Aber da ich generell eine Schwäche für diese Art Spiel habe (Open World, Sandbox, Crafting, Exploring, Survival ohne permanente Kämpfe)...
(Nicht böse sein, Wanderer, nur einfach mal wahllos rausgegriffen, damit ich einen Hook habe.)Das ist mal eine Aussage.
Ich schreibe hier auch nichts im Detail darüber, im Gegenteil. Aber es soll als Einleitung dienen, dass ich das genau anders empfinde. Für mich sind solche Spiele pure, emotional leere Mechaniken, die mit einer dünnen Schicht interaktiver Grafikoberfläche bepinselt worden sind. Belanglos, beliebig und mit der Gießkanne designed. Aber das empfinde ich bei Spielen wie "GTA IV" oder "Oblivion" oder so noch viel stärker so.
Ich hab mich immer gefragt, was genau mich am Open-World-Ansatz stört (zumal ich ja ein großer Fan des "Freies Bauen"-Ansatzes in Strategiespielen bin). Seit gestern Abend weiß ich es. Einfach weil ich gerade ein Spiel fertig gespielt habe, dass so ziemlich die gegenteilige Spielphilosophie hat. Und mich das so elektrisiert zurücklässt, dass ich jetzt um halb 5 Uhr morgens nach schlechtem Schlaf einen Text dazu schreiben
kann, nein, schreiben
muss.
Ich rede von
Detroit: Become Human von Quantic Dream.
Detroit ist eines der Spiele, die ich im Folgenden als Multiple-Choice-Storygames bezeichnen will. Es gibt sicher einen anderen, offizielleren Begriff dafür und ich bin dankbar, wenn den wer nennen könnte. Ich komme auf die Bezeichnung, weil das quasi das ist, was sie sind: Eine sich primär durch Entscheidungen entwickelnde, verzweigte, interaktive Geschichte, die dazu ausgelegt ist, mehrfach mit unterschiedlichen Entscheidungen gespielt zu werden.
Detroit gehört dazu. Die
Telltale-Spiele wie "The Walking Dead" oder "The Wolf Among Us" gehören dazu. Die
Life is Strange-Spiele gehören dazu.
Until Dawn und
Hidden Agenda auch.
Und dann gleich auch mal die Spoiler-Warnung, denn ich werde, viele Situationen dieser Spiele hier aufführen und beschreiben. Das tue ich in Spoiler-Tags und versuche sie mehr illustrierend zu verwenden, sodass sie für meine Argumentation nicht nötig sind. Aber ich garantiere für nichts!(Da drängt sich fast schon die Frage auf, für wen dieser Text bestimmt ist. Ich meine, ich will ja, dass ihr diese großartigen Games auch spielt. Besonders
Detroit. Das ist das Beste davon, nach meinem Dafürhalten. Ich denke, dieser Thread dient mehr als eine Rückversicherung, einfach weil ich an vielen Stellen und in vielen Diskussionen den Unkenruf vernehme, das seien ja alles keine richtigen Spiele. Aber Seilspringen, Lego-bauen und Vater-Mutter-Kind schon? Und Cookie Clicker? Naja...)
Aber okay, wo beginnen?
Vielleicht mit einem Geständnis:
Replayable Multiple-Choice-Storygames sind aktuell mein absolut liebstes Videospielgenre. Und, der eigentliche Geständnisteil:
Ich bin gradios schlecht in ihnen. Wirklich wahr. Ich habe am Ende immer ein suboptimales bis katastrophales Ergebnis. Vom zweiten Akt an entgleiten mir Story und Figuren zuverlässig.
Es endet im Fiasko... und ich meine nicht diese spaßig-skurrilen "schöne Menschen tun einander hässliche Dinge an"-Fiaskos Morningstar'scher Prägung, die ich so gerne auf Rollenspiel-Cons spiele.
Ich meine die tiefsten Tiefen menschlicher Abgründe, gepaart mit den höchsten Höhen menschlicher Hybris. Zusammengehalten von einer dicken Schicht menschlichen Unvermögens.
In
Replayable Multiple-Choice-Storygames läuft bei mir alles schief. Die Beispiele müsst ihr nicht lesen, aber sie illustrieren das ganz gut.
Bei Life is Strange stürzt sich die von ihren Mitschülern gemobbte Kate, die ich wesentlich sympathischer fand als Chloe, diese superegoistische, besitzergreifende Tussi, vom Dach in den Freitod. Ich habe mich wirklich angestrengt, sie zu retten.
