In Bertis Nebenthread bin ich über das hier gestolpert.
Hier muss ich auch nochmal einlenken. Bei der ersten Zuschreibung gehe ich ja noch mit. Bei der zweiten aber nicht. Ich bin nämlich ein "figurenimmersiver" Spieler (Ist in meiner Sig ja auch in Prozenten ausgedrückt). Das Erfahren der Welt durch die Eindrücke und Gefühle meiner Spielfigur ist mir enorm wichtig. Und mir geht es nicht alleine so: Ich habe Fate-Spieler prinzipiell als sehr "charakternah" wahrgenommen. Wenn man dann punktuell aus der Charakterperspektive wieder rausschlüpft, dann fndet man halt wieder rein. Bei mir geht das innerhalb einer Sekunde. Ich nehme die charakteristische Haltung und Stimme meines Charakters an und weiter geht's.
Wer so schnell rein und raus ist, war entweder nie wirklich drin oder macht sich da nicht wirklich Gedanken über das was er da "draußen" anstellt.
Ich habe das Gefühl, mich hier rechtfertigen zu müssen. Denn es schiebt mich, der ein sehr figurenzentrierter Spieler ist, nämlich in eine Schublade, in der ich mich nicht sehe. Und ich möchte wetten, viele von den Fate-Spielern und Story-Gamern mit hohem Meta-Anteil würden dieser These genauso leidenschaftlich widersprechen wie ich.
Es ist eine Sache für sich selbst zu sagen: XYZ reißt mich aus der Charakterimmersion.
Es ist eine ganz andere Sache, für einen Spieler (und stellvertretend einen ganzen Spielstil) die Fähigkeit zur Figurenimmersion komplett in Abrede zu stellen.
Mich wundert aber nicht, dass eine solche Behauptung irgendwann mal folgen musste. Das liegt einfach daran:
Immersion ist ein furchtbar schwammiger Begriff. Wir reden ständig davon, dass wir sie erreichen wollen und dass wir sie nicht erreichen, wenn wir uns auf der Meta-Ebene aufhalten (noch so ein schwammiger Begriff, weil, wie andere schon an anderer Stelle vollkommen richtig gesagt haben, so ziemlich jede Interaktion mit dem Charakterblatt, Nutzung einer Battle-Map, das Abspielen von Hintergrundmusik,
fancy dice tricks sowie Outgame-Kommentare wie "Reichst du mir mal die Cola" als Interaktion mit der Metaebene gewertet werden können, weil sie nicht strikt aus Figurenperspektive erfolgen).
Aber zurück zur vielbeschworenen Immersion. Kritiker an Spielen, bei denen das Spiel sich gehäuft auf die, okay, sagen wir wirklich "Metaebene" verschiebt, argumentieren damit, das ist ihre Immersion stört. Dass sie also nicht wirklich im Charakter drin sind und sich deshalb von ihrem Charakter entfernt haben. (Gleichzeitig stellen diese Spieler ja durchaus metastrategische Überlegungen an wie "Wo bewege ich mich am Besten hin, damit mein Feuerkegel den Gnoll genau trifft". Oder "Okay, ich finde wir müssen jetzt rasten, damit sich meine HP wieder regeneriert." Das aber nur am Rande.)
Ich finde es da erstaunlich, wie wenig wir uns dabei doch die folgenden Fragen stellen:
1. "Wie findet man in einen Charakter rein?"
2. "Was bietet die vollkommene Immersion in einen Charakter mir an Spielweltzugängen und Spaßquellen, die ich sonst nicht hätte?"
3. "Wenn Metaregelanwendung die Momente der niedrigsten Immersion sind, was sind dann die Momente der höchsten?"
