Vorteil:
Das Setting ist für Dich massgeschneidert.
Beim Spielen kannst Du es durch Festlegungen erweitern.
Es gibt keinen anderen Settingexperten.
Spieler können das Setting nur im Spiel entdecken.
[...]
Neben dem ersten Punkt muss man all das auch nicht zwangsläufig als Vorteile sehen. Die drei anderen Punkte legen eine bestimmte (eher klassische) SL-Rolle nahe, die auch nicht jede Spielrunde mag.
Für mich ist es beispielsweise sowohl als SL als auch als Spieler unschön, wenn die Welt allein durch SL-Erzählung existiert.
Als Spieler nervt es mich, dass ich das Gefühl habe, immer nur kleine Stückchen der Welt zu sehen, potentiell als Spieler stets weniger zu wissen als mein SC eigentlich über die Welt wissen müsste und wenig Verlässlichkeit zu haben (vgl. den 2. "Vorteil"): Selbst wenn ich denke, die Welt verstanden zu haben, könnte der SL entscheiden, dass in der nächsten Stadt ganz andere Gesetzmäßigkeiten oder sogar Naturgesetze gelten.
Natürlich gibt es Spieler, die es mögen auf solche Weise überrascht zu werden und den "Sense of Wonder" der Entdeckung immer wieder aufs neue zu genießen, aber ich konnte beim Rollenspiel noch nie der Heranhgehensweise etwas abgewinnen, mich von dem "toll erzählenden SL verzaubern und in fremde Welten entführen zu lassen". Das ist für mich eine zu passive, fast devote Spielerrolle.
Als SL nevt es mich genauso, wenn ich darauf angewiesen bin, alles, aber auch wirklich alles an dem Setting meinen Spielern erst erklären zu müssen. Ich möchte gerne sagen können "ihr kommt in eine typisch elfische Siedlung" oder aber "in eine elfische Siedlung, die anders ist als die, die ihr bislang kennt", aber bei beidem muss ich nicht von 0 anfangen, wie wenn bis zu diesem Zeitpunkt meine Spieler nicht wissen, dass die Elfen in meinem Homebrew-Setting eierlegende, rauflustige Barbaren mit Schlangenunterleib sind, die sich mit den gewöhnlichen EDO-Elfen nur die spitzen Ohren teilen.
Das Ideal für mich als SL und als Spieler ist, dass alle Seiten am Spieltisch ein profundes Grundverständnis, gerne auch sogar profundes Detailwissen über das Setting haben und sich somit Erklärungen und Settingbeschreibung auf die gerade gespielte Szene konzentrieren und es keine stundenlangen Spielleitermonologe braucht um die Welt als Ganzes zu erklären. So gerne ich "Worldtelling" bei Büchern mag, so sehr gehen sie mir am Spieltisch auf den Zeiger.
Kurz gesagt: Der Wissensvorsprung des SL sollte sich auf den Plot (und damit eng verschränkte Setting-Bestandteile wie Mysterien und Geheimnisse, versteckte Motivationen, etc.) beschränken, nicht auf das Setting als Ganzes.
Meiner Meinung nach kommt man diesem Ideal (sofern man das möchte - ist natürlich eine Geschmacksfrage) v.a. auf drei Weisen nahe:
1) Man benutzt ein fertiges, im Ideal gut durchdachtes Setting, was 1a) so generisch und Kitchen-Sinkesk ist, dass ich alles darauf spielen kann, oder 1b) so spezialisiert, dass es eben genau meine gewünschte Kampagne ideal unterstützt
2) Man erschafft gemeinsam mit der Gruppe ein Setting, in dem es durch die gemeinsame Erschaffung eben keinen Wissensvorsprung des SL gibt und im Idealfall auch im Nachhinein sowohl SL als auch Spieler etwas hinzufügen oder genauer ausdefinieren können (im Prinzip der FATE-, pbtA-, etc. Ansatz)
3) Man arbeitet hart mit Klischees, so dass der SL mit wenigen Erklärungen auskommt und es dennoch einen klar definierten gemeinsamen Vorstellungsraum gibt ("Wir spielen in einem Pulp-Noir-Chicago der 30er Jahre" würde bsp. gut funktionieren. Die Ansage "Wir spielen ein typisches afrikanisches Cyberpunk-Setting mit antropomorphen Tier-SCs" nur eher begrenzt.)
Ich bevorzuge 1) und 2), wobei ich für 1) eine kleine Präferenz habe, was aber vor allem einem Mehr an Erfahrung damit geschuldet ist. Auf der anderen Seite habe ich es in den mehr als 20 Jahren meiner aktiven Rollenspiel-Zeit aber auch noch nie als Einschränkung erlebt in einem vorgegebenen Setting zu spielen, denn selbst die berüchtigten Extrem-Beispiele wie Aventurien oder die Shadowrun-Erde bieten mMn für einen konkreten Plot ausreichend Freiheit, da entgegen anderslautender Vorurteile es immer einen Stadtteil, ein Dorf, einen Landstrich, einen Konzern, etc. gibt, der nicht beschrieben ist oder zumindest nur so vage, dass er ohne größeren Aufwand an meinen Plot angepasst werden kann oder umgekehrt.
Ein anderer Punkt, der für mich für fertige Settings spricht, ist, dass ich bei gut gemachten Setting-Beschreibungen beim Lesen ständig Ideen für eigene Plots oder Kampagnen bekomme, mit denen ich vorher nicht gerechnet habe. Das beflügelt bei mehr die Phantasie als bei einem Setting, das ich gezielt erdenke, um Plotideen zu befördern.
Der Ehrlichkeit halber muss ich natürlich darauf hinweisen, dass meine Meinung hier ein wenig biased ist, da ich seit vielen Jahren offizielle Settings beschreibe und daher a) natürlich diese Produkte aus Eigeninteresse befürworte und b) auf diese Weise meine Weltenbauer-Trieb auslebe