Hier ein etwas persönlicher Erlebnisbericht von der diesjährigen Hamster-Con.
Ich habe lange mit mir gerungen, ob ich da hinfahre. Meine letzten Con-Erlebnisse waren deprimierend. Ich habe drei Mal in Folge obskure Spiele angeboten, die ich immer mal ausprobieren wollte, aber nie fand ich genügend Interessierte dafür.
Hamster-Con ist Heimatrevier. Wenn ich´s hier nicht probiere, dann habe ich mit Cons abgeschlossen. Nach einigem Zögern kam ich zum Schluss: "Alles oder nichts!" Ich schaute mir meine Liste der Rollenspiele, die ich schon immer mal ausprobieren wollte, an und fällte den Entschluss, dass ich das spielleiterlose Rollenspiel "
The society of dreamers" vorbereiten möchte. Dafür braucht man ein Ouija-Brett, auf dem als Spielmechanismus so etwas ähnliches wie Gläserrücken stattfindet, was wiederum Inspirationsquelle für das Herbeierzählen neuer Szenen sein soll. Ich recherchierte noch ein bisschen in Sachen Ouija-Bretter und stellte fest, dass üblicherweise nicht ein Glas, sondern eine sogenannte Ouija-Planchette verwendet wird:
Ich habe also so ein Ding per ebay gekauft. Dann habe ich über das Brett selbst nachgedacht. Im Regelwerk sieht die Oberfläche des Brettes folgendermaßen aus:
Als ich versucht habe, mir das Spielgeschehen vorzustellen, begann ich zu zweifeln. Die Spieler berühren gemeinsam mit einem Finger die Ouija-Planchette und warten darauf, dass eine Geisterhand den Zeiger auf irgendein Feld verschiebt? Mein Problem ist, dass ich nicht an den Quatsch glaube. Wenn alle Anwesenden wirklich passiv auf den Einfluss aus der Geisterwelt warten, dann wird wahrscheinlich nicht viel passieren. Mal ehrlich: Der Zeiger wird sich vielleicht ein paar Millimeter bewegen, weil irgendjemand nicht still gehalten hat, mit mehr sollte man nicht rechnen. Ich entwarf infolgedessen erstmal ein anderes Design. Die Wörter habe ich beibehalten, die neun Felder habe ich aber in Form eines Kreisdiagramms angeordnet. Schließlich habe ich bei einem Hobbybastelversand ein rundes Tablett aus Holz bestellt.
Irgendwann sind meine Materialien eingetrudelt. Ich stellte fest, dass die Ouija-Planchette auf der Unterseite drei Filzuntersätze hatte. Wenn die Oberfläche des Ouija-Bretts also glatt ist, gibt es kaum Reibungswiderstand und schon das leichte Zucken eines Mitspielers reicht aus, um den Zeiger zu bewegen. Leider war die Oberfläche des bestellten Holztabletts eher rau. Das passte nicht zusammen. Zunächst einmal bestellte ich mir einen Holzbrennkolben und brannte in mein Tablett neun gleichgroße runde Kreissegmente und die ins Deutsche übersetzten Worte des Ouija-Brettes ein. Der Vorgang ist mühsam und hat mich insgesamt etwa vier Stunden gekostet. Dann habe ich Klarsichtfolie auf die Brettoberfläche geklebt. Das Brett war jetzt sehr glatt, aber die Folie hielt dummerweise nicht und löste sich immer wieder. Ich musste es anders machen. Ich habe dann das Brett lackiert. Nach der vierten Lackierung war es glatt genug, sodass der Zeiger weitgehend mühelos auf dem Brett gleiten konnte.
An den zwei Tagen vor der Con schrieb ich für mich selbst eine komprimierte Version der Regeln, damit ich beim Erklären nicht ins Stocken gerate, und ein paar Cheatsheets für die Spieler.
Schließlich bin ich hingefahren. Ich hatte meine Runde für Freitag, 15:00 Uhr, eine Stunde nach Con-Beginn also, angekündigt (an den anderen Tagen des Wochenendes hatte ich keine Zeit. Ich musste den Freitag nehmen). Ich war um 14:30 Uhr vor Ort, die Orga hatte einen Ausdruck vorbereitet, den ich ans schwarze Brett hängte und dann wartete ich. Anwesend waren zu dieser Zeit vielleicht 20 Leute, keiner machte den Eindruck, als beobachtete er aufmerksam die Aushänge auf dem schwarzen Brett.
Um etwa 14:50 Uhr erschien ein Rollenspieler, den ich bereits kannte. Ich hatte auf einer vergangenen Con schon einmal mit ihm gespielt. Er hat damals "Blades in the Dark" geleitet und seine Sache nicht schlecht gemacht. Für die Zeit danach hatte ich damals ein weiteres obskures Rollenspiel angeboten. Während der Zeit, in der sich herausstellen sollte, ob sich dafür Mitspieler finden, habe ich mich angeregt mit dem Mann unterhalten. Schließlich bin ich unverrichteter Dinge nach Hause gfahren. Er war der einzige Interessent für meine Runde.
Diesmal trug er sich entschlossen als Mitspieler in meinen Aushang ein. Und das war´s erstmal. Ich hatte mir vorgenommen eine Stunde zu warten. Wenn sich bis dahin keine Interessenten finden würden, würde ich nach Hause fahren. Und danach sah es dann auch erstmal aus. Dann aber erschienen zwei Leute, ein Mann und eine Frau, und schauten kurz auf den Aushang. Erstaunt stellte ich fest, wie mein bisher einziger Interessent die beiden anquatschte und sie fragte, ob sie nicht Lust hätten eine Runde "The society of dreamers" zu spielen. Die beiden waren natürlich ein bisschen unsicher, aber nicht grundsätzlich abgeneigt und zwei Sätze später waren sie mit im Boot.
Die Angelegenheit ist für mich nicht unwichtig. Ich habe manchmal Probleme auf Fremde zuzugehen. Hier bekomme ich aber quasi vorgelebt, dass nicht unbedingt meine Anliegen zu obskur sind um Interesse zu wecken, ich selbst bin zu zurückhaltend um meine Sache zu vertreten. Meine Horrorvorstellung ist es, bei so einer Gelegenheit neben dem schwarzen Brett zu stehen, Leute darauf aufmerksam zu machen, was man ohnehin schon ausgehängt hat und dann eine Absage nach der anderen zu bekommen. Heute habe ich gesehen, wie man durch ein Zugehen auf die Leute vielleicht doch relativ schnell eine Zusage bekommen kann. Ich stelle fest: Ich muss an mir arbeiten!
Dann ging die Runde los. Das Spiel startet mit einer Geistervertreibung: Alle klatschen in Richtung der Türen in die Hände und rufen "buuh!" oder ähnlich. Es hat mich etwas Überwindung gekostet, die Regel zu verkünden, aber ich habe erstaunt festgestellt, dass meine Mitspieler nach kurzem Zögern erstmal mitgezogen haben.
Nach einer kurzen Einleitung von mir (Mnemositen sind Kreaturen, die in den Träumen der Menschen leben. Die Gesellschaft der Träumer möchte mehr über sie erfahren. Wir befinden uns im 19. Jahrhundert.) folgte die Charaktererschaffung. Jeder beschreibt acht Karteikarten, je zwei zum Thema Nationalität, sexuelle Identität, Beruf und Alter. Hinterher zieht jeder Spieler zu jedem Thema eine Karte und kann bei Nichtgefallen maximal eine Karte austauschen.