4. "Ist Immersion binär (on/off) oder graduell?"Ich will zuförderst mal die Fragen für mich beantworten, um vielleicht mal eine dezidiert durch meine Rollenspielsozialisation gefärbte Perspektive anzubieten. Ich will aber vorher noch etwas sagen: Ich glaube, dass die Art und Weise, wie man in Charaktere hineinfindet und mit ihnen "verschmilzt", von unterschiedlichen Rollenspielern auch unterschiedlich bewerkstelligt wird. Ich glaube ferner, dass die Kritiker der Metaebene gar nicht mal die Brüche im Metabereich selbst stören, sondern die lange Zeit, die sie zum Wiederfinden der Charakterebene brauchen (was, wie ich betonen möchte, vollkommen legitim ist... jeder Jeck ist anders.)
1.Übers Schauspiel. Bei mir finde ich in den Charakter, wenn ich seine Manierismen übernehme. Ich gewöhne mir für meine Charaktere gerne eine bestimmte Art zu Sitzen oder zu Sprechen an. Ich nutze, wo es sinnvoll ist, gerne Props, die den Charakter unterstreichen müssen. Diese Manierismen anzunehmen hilft mir dabei, Metaebene und Charakterebene strikt zu trennen. Und gleichzeitig helfen sie mir dabei, schnell und sehr punktuell in den Charakter reinzuspringen.
Mein letzter Shadowrun-SC hat beispielsweise berlinert, wenn ich also von "ick" statt "ich" sprach, war für alle am Tisch nicht nur klar, dass ich als "Candy Cane" spreche, sondern ich habe quasi per "Selbstsuggestion" auch stärker in sie reingefunden. Wenn ich bei meinem Barockzwerg bei "Agone" das Taschentuch aufgenommen und an meinen Mittelfingerring gehangen habe und dann damit rumgewedelt habe, war klar, dass ich jetzt eben der "Leopold" bin und nicht mehr der Jiba.
Das funktioniert nicht nur nach außen, sondern eben auch nach innen. Ich versuche immer eine gewisse Körperlichkeit in den Charakter reinzubringen. Aber auch nicht immer. Es gibt Charaktere, bei denen tue ich das nicht.
Für die ist es dann vor allem die Interaktion mit anderen Charakteren, die diese Immersion herauskitzeln und mich reinfinden lassen. Ob das jetzt NSCs sind oder die Spielwelt selbst, spielt erstmal keine Rolle. Wenn ich mich im Mindset meines Charakters mit anderen Charakteren auseinandersetze, kommt die Immersion quasi von selbst.
Wie gesagt, dieses in den Charakter schlüpfen und ihn dann auch in seiner Perspektive erleben, kann punktuell geschehen. Auch direkt nach einer sehr intensiven Aspekte-Hin-und-Her-Schieb-Aktion.
(Mir ist auch bewusst, dass ich in einem alten Thread von mir mal die These vertreten habe, dass es Immersion so gar nicht gebe. Davon bin ich abgerückt, seit mir klar wurde, was mein eigener Zugang dazu ist.)
Ich sollte auch sagen, dass ich in meiner Jugend viel Theater gespielt habe, wo wir von der Maske mit Cola in der Hand dann vom ein auf den anderen Moment im Schloss des Grafen von Moor sein mussten. Das hat sicherlich meinen Zugang zum Rollenspiel sehr beeinflusst. Es ist dem Rollenspiel mit seinen Wechseln zwischen Meta- und Spielwelt-Ebene dahingehend ganz ähnlich.
2.Einen intensiven Zugang zu den Gefühlen der Figur. Das kann das Gefühl der Angst sein, des Nervenkitzels oder auch Gefühle, die sich mehr auf zwischenmenschliche Interaktionen beziehen. Es ist weniger der Stolz des "Jetzt bin ich ein großer Held!" (ich spiele auch sehr gerne Antihelden), sondern das Versenken in die Gefühlswelt einer Figur. Die Frage, wie lange es dauert, zumindest bei mir, um mich in die Gefühlswelt dieser Figur zu versenken, hängt mehr von dem ab, was auf der Spielweltebene erzählt wird als davon, was auf der Metaebene geschieht.
Faustregel: Viel zwischenmenschliche Interaktion, viel knallharte Action, viel harte Entscheidugen = stärker bebende Gefühlswelt des Charakters
Ich habe bei mir festgestellt, dass die Metaebene (zumindest die Aspekte bei Fate) dabei auch sehr helfen, denn sie platzieren die Figur in der Geschichte, geben Anhaltspunkte dafür, welche Rolle die Figur einnimmt. Das erzeugt Anreize fürs Schauspiel in der Spielwelt. Das hilft mir in die Figur zu finden und macht die Immersion für mich intensiver.
Aber der Zugang zur Spielwelt läuft für mich hauptsächlich auf der Gefühlsebene ab. Und sicherlich auch auf der Ebene, wie die Figur zu denken.
3.Wie oben schon angeklungen: Die Momente, in denen die Gefühle von Figuren auf der zwischenmenschlichen Ebene miteinander kollidieren oder die Figuren stark zueinander treiben. Hasserfüllte Feindschaften, ausgespielt. Verlustgefühle, ausgespielt. Momente der Freundschaft, ausgespielt. Wenn der Charakter in den Trümmern des niedergebrannten Hauses nach seiner verlorenen Liebe sucht. Wenn er feststellt, dass der grausam entstellte, untote Feind, den er niedergestreckt hat, eine Familie hat und Kinder aus einem früheren Leben, die ihn lieben und dem Charakter unter Tränen Rache schwören. Das sind Momente, da geht die Immersion bei mir durch die Decke!
Auf welche Weise diese Momente jetzt spielmechanisch vorbereitet worden sind, spielt einfach keine Rolle. Das ist reine Präferenz, ob man jetzt als Autor mit am Setting basteln will oder nicht. Es ist (zumindest in meiner Erfahrung als Rollenspieler) vollkommen davon entkoppelt. Ja, damit ist es tatsächlich "egal", ob man jetzt Fate spielt oder GURPS oder old D&D oder Storyteller. Letztlich muss man selbst damit klarkommen. Unzweifelhaft ist natürlich, dass unterschiedliche Spiele, unterschiedliche mechanische Zugänge zur Spielwelt bieten. Da zählt dann der eigene Gusto. Und ich muss zugeben: Starker Crunch mit vielen Modifikatoren, die es zu beachten gilt, kann für mich das Schlüpfen in den Charakter behindern. Anderen mag es so mit Metamechaniken gehen.
4. Diese Frage möchte ich eher der Community mit auf den Weg geben, denn da habe ich für mich auch noch keine passende Antwort.
Für mich wäre sie ja eher binär – begibt man sich in die Charakterperspektive, ist man in der Charakterperspektive. Ich denke aber auf der anderen Seite auch, dass Momente intensiverer und weniger intersiverer Immersion gibt. Sicherlich kennen viele Rollenspieler das Phänomen, dass man den eigenen Charakter, unabhängig vom System irgendwie nicht richtig greifen kann oder nicht richtig finden will.
Was die eigene Immersion intensiviert oder hindert und damit die Intensität erhöht oder senkt, sind glaube ich sehr subjektive Kategorien. Wenn ich also sage: "Bei mir sind sehr harte, sehr komplexe Regelmechaniken mit Positionierung und abstrakten Bewegungs- und Wundmodifikatoren echte Immersionskiller, weil sie mir nichts erzählen und mir keine Auskunft darüber geben, was in meinem Charakter eigentlich los ist." dann ist das genauso valide, wie wenn ich sage "Bei mir ist dieses wachsweichen Aspekte- und Punkte-Rumgeschiebe ein echter Immersionskiller, weil sie mir nicht sagen, wie mein Charakter mit der Physik der Spielwelt interagiert."
Der eine hat nicht mehr Recht oder Unrecht, seine Immersion angegriffen zu sehen, als der andere. Und der eine ist auch nicht immersionsbefähigter als der andere.
Und jetzt kommt ihr. Beantwortet die vier Fragen für euch, gerne mit Anekdoten, und lasst uns darüber reden, was das überhaupt ist, diese ominöse Immersion.