Ich löse die meisten Probleme und Herausforderungen in meinem Alltag eher duch Intelligenz oder Kommunikation, nicht durch Stärke oder Konstitution.
Genau da liegt auch die Begründung: Was ist Kommunikationsfähigkeit? (Ohne jetzt zu detailliert zu werden). Diese besteht ja grob gesagt aus einer Kombination von "Eigenschaften" Deiner Person und v.a. bestimmten sozialen Fertigkeiten, die Du anwendest...
In GURPS-Begriffen bedeutet das für soziale Situationen, ein Konglomerat aus Vorteilen und Nachteilen bestimmt Deine persönlichen Eigenschaften und die Anwendung der sozialen Kompetenz ergibt sich durch passende Skills, die wiederum von persönlichen Eigenschaften geprägt sind. Das alles beeinflusst die Reaktion anderer auf Dich.
Die Systementwickler haben sich hier für die 4th Edition ganz bewusst entschieden Charisma nicht als Attribut einzuführen, sondern als Vorteil zu führen (ich hab es schon vor vielen Jahren gelesen, vielleicht hat jemand grad die Dokumente dazu?). Wenn man genauer darüber nachdenkt, zeigt sich, dass hier im sozialen Bereich meistens durch Attributs-Abstraktionen u.ä. vieles sehr vereinfacht wird und bei GURPS hat man sich eben für mehr Differenzierung bei den Details entschieden, um transparent zu machen was eigentlich alles passiert.
Eine entscheidende Frage in einer sozialen Situation wäre:
Warum wirkt der Charakter charismatisch? Viele Systeme sagen hier "Weil der Wert 15 ist, denk Dir halt was aus...", was auch völlig ok ist, aber eben abstrakt. GURPS würde so etwas sagen wie "Weil Sie eine schöne Stimme hat, sehr attraktiv ist und freundlich und zuvorkommend auf die Gäste eingeht, wirkt Sie auf die meisten Menschen beim 1. Kontakt charismatisch." (Advantages voice und appearance:beautiful, smooth operator; skills diplomacy, etiquette...). Interessant wird es jetzt, dass wir auch Detailunterschiede sehen können über die Reaktionen anderer Chars: Bspw. würde es hier via reaction rolls konkret abgebildet, dass eine andere Frau, die weniger attraktiv ist, eifersüchtig wird und diese Attraktivität vielleicht nicht als charismatisch wahrnimmt sondern als harte Konkurrenz, als Schlag ins Gesicht ==> arrogante Bitch usw.)
Ein wichtiger Hintergrund für die Systementscheidung ist dabei auch die Messbarkeit: Stärke z.B. ist leicht messbar (Kraftmessung und Masse/Gewicht bestimmen), davon leiten wir die Hitpoints ab und Traglast etc.
Charismatische Wirkung "als Ganzes" ist aber sehr viel schwieriger zu definieren - man nehme nur einen x-beliebigen Artikel dazu und sieht das, z.B. hier ein Google-Hit:
https://www.psychologytoday.com/us/blog/cutting-edge-leadership/201002/charisma-what-is-it-do-you-have-it Charme/Charisma erscheint also eigentlich eher als eine Zusammensetzung verschiedener wirkender Faktoren als ein einzelner klar zu benennender Punkt. Und natürlich ist klar, man kann das auch wieder (statistisch) abstrahieren zu einem Einzel-Wert, aber es ist eben die Designentscheidung, ob man die Teilfaktoren sichtbar/unterscheidbar macht oder nicht.
Der Punkt mit dem dump stat ist dabei auch sehr relevant: Wenn ich eine Gruppe von 10 Leuten in einer Situation kennenlerne, sage ich z.B. über drei Leute aus, dass sie charismatisch sind, zwei finde ich uncharismatisch, der Rest ist "normal".
Muss normal heißen, dass ich ein "Attribut" auf Durchschnittswert habe oder könnte es nicht einfach bedeuten, dass ich keine besonders negativen oder besonders ansprechenden Merkmale für diese Situation aufweise? Grad das mit der Situationsabhängigkeit finde ich auch interessant, wenn man noch weiter denkt: Jetzt telefoniere ich z.B. mit einer sehr attraktiven Person, die ich nicht kenne. Wirkt diese für mich nun charismatisch? Ich denke nicht, sondern erstmal einfach "durchschnittlich", weil ich ihre normale Stimme höre und die Attraktivität auf mich nicht wirkt. Oder angenommen ich bin blind: Eine Person mit schöner Stimme wirkt auf mich sehr charismatisch, aber jemand mit gutem Aussehen hat keinen Effekt auf mich.
Andersherum ebenfalls, warum wirkt dieser Mensch uncharismatisch auf mich? Legt er/sie z.B. ein abstoßendes Verhalten an den Tag? Lacht nie über einen Scherz bzw. ist generell humorlos? Usw. usf.
Ein reines Charisma-Attribut ist abstrakt und kann diese Details nicht mehr abbilden, man kann es natürlich auf dem Fluff-Faktor genau so regeln, das ist eine gute Sache und es nichts dagegen einzuwenden. IMHO würde ich aber sagen, dass diese Detailmechanismen eher zeigen, dass man die sozialen Geschichten noch ernster nimmt (weil differenzierter) und definitiv aus meiner Sicht nicht nahelegen, dass man sie vernachlässigt.
<Finally>
Wie
beurteile ich denn das Design?
IMHO würde ich klar davon abraten es einfach "intuitiv" beim 1. Kontakt zu entscheiden, auch wenn viele natürlich genau so vorgehen, weil das am schnellsten geht. Für mich sollte eine Beurteilung davon abhängen, dass ich schaue wie sich verschiedene Systeme in verschiedenen konkreten sozialen Situationen verhalten. Was ist dort das <Ergebnis> für meinen Char? Vorher sollte ich definieren, was aus meiner realen sozialen Erfahrung zu erwarten wäre. Und dann kann man auch fair und begründet vergleichen, was tut System A hier und was tut System B... Was finde ich warum überzeugender?
my 2 cents...