Hier unser Cast:
Sophia, 78 Jahre alt, Spanierin, Mutter eines einigermaßen einflussreichen Lokalpolitikers
Charlotte, 24 Jahre alt, Französin, Staatsministerin und heimliche Lesbe
Katherine, 23 Jahre alt, Waliserin, reiche Mäzenatin, fühlt sich trotz Frauenkörper als Mann
Adam, 46 Jahre alt, Deutscher, schwuler Widerstandskämpfer
Cool fand ich: Die Jungs in der Runde spielten die Frauen, die einzige Frau in der Runde spielte Adam.
Dann kam eine Runde mit geframeten Kindheitsszenen als Flashback. Das Spiel arbeitet mit so einer Art rotierendem Spielleiter (ab jetzt: "Referenten"). Bei den Kindheitsszenen sind die Referenten die Spieler, die den Spieler des betreffenden Charakters schon am längsten kennen. Wir hatten erste mysteriöse Kindheitserinnerungen, an einigen Stellen deutete sich auch schon ein Problem mit der sexuellen Identität an.
Dann kam eine Runde mit Jugendszenen als Flashback. Bei den Jugendszenen sind die Referenten die Spieler, die den Spieler des betreffenden Charakters am kürzesten kennen. Es sind kleine Details in den Regeln, die aber völlig durchgeplant sind: Nach der Eingangsszene eines Spielers mit einem vertrauten Referenten, folgt in der Jugendszene die Öffnung nach außen: Kontakt zum wenigsten vertrauten Mitspieler. Wenn es gut läuft, ist die Gruppe nach dem Präludium enger verbunden. Der Schwerpunkt bei den Jugendszenen lag bei uns auf der Auseinandersetzung mit der Pubertät inklusive dem Kennenlernen zukünftiger Lebenspartner.
Schließlich kam es zur Gründungssitzung der "Gesellschaft der Träumer". Unsere Charaktere hatten zuvor schon Briefkontakt und begegneten sich dann erstmals auf einem Wiener Kongress. Katherine berief die Gesellschaft ein und wurde zur Vorsitzenden. Sie verkündete, dass das Interesse der Gesellschaft in der Erforschung der Mnemositen liegt. Dann präsentierte sie ein paar Aufzeichnungen und das Ouija-Brett. Diese Dinge hat sie zufällig gefunden. Sie stammen wohl von einer vergangenen Gesellschaft mit ähnlichen Interessen wie der unseren.
Dann spielten wir eigens geframete Szenen und verwendeten zur Inspiration das Ouija-Brett. Manchmal war die Zeiger-Bewegung mühsam und es dauerte eine Weile, bis wir ein Ergebnis hatten, manchmal flutschte es problemlos. Holter, der Designer des Spiels, nennt das Ding "democratic randomizer". Hinterher wusste ich in etwa, warum. Die Aufzeichungen der vergangenen Gesellschaft mit ähnlichen Interessen bieten zu jedem Stichwort auf dem Ouija-Brett einen kurzen Inspirationsabschnitt. Manchmal waren die Worte eher nebensächlich, manchmal haben sie das Spiel entscheidend vorangebracht. Nach jeder Szene haben wir uns gefragt, ob wir neue Information über Mnemositen herausgefunden haben. Manche Szenen boten keine neuen Erkenntnisse, in den anderen aber wurden die erlangten Informationen immer bedeutsamer. Diese wurden auf Fakten-Karten festgehalten. Letztlich erfuhren wir Folgendes:
Mnemositen können das Licht löschen, Mnemositen haben Einfluss auf die Beleuchtung in einer emotional aufgeladenen Szene, Mnemositen nehmen Einfluss auf die Geschicke der Menschen, Mnemositen können in Träumen politische Einstellungen des menschlichen Wirtskörpers übernehmen, Mnemositen versuchen zu vermeiden, dass Menschen Fakten über sie sammeln, Mnemositen habe es gezielt auf UNS abgesehen, Mnemositen haben den "Träumern" (den Menschen, in deren Träumen sie hausen) im Wesentlichen 5 Träume gesendet: vier davon sind Schlüsselszenen aus dem Leben unserer eigenen Charaktere (!), der letzte zeigt eine angenehm wirkende, aber verschwommene Gestalt mit 5 Extremitäten, die entfernt an einen aufrecht gehenden Seestern erinnert.
