Ich halte Mittelerde für recht gelungen und einzigartig, wenn man nicht vom mechanistischen Ansatz her denkt ("Das muss alles wie eine echte mittelalterliche Welt funktionieren, sonst schlecht.") - Beispiel: Entvölkerungsdiskussion. Ich bin da immer schnell raus, weil ich bisher noch keine Fantasywelt erlebt oder beschreiben gesehen habe, die aus ökonomischer oder soziologischer Sicht realistisch erscheint. Es gab da mal eine Diskussion zu Rollenspiel auf der Scheibenwelt - das hat das ganze recht gelungen ad absurdum geführt. Es hat mich aber keineswegs entmutigt, Rollenspiel auf der Scheibenwelt zu betreiben.
Kurzer Exkurs: Rollenspielwelten sind für mich fluide Vorstellungsräume, in die man seine Abenteuerlust und Heldenreise einbettet. Das beginnt bei demjenigen, der sich diese Welt ausdenkt. Tolkien hat das ja nicht geschreiben, weil er eine soziologisch-ökonomische Abhandlung einer mittelalterlichen Alternativ-Realität mit Magie und Monstern schreiben wollte, sondern einen alternativen Mythos mit Fokus auf den Helden-Geschichten. Am Anfag stehen also die Themen, aus denen wurden die Heldenreisen der Charaktere geschaffen ("Erzählung"), und aus denen entstand die Notwendigkeiten der Welt, aus denen wiederum die Weltenbeschreibung resultierte.
Am Anfang, und also am wichtigsten sind die Themen, die Stimmung, die Emotionen, die mich inspirieren an einer Spielwelt. Alles andere folgt darauf und unterliegt diesem. Wenn etwas nicht passt, wird es passend gemacht - oder es verändert die Geschichte auf spannende Weise.
Zurück zur Frage: Was macht man mit einer Rollenspielwelt, die nach realistischen Vorstellungen überhaupt nicht funktionieren sollte, und welche Abenteuer spielt man dort, wo es wenig Monster und noch weniger Leute gibt, mit denen man interagieren kann?
Meine Antwort: So gut wie alles, SOLANGE es in die Stimmung und die Themen des Settings passt, wenn man mal etwas kreativ wird.
Ja, im späten Dritten Zeitalter ist es links und rechts der Nebelberge recht menschen(und zwergen- und elben-) leer, und über allem hängt die Trauer des zunehmenden Verschwindens des ersten Volks und der "Magie", und der Bedrohung eines übermächtigen Dunkelns. Aber eben nur "recht". Das Feeling in Eriador und bis zum Einsamen Berg ist "am Rande der Wildnis". Wer lieber "in Zivilisation" spielen möchte, der spielt halt in Rohan, Gondor, oder noch weiter im Süden, oder in Thal. Man kann auch einfach Thieves World in Umbar spielen.
Oder man geht noch weiter in den Osten - Tolkien hat sehr wenig über die Geburtstätte der hohen Völker geschrieben, aber man kann davon ausgehen, dass es dort reiche Elben (Avari)-Kulturen wie auch Menschen- und Zwergenreiche gibt. Wie der Einfluss dort von Morgoth und später Sauron war, kann man nur raten. Sind die "blauen Zauberer" dorthin gezogen und warum? Das ist eine riesige Tabula rasa, auf der man Wildsau spielen kann.
Die Welt ist also deutlich größer als der offizielle Lore, und wenn man sich geografisch bewegt, öffnen sich die Gestaltungsräume auch noch mal sehr schnell sehr weit.
Wenn Dein Problem eher ist, dass Dir die Abenteuer nicht (gut genug) vorformatiert sind, dann empfehle ich die neue Starterbox mit dem All-Hobbits-Abenteuer. Man muss allerdings sagen, dass die meisten TOR(1) Abenteuer in Form von Setting/Abenteuer-Ideen-Sammel-bänden kommen, und also nicht komplett vorgeschrieben sind. Das Problem wird also nicht kleiner (und es gibt viele SL, die so etwas bevorzugen).
Aber wenn Dir Mittelerde und die Themen davon grundsätzlich nicht zusagen, oder Du nicht ewig selber Weltenbauen willst, dann tust Du Dir keinen Gefallen, Dich zu "zwingen".
HARN wäre vielleicht eine Alternative, es bietet sehr viel low magic Fäntelalter, dass eher aus der anderen Arbeitsweise heraus kommt - Welt soll stimmen, Stimmungen und Themen werden (auch etwas künstlich regional begrenzt) eingebettet.