstellerin von Yennefer deutlich zu jung und die von Triss deutlich zu alt besetzt. Letztere bleibt schauspielerisch einiges schuldig. Anya Chalotra macht ihre Sache dagegen bisher ganz gut. Auch Ciri finde ich gut getroffen. Ihre Rolle läßt der Darstellerin aber wenig Gelegenheit, außer Furcht und gehetztem Blick etwas zu zeigen. Henry Cavill liebt offenkundig seine Rolle, doch sein reduziertes Spiel, sein Starren, das minimalistische Grunzen und Knurren sind zu dick aufgetragen. Und von seinen ewig wütend-trotzig zusammengebissenen Kiefern kriege ich schon vom Hinsehen Zahnweh.
Gelungen ist die Besetzung von Tissaia de Vries, deren Manierismen man noch mehr hätte ausspielen können. Katastrophal die von Foltest, dessen klassisches Profil mehrfach in den Büchern erwähnt wird. Gespielt wird er dann von einem Darsteller mit dem Äußeren und Charisma eines Postbeamten kurz vor der Pensionierung (sorry an alle Postler, ihr seid sexy!).
Enttäuschend sind auch kleine Nebenrollen wie die Bande von Renfri besetzt. In den Büchern ist das ein Panoptikum der verschiedensten Gaunerarchetypen. Eine schöne (gewollte?) Persiflage der bunten Murderhobo-Gruppen, mit denen wir in unserem Hobby durch die Fantasy-Welten ziehen. In der Serie: Gesichtsloses Schwertfutter.
Calanthe ist ein Lichtblick.
Tricks/Monster: Mal so, mal so. Kikimora und Striege sind fein. Yennefers Originalgestalt schön abscheulich und dennoch zart und verletzlich. Das Monster, das Yen und die von ihr zu beschützende Königsgemahlin jagt - ok.
Dagegen musste ich beim Sylvan und bei den Elfen laut lachen, so schei... sehen die aus.
Und wer heute noch Zwerge mit Kleinwüchsigen besetzt, muss bei den anderen Rollen keine Diversity herbeicasten!
Igelmann Duny passabel.
Kampfszenen sehenswert.
Skript/Dramaturgie: Der größte Kritikpunkt! Als Kenner der Bücher machen mir die Zeitsprünge und die Perspektivwechsel nichts aus, aber ich kann mir gut vorstellen, dass das Neulinge überfordert und verwirrt. Dabei finde ich die Idee gut, nicht nur Geralts Geschichte zu erzählen, sondern drei zunächst separate Handlungsstränge zu verfolgen, weil so Sapkowskis tollen, starken Frauenfiguren Raum gegeben werden kann. Soweit die Theorie. Tatsächlich gibt die frei erfundene Vorgeschichte Yennefers einiges her und führt auch gut in die Welt der intriganten Zauberer und Zauberinnen ein. Ciris Story bleibt dagegen (fast zwangsläufig) extrem dünn.
Aber praktisch alles andere, was ich an Geralts Geschichten liebe, geht flöten:
- Die messerscharfen, schnellen Dialoge mit dem lakonischen und manchmal drastischen Witz - alles der Entscheidung geopfert, Geralt nur Fu** grunzen zu lassen.
- Die Anklänge/Zitate/Interpretationen der mittel- und osteuropäischen Märchen- und Sagenwelt - futsch, vielleicht, weil das US-amerikanische Publikum sie eh nicht verstanden hätte.
- Rittersporn nur eine comic relief-Figur (toller Song) - die schräge Freundschaft zwischen ihm und Geralt damit völlig unbegreiflich.
- Die moralischen und philosophischen Fragen und Konflikte, denen sich Geralt fortwährend ausgesetzt sieht und die seinen Beruf für ihn so zur Hölle machen und seine Handlungen für den Leser so interessant - allenfalls an der Oberfläche gestreift.
- Meine Lieblingsgeschichten Das kleinere Übel (Renfri vs. Stregobor) und Eine Frage des Preises (Abendbrot mit Calanthe, Pavetta, Duny) sind mit all ihrer Vielschichtigkeit, ihren Twists und der jeweiligen Stimmung so verhunzt, dass mir für die noch ausstehende Nr. 3 der Hitliste Der letzte Wunsch (Geralt meets Yen) Schlimmes schwant. Dabei sind sie die Quintessenz des Hexers und die Basis von allem, was folgt.
Meine Frau, die meine Vorliebe, aber weder die Bücher noch die Spiele kennt und mit Fantasy allgemein wenig anfangen kann, bot mir neulich an, die Serie mit mir zu schauen. Ich habe mich rausgeredet. Zu peinlich wäre es gewesen, das alles geraderücken zu müssen.
Rant over!
Gruß Azaghal