Zumindest einige JRPG-Serien sind übelste Klischee-Sammler. Auch ein Grund, weshalb ich mit Ni No Kuni erst ein einizges durchzuspielen geschafft habe, und das ist eher untypisch.
In westlichen Spielen gibt es da eher eine Mischung aus klischeebeladenen Auserwählter-Weltrettungs-Plots und differenzierteren Stories.
Disclaimer: Ich hatte Einiges mehr dazu geschrieben, um deinen letzten Satz in die Mangel zu nehmen, aber mein Computer hat den Text gefressen, also in aller Kürze.
Ich erkenne darin eine Pauschalisierung, die so nicht stimmt. Oder zumindest lange Zeit so nicht stimmte. Die Stories von JRPGs sind eben nicht weniger differenziert als die westlicher RPGs, die Klischees sind nur andere. Für jeden auserwählten JRPG-Teenager, der am Ende Gott tötet, gibt es im westlichen RPG einen athletischen, halb-schnöseligen Fantasyrecken mit Aragorn-Gedächtnis-Frise. Und von den ganzen Fantasy-Dads mit ihren maskulin strengen, aber versteckt einfühlsamen Erziehungsmethoden fange ich erst gar nicht an.
Jetzt gebe ich zu, dass mein Zugang zu JRPGs geprägt ist von den frühen JRPG-Generationen, vor allem von der goldenen Playstation 1-Zeit. Und zu diesem Zeitpunkt hatten JRPGs, die ich zusätzlich zu Computer-RPGs wie
Baldur's Gate gespielt habe, einfach die besseren Geschichten. Also, die aus meiner Sicht besseren Geschichten, weil sie etwas taten, was WRPGs eigentlich nie gemacht haben:
JRPG-Stories waren intim und persönlich. Da ging es um Dinge wie Freundschaften. Liebesbeziehungen. Familien. Den eigenen Platz in der Welt. Moralische Kategorien. All diese Dinge haben WRPGs inzwischen sehr prominent auch und einige WRPGs hatten einzelne Elemente sogar schon viel früher. Aber der Fokus von JRPGs lag eben auf den oben genannten Aspekten. Ich fand das als Jugendlicher deutlich zugänglicher und finde das heute zum Teil immer noch so. Das liegt auch daran, das JRPGs natürlich grundsätzlich schillerndere Charakterdesigns haben, als WRPGs, was je nach Genre aber nichts Schlechtes sein muss (ist ähnlich wie die Frage, ob ein Stoff als Animationsfilm oder als Realverfilmung besser funktioniert... da gibt es keine pauschale Antwort, ob es gelingt, hängt vom Stoff selbst ab). Und damit waren die Charaktere in der JRPG-Frühphase auch immer deutlich diverser als die in WRPGs (ein Charakter wie Yangus aus
Dragon Quest 8, als ein (zugegebenermaßen auf Lacher ausgerichteter) fetter Badass... so einen Charakter würde man glaube ich selbst heute nicht in einem JRPG finden).
Ich habe die Charaktere in vielen westlichen RPGs in früherer Zeit als deutlich stumpfer empfunden als die in WRPGs. Das gilt auch für ihren emotionalen Impact auf mich.
- Ich hatte keine besonderen Emotionen, als Kagain nach stundenlangem Spiel in Baldur's Gate meine Gruppe verließ, wegen Differenzen mit dem Rest.
- Ich war emotional sehr mitgenommen, als Sