Ich verstehe Settembrinis Zorn.
Ich gehöre ja - zwar nicht hier im Thread, aber anderweitig - zu den Leuten, an denen ihn ärgert, dass sie über OSR-Spiele mitreden wollen, weil sie gemerkt haben, dass das irgendwie hipp und geil ist, die zwar keine Lust haben, den staubigen alten Kram ernsthaft zu studieren, sondern halt gleich bei der Hipster-Postpost-Variante einsteigen, und dann TROTZDEM darüber schwafeln wollen, was es denn nun eigentlich genau mit diesen komischen Regeln auf sich hat, was die sollen, ob die überhaupt was sollen und welche Spielstilziele (endlich kann ich das Wort mal wieder verwenden!) damit bedient werden und welchen sie zuwiderlaufen.
Aber so kommt das halt, wenn einen das, bei dem man seit der ersten Stunde dabei war (bei mir wären das DSA und die deutschen Übersetzungen von Sturmbringer und MERS) nicht mehr recht anfixt oder wenn es einfach keine interessanten Debatten darüber gibt (über Stormbringer und BRP gibt es ja beispielsweise praktisch nichts zu debattieren, weil in dem Bereich - trotz allen Rummels um das neue RuneQuest - im Kern ganz unaufgeregt ziemlich Gleichartiges und Transparentes gemacht wird, sodass da überhaupt niemand groß dran ruminterpretieren muss). Ich habe keine Lust, über das Regeldesign von DSA1 rumzuphilosophieren, weil es mir ziemlich durchsichtig erscheint, was da aus irgendeiner gerade aktuellen alten D&D-Version und RuneQuest zusammengesteckt wurde (vielleicht mit noch etwas Tunnels&Trolls drin). Old-School-Regeln sind dagegen ein machtvolles Mysterium, das gleichsam anzieht und abstößt. Aber es zieht (mich) eben nicht genug an, um mit hohem Zeitaufwand (und ich meine da allein schon Lesezeit) tief in die Materie einzusteigen. Ich will über das mitreden, was bei mir gerade Spiel- oder interessemäßig Sache ist, also über DCC oder Lamentations oder Dolmenwood oder Swords & Wizardry, und dabei gerne auch mal einen hochgestochenen Gedanken formulieren. Und wenn sich diesem Gedanken durch meine Unkenntnis der Materie verursachte Blödsinnigkeit bescheinigen lässt, lasse ich mir das auch gerne sagen. Ich will aber nicht das Pflichtprogramm an Originalen durchackern, dass mich auch auf den zweiten Blick eigentlich gar nicht besonders anmacht.
Wenn ich mir einbilden würde, die Weisheit zu dem Thema mit Löffeln gefressen zu haben, wäre das arrogant. Ich bilde mir das aber eigentlich nicht ein und meine auch nicht, es zu behaupten. Ich theoretisiere nur ganz gerne rum.
Aber trotzdem, Ich weiß, dass man so was als jemand, der die Materie wirklich kennt, schlimm finden kann. Es ist beispielsweise schlimm, wenn jemand, der Adorno nur anhand von Judith Butlers Buch über ein Foto von Saddam Hussein rezipiert hat, über Kritische Theorie rumphilosophiert. Aber bei so was ist zumindest ein Minimum an politischer Relevanz gegeben, die leidenschaftliche Ablehnung von halbinformiertem Blödsinn rechtfertigt, sogar gebietet. Aber beim Rollenspiel? Kann man da nicht einfach sagen: "Lustig, welche Blüten das treibt und was Leute sich heutzutage für ein Bild von anno dunnemal machen ... das rücke ich jetzt mal ein bisschen gerade. Oder lasse sie machen. Solange sie sich amüsieren." Muss man es sich zum Ziel setzen, diese Leute durch Beschämung aus dem Diskurs zu drängen?
Andererseits: Leidenschaft ist zu respektieren, und durchaus auch zu ertragen. Und wenn die Leidenschaft der anderen dazu führt, dass man sich zweimal überlegt, ob man jetzt wirklich etwas zu einem Thema zu sagen hat oder nicht, dann ist das vielleicht sogar ganz wünschenswert.
So, und jetzt überlege ich das zweite Mal.