Bei The Walking Dead sieht es um Lee am Ende recht einsam aus. Nur zwei Charaktere helfen ihm am Schluss, von vier. Nicht dabei: Kenny, den ich im Spiel als den Charakter mit der freundschaftlichsten Beziehung zu meiner Figur Lee gesehen habe. Dem ich ins Gesicht gesagt habe, wenn er eine dumme Idee hatte. Dessen Sohn, der von Zombies gebissen wurde, durch meine Hand starb. Der lässt mich am Ende allein.
Bei Until Dawn führe ich immerhin 5 von 8 am Ende wieder im Haus zusammen im letzten Akt. Durch die Nacht schaffen es trotzdem nur 2.
Und bei Detroit... waren am Ende alle tot, die mir etwas bedeutet hatten. Alle. Alle Hauptfiguren. Alle Nebenfiguren, zu denen die Hauptfiguren eine Beziehung pflegten. Alle.
Ich habe bei
Detroit einfach voll verkackt. Bis zu dem Punkt, bei dem die gesamte Geschichte nach gut 8-10 Stunden Spielzeit zu einem antiklimatischen Ende findet. Niederschmetternd.
Dass es so mies gelaufen ist, verdanke ich meiner grandiosen Unfähigkeit bei Quick-Time-Events, zurückzuführen auf meine sanfte Links-Rechts-Schwäche, die bei den PS4-Schultertasten unter Druck voll reingehauen hat. Hinzu kommt bei diesen Games bei mir regelmäßig, dass ich mich derart immersiv und emotional in die Situation begebe (bei
Detroit auf einem ganz neuen Level), dass ich mit den Figuren nervös bin. Dass ich mit den Figuren angespannt bin. Und dass ich mich auf der Metaebene die ganze Zeit dazu anhalte "Das darfst du jetzt nicht versauen." Und dann versaue ich es. Mächtig.
Und das beschäftigt mich dann mehr, als mein Versagen in irgendeiner anderen Art Spiel.
Aber ich versuche es anhand von 2 Vorurteilen zu umreißen, was ich genau meine.
1. RMC-Storygames erlauben keine so starke Identifikation wie Open-World-Games
Und hier kommen wir zu den Open-World-Spielen, die in ihrer Freiheit von Gamern als besonders immersiv besetzt sind. Tu, wonach dir ist. Sei, wer du willst. Du gestaltest dein Spiel. Du erzählst deine eigenen Geschichten. Was könnte wohl mitreißender sein, als das?
Echte Konsequenzen. Echte Emotionen. Dass es um etwas geht.
Diese Dinge finde ich in sehr freien Spielen nicht. Wenn ich bei "Red Dead Redemption 2" sterbe, dann bin ich halt tot, spawne beim nächsten Speicherpunkt und mache dann das Nächste, was mir gerade einfällt. Bei "GTA V" finde ich es sogar grob fahrlässig mit was man als gewalttätiger Verbrecher so alles durchkommt. Und "The Witcher"… tja, der sucht zwar nach seiner Tochter, nimmt sich dann aber doch die Zeit, um in der Wildnis einfach so auf Erkundungstour zu gehen.
Null Konsequenz. Ich würde sogar sagen: Inkonsequenz. Und damit habe ich in im weitesten Sinne "rollenspielerischen" Games einfach ein Problem. Es ist beliebig. Es ist wirklich egal was man tut. Ich könnte es auch einfach sein lassen.
Auftritt: Das Argument mit dem "Emergent Storytelling". Das sich aus diesen KI-Mechaniken, die miteinander interagieren ganz eigene Geschichten ergeben. Die vorher niemand vorhergesehen hat. Und der Spieler so seine eigene Geschichte schreibt, statt einer vorgeschriebenen zu folgen. Mark Brown hat in seinem tollen Gamemaker's Toolkit-Channel ein gutes Video dazu gemacht. Und ich habe jüngst, komm nur nicht mehr drauf wo, selbst so einen Moment gehabt und mir gedacht: Mensch, wie cool, dass das gerade passiert ist.
Allein: Ich habe nicht gedacht: Was für eine tolle Geschichte habe ich da grade erzählt. Ein Blogartikel, den ich mal gelesen habe, aber auf die Schnelle jetzt nicht finde, bringt es auf den Punkt: "Stories are always about something." Es gibt eine untergeordnete Ebene, eine offene oder versteckte Bedeutung. Jemand will etwas mit dieser Geschichte sagen. Schon mal versucht jemand anderem diese Emergent Stories zu erzählen und der andere erkennt Bedeutung darin? Genau, gar nicht so einfach.