Danach war erstmal Pause. Wir machten ein bisschen Smalltalk. Ich erfuhr, dass die beiden zuletzt rekrutierten Mitspieler in ihrer Heimatgruppe Midgard 4 spielen. Erstmal war ich erstaunt. Das ist dermaßen anders als das, was wir hier gerade gemacht haben und bei dem sich die beiden absolut gekonnt angestellt haben. Aber ich fragte ein bisschen nach und erfuhr, dass sie die Midgard-Regeln dermaßen gestutzt haben, dass fast nur noch das Setting übriggeblieben ist. Als jemand, dem Midgard aufgrund seines sperrigen Simulationsanspruchs nach vielen Jahren immer unangenehmer wurde, fand ich dieses kaltschnäuzige Vorgehen doch ziemlich interessant. Ich empfand es als Kompromiss-Lösung, statt eines Entweder-Oders. Ich wurde etwas nachdenklich.
In unserem Spiel folgte danach die Phase der Vertiefung: Für jede neue Szene wurde einer der erwähnten Fakten genannt, auf dem Ouija-Brett wurde erneut eine Inspiration ermittelt, besonders eindrucksvoll agierende Spieler bekamen vom Referenten Fakten-Karten geschenkt.
Letztlich bekamen wir heraus, dass man in die Träume der Menschen, die von Mnemositen infiziert oder besessen sind, eindringen kann, wenn man mit ihnen gemeinsam Morphium nimmt. Wir erfuhren auch, dass die Mitglieder unserer Vorgänger-Gesellschaft allesamt durch Morphium-Überdosen aus dem Leben geschieden sind. Schließlich starb Sophia. Sie informierte ihre Freunde testamentarisch, dass auch sie ihr Leben durch eine Überdosis Morphium beendet hat. Die drei anderen Mitglieder der Gesellschaft beendeten das Spiel, indem sie ebenfalls durch eine Überdosis aus dem Leben schieden (nur Charlotte war nicht ganz so willig... Adam mischte ihr deshalb einen heftigen Knock-Out in den Wein).
In den Träumen eines "Träumers" begegneten die Charaktere ganz zuletzt Sophia wieder, die ihnen erzählte, dass sie jetzt alle zu Mnemositen geworden seien. Das sei eine wünschenswerte Existenzform, da sie sich aller Lasten, mit denen die Menschen beladen seien, entledige. Die Mnemositen seien Wesen, die den Menschen den Übergang vom Menschsein zum Mnemositendasein erleichtern wollten. Wozu seien dann die "Träumer" da?, wollten die anderen Charaktere wissen. Sophia sagte: "Nunja, irgendwo müssen wir ja existieren!"
Das war das Ende. Wir haben 6 Stunden gespielt. Bei der abschließenden Geistervertreibung klatschten alle in Richtung der Türen in die Hände und riefen "buuh!" Es war eine gelungene Show eines ganz obskuren Systems.
Dann fragte ich nach dem Wohnort meiner Mitspieler. Es stellte sich heraus, dass sie zumindest in erreichbarer Nähe leben. Ich fragte sie, ob sie nicht Lust hätten eine Minikampagne "Okult" mit mir zu spielen. Das ist ein weiteres Spiel auf meiner Liste, das sich aber nicht als OneShot abhandeln lässt. Es ist auch ziemlich obskur. Selbst meine experimentierfreudigste Gruppe hat abgelehnt. Die drei vom Hamstercon haben ohne zu Zögern zugesagt.
Kurz: Sehr hoch gepokert, alles erreicht. Ich bin sehr glücklich und habe auf dem Nachhauseweg gesungen.