(Gaaaanz weit ausgeholt
)
Es gibt verschiedene Arten von Videospielen, die in irgendeiner Form "unrund" sind. Die unnötig oder ungewollt schwer sind. Unfair. Deren Spielmechaniken nicht zu Ende gedacht sind. Die den Spieler nerven, (über)fordern, frustrieren.
Manche Spiele machen das mit Absicht. Teils rein aus Nostalgiegründen (also 1:1-Klone von "vermackten" Klassikern), teils aus spielmechanischen Überlegungen.
Diese zweite Gruppe enthält einige großartige Spiele wie Darkest Dungeon oder unzählige roguelikes, aber das muss man dann auch wollen. Wirklich massentauglich sind solche Spiele nicht. Sie können es aufgrund ihrer Ausrichtung gar nicht sein, weil sie auf eine sehr spezielle Spielergruppe abzielen - nämlich jene, die sich an einem Spiel abarbeiten wollen. Die kein Problem damit haben, auch mal einen ragequit hinzulegen und das Spiel zwei Wochen nicht anzufassen, dann aber zurück kommen und motiviert weiter machen.
Das bleibt immer speziell und selbst jene, die das überhaupt spielen, haben da bei Weitem nicht immer Bock drauf.
Aber: Diesen Spielen sieht man an, dass sie das so wollen. Darkest Dungeon ist transparent, nachvollziehbar, übersichtlich und einfach zu bedienen. Es stellt einen "nur" ständig vor unbequeme Entscheidungen und zwingt einen obendrauf, auch tatsächlich die Konsequenzen zu tragen.
Etwas ganz anderes sind Spiele, die ungewollt Ecken und Kanten haben.
Die können trotzdem gut sein, aber ganz oft hat man dann den Effekt, dass ein gelungener Nachfolger ohne diese Macken es geradezu unmöglich macht, den Vorgänger noch mal zu spielen.
Z.B. die erste ("richtige") Generation Echtzeitstrategiespiele, in denen man keine Gruppen speichern konnte oder lächerlich wenige Einheiten gleichzeitig anwählen konnte (etwa Warcraft 1 mit sage und schreibe 4 Einheiten).
Diese Spiele verlieren durch das Entfernen dieser Macken kein bisschen, im Gegenteil.
Das hindert natürlich niemand daran, durch die Nostalgiebrille wohlwollend auf die Macken zurückzuschauen - das geht aber nur so lange, bis man es mal wieder spielt.
Neuauflagen und Remakes sind umgekehrt ganz vorne dabei, wenn es darum, diese Macken zu beseitigen.
Kurz: Ja, so war das früher und wir hatten Spaß dran. Aber wir hatten
trotzdem Spaß und nicht
deswegen.
Und damit sind wir bei Red Dead Redemption 2.
Erwähnt sei hier erst einmal, dass ich es nicht aus persönlichem Erleben kenne, aber das Phänomen zu erkennen und zu beschreiben traue ich mir dennoch zu.
RDR2 ist entsprechend der Eingangsüberlegung ganz entschieden unrund. Die Steuerung hakelt. Es verschwendet die Zeit des Spielers nicht mit beiden Händen, sondern mit dem großen Radlader.
Es hat teils intransparente, teils schlicht unfaire Mechaniken. Es bewegt sich in Sachen Realismus quasi im "uncanny valley" - einerseits sind manche Dinge mit einer unheimlichen Detailverliebtheit gestaltet, andererseits sind andere Dinge völlig daneben und brechen jede Immersion. Es hat die üblichen open world-bugs. Der Spielkern funktioniert nicht gut und beißt sich wie bei der GTA-Reihe mit dem open world-Ansatz.
Da würde man bei jedem anderen Spiel sagen: Ist enorm ambitioniert und hat seine netten Momente, aber insgesamt ist das nicht so gut gelungen.
Jetzt steht da aber RDR2 dran und deswegen hört man Ausagen wie:
Diese
Entschleunigung ist nicht nur gewollt, sondern sogar der Kern des Spiels.
Man muss sich eben drauf einlassen, aber dann ist es ganz toll.
Es ist vielleicht kein perfektes Spiel, aber es ist ein Kunstwerk (und vergibt dann 10/10 - als
Spielewertung).
Ich erschrecke bei jedem Review aufs Neue, wie nonchalant man u.A. Sachen wie die missratene bis beschissene Steuerung und den mit viel gutem Willen mittelmäßigen Shooterpart zwar erwähnt, aber auch direkt unter den Teppich kehrt und sinngemäß sagt: Das ist aber alles nicht so wichtig, weil...
Und dann kommt jede Menge Drumherum und "Fluff". Das Spiel glänzt sozusagen in den Randbereichen, geht dem Spieler aber an ganz vielen Stellen, wo es tatsächlich ums Spielen geht, unheimlich auf den Sack. Also flüchten sich viele in die Randbereiche und bewerten nur das, was ihnen gut gefällt.
Oder noch besser: Die beschissene Steuerung ist ABSICHT, weil damit
- der innere Konflikt des Protagonisten dargestellt wird.
- früher im Wilden Westen eben alles schwer und anstrengend war.
- blablubbfasel
Da fällt mir nichts mehr ein. Wer will denn ernsthaft behaupten, das Spiel wäre mit einer vernünftigen Steuerung nicht besser? Die haben doch einen an der Waffel.
Bemerkenswert daran ist für mich vor Allem, dass man das nicht auf die Nostalgiebrille schieben kann, sondern dass der Selbsttäuschungsmechanismus hier von Anfang an greift.
Dabei lügen sich wohlgemerkt nicht alle RDR2-Spieler dergestalt selbst in die Tasche - wenn ihnen das einfach nicht wichtig ist und sie tatsächlich nicht stört, ist es ok. Aber o.g. Auswüchse sind dann doch was anderes.
Und ganz zuletzt:
Die Parallele zur großen "Crunch"-Phase des Rollenspiels ist frappierend. Da werden "Realismus" und überbordender Detailreichtum als Wert an sich und grundsätzlich erstrebenswert angesehen - völlig unabhängig davon, was das aus dem
Spiel-Anteil des ganzen Konstrukts macht. In kompletter Verleugnung oder Unkenntnis des Umstandes, dass man selbst dann schauen müsste, wo man wie die Schwerpunkte setzt, wenn die Technik perfekt wäre.
Gerade angesichts dieser völlig unreflektierten Haltung, dass mehr und kleinteiliger stets besser wäre*, kann ich mich der Behauptung nicht anschließen, RDR2 hätte
open world gaming für immer verändert.
Wenn überhaupt, hat es der ganzen Thematik einen Bärendienst erwiesen.
Aber vielleicht ist RDR2 dermaßen weit in diese seine Richtung vorgeprescht, dass sich keiner in der Lage sieht, hier irgendwelche Klone abzuliefern, die da auch nur ansatzweise mithalten könnten - das würde ich mir zumindest wünschen.
*dabei hat man es bei Videospielen im Vergleich zum P&P-Rollenspiel ja bislang eigentlich ziemlich gut hinbekommen in Sachen Schwerpunktsetzung und stringentem Spieldesign (wobei man argumentieren kann, dass ein nicht völlig stringentes, "offeneres" Design auch eine Stärke sein kann - aber nur dann, wenn der Spieler tatsächlich die Möglichkeit hat, da was Interessantes draus zu machen, was im P&P-RPG regelmäßig der Fall ist, im Videospiel aber meistens nicht oder nur sehr bedingt). Völlig verzettelte, unfokussierte und überfrachtete Spiele sind ja eher die Ausnahme - umso verwunderlicher, dass RDR2 hier so sehr gegen den Strich bürsten kann und trotzdem von einigen als "logische Weiterentwicklung", als der nächste Schritt in Sachen Videospiel angesehen wird und nicht als das
trotzdem erfolgreiche Kuriosum, das es nun mal ist.
TL;DR:
RDR2 hat seine Macken nicht mit Absicht und Spiele tatsächlich absichtlich mit solchen Macken zu machen ist bestimmt nicht der nächste Entwicklungsschritt der Videospielindustrie.