Es sind keine Stories, die wir da erleben. Ich würde sagen wir machen Experiences.
Für mich als storyinteressierte, konsequenzenfokussierte Person, sind diese Games also eher nicht geeignet.
RMC-Storygames hingegen… puh… die sind voller Konsequenzen. Sogar die sehr linearen wie
The Walking Dead. Klar, ich kann nicht wirklich beeinflussen, wohin die Story sich entwickelt (bei
Detroit ist das dezidiert nicht so, da verlaufen die Geschichten sehr, sehr anders zum Teil). Aber es macht einen immensen Unterschied, wer dir am Ende die Hand zur Hilfe reicht und wer nicht. Keinen gameplay-technischen, vielleicht nicht mal einen großartig narrativen. Aber es macht einen emotionalen Unterschied.
Und bei
Detroit, da geht es dann sogar um noch viel mehr. Wenn du im Expertenmodus spielst (und das habe ich von Anfang an getan, weil das Spiel dann die höchste Immersion versprach, im Menu-Text), dann geht es im Grunde bei jedem Quicktime-Event, wo du Knöpfe drückst um alles oder nichts. Das hat mich als grottenschlechten Quicktimer auch so in die Scheiße geritten. Der emotionale Impact des Permadeath in diesem Spiel ist mit nichts zu vergleichen. Nicht einmal mit Permadeath in Spielen wie Dark Souls (hat das das? Weiß gerade nicht...). Denn da stirbt nur dein Charakter, du verlierst deine Ausrüstung und es du hast umsonst gespielt.
Bei Detroit passiert viel mehr. Denn du weißt und du siehst. Die Welt dreht sich ohne deinen Charakter weiter. Er hinterlässt eine Lücke im Beziehungsgeflecht der NPCs um ihn herum. Alles geht zum Teufel, alles, wofür du gekämpft hast. Das ist echtes Verkacken, nicht dieses poplige Rumgequeste in modernen Open-World-Games.
Wo wir eigentlich auch schon beim nächsten Vorurteil wären...
2. RMC-Storygames sind keine echten Herausforderungen
Immerhin braucht man ja, außer ein bisschen Grundmotorik beim Knöpfchendrücken, keine Skills dafür.
Also, wie eingangs gesagt, ich hätte bei
Detroit schon gerne ein bisschen Talent zum Knöpchendrücken gehabt. Das hätte mir heute Nacht ein paar Stunden mehr Schlaf beschert. (Und weil man ja erst gezeigt bekommt, was man drücken muss, ist es ja auch etwas Anderes als der routinierte "Drücke X für Y"-Spielansatz der meisten anderen Spieltypen).
Aber die Herausforderung ist, zumindest für mich eine andere. Ein gut gemachtes RMC-Game ist eine emotionale Herausforderung für mich. Dadurch, dass die Konsequenzen so schwer wiegen, habe ich bei
Detroit ständig die Schwere der Verantwortung gespürt. Und wenn dann etwas schief läuft, dann habe ich mit meinem Kumpel und meiner Frau, mit denen ich es gespielt habe, rumdiskutiert. Wie oft habe ich dieses Gameplay verflucht, einfach um ein Ventil zu haben, um nicht eingestehen zu müssen: "Nur ich ganz allein bin verantwortlich."
Ich lasse mich in der Regel sehr stark auf die Figuren ein… bis zu dem Punkt, an dem ich Gameplaymechaniken annehme, die gar nicht da sind. Wenn Alice zu Kara sagt "Mir ist kalt", dann ist das für mich nicht einfach eine Dialogzeile. Nein, in mir arbeitet es dann: Dem Kind ist kalt. Ich muss schnell einen warmen Ort finden, auch gameplaytechnisch kein Timer läuft – und dann lese ich auch keine von den blöden Achievement-Zeitschriften die da rum liegen… für sowas haben die Figuren aber auch wirklich in keiner Situation 'nen Kopp. Wenn meine Figur sich bewegt, dann darf sie nicht wie besoffen rumtorkeln, weil ich die Steuerung doof nutze, dann muss sie sich straight bewegen. Wenn ich eine Figur psychologisch durch meine Antworten so und so anlege, dann zieht sie das bis zum Ende durch.
Bei Marcus ist mir letzteres bei Detroit nicht immer gelungen. Ich habe zum Beispiel den Journalisten mehr aus einer Metagame-Perspektive heraus erschossen, obwohl wir Markus anders angelegt haben. Das haben wir aber genutzt, um ihn von da an weiter zu radikalisieren und immer gewalttätiger agieren zu lassen, um irgendwie die Psychologie der Figur zu retten. Bei Connor haben wir, als er nach seinem Tod ersetzt wird, entschieden ab jetzt total gegen die Software-Instabilität zu spielen, weil er jetzt ja quasi "resettet" ist. Ich war darin so gut, dass ich ihn sogar Dinge tun ließ, von denen ich als Spieler nicht wollte, dass sie passieren.
So ein interessantes Bild eines Charakters kann ich in keinem anderen Typ Spiel zeichnen. Wobei ich sagen muss, dass ich nicht alles nur aus Charaktersicht sehe. Grade wenn mal Laufwege zu tätigen waren oder in ruhigen Momenten haben ich und meine Mitspieler sehr meta diskutiert, was, wo und mit wem und die nächsten Schritte geplant. Und sobald ich dann gesteuert habe, war ich wieder drin. (Das ist auch ein Grund warum das Argument "Meta-Game-Mechaniken stören die Immersion" bei mir nicht zieht, ich kann raus- und wieder reinschlüpfen ohne da große Abriebeffekte zu bemerken).
Tatsächlich geht die emotionale Herausforderung bei mir zum Teil so weit, dass es bei mir den Replayable-Aspekt dieser Spieleart beschneidet. Wenn ich bei einer anderen Spielart irgendwas nicht schaffe, dann ist das nicht so tragisch: Selbst wenn ich frustriert bin, dann mache ich aus und dann später wieder an. Bei Spielen wie Detroit will ich nicht ausmachen, selbst wenn ich frustriert bin.
Zum Fluch wird es, wenn ich ein Spiel dieser Art nochmal spiele: Die Erinnerung an das Versagen in der und der Situation hängt wie ein Damoklesschwert über mir. Wenn die Situation dann kommt… dann habe ich Bammel davor, dass ich es wieder versaue. Das muss man runterschlucken und das tue ich auch meistens. Aber meinen zweiten Durchlauf von
Until Dawn habe ich nie beendet, weil ich weiß: Wenn du an der Stelle das Quicktime-Event verhaust, stirbt ein Charakter. Da habe ich mich nicht mehr rangetraut. Pffff, chicken...
(
Detroit hat an der Stelle ein weiteres Problem – es gibt einen besonderen Twist an einer Stelle, die dich das Spiel beim zweiten Durchlauf ganz anders sehen lässt, zumindest die Geschichte eines der drei Hauptcharaktere. Den frischen Blick kriege ich nicht mehr zurück. Das heißt, die wirklich runde Happy-End-Story ist für mich mit diesem Charakter nicht möglich. Und da das mein Lieblingscharakter ist, ärgert mich das schon sehr, dass ich beim ersten Mal derart schlecht war. Obwohl ich den Twist lange im Vorraus gewittert habe. Und ich habe sowieso das Problem, dass sich die erste Spielversion meistens dann doch als die "eigentliche" oder "definitive" bei mir einprägt, was die Sache mit
Detroit umso bitterer macht.)
Soweit zu meinen Gedanken zu RMC-Games und warum sie so gut für mich funktionieren. Sie kommen dem Drama-Rollenspiel am Pen&Paper-Tisch einfach auch am nächsten. Und sie erzählen echte Geschichten mit echtem, emotionalem Impact, zumindest kann ich mich darauf wahnsinnig gut einlassen. Das erlaubt ihnen übrigens auch, realweltliche Probleme und Konflikte des allgemein menschlichen viel plastischer vor Augen zu führen als viele andere Spiele (man kann natürlich auch mit dem Gameplay erzählen, aber es gibt wenige Spiele denen das gelingt… "This War of Mine" etwa gehört dazu). Detroit macht das auch zu Genüge. RMC-Storygames regen mich also zum Nachdenken an. Zum Grübeln. Mitten in der Nacht.
Abschließend kann ich nur sagen: Ich finde schade, dass diese Art Spiel so eine Nische ist. Ich hätte gerne mehr davon und ziehe sie bislang jedem Open-World-Titel vor. So geht es mir, ihr mögt das anders sehen. Aber es war mir wichtig mal was zu den RMC-Storygames zu schreiben. Einfach damit Nicht-Liebhaber wissen, was an diesen der Reiz sein kann.
Was sind eure Erfahrungen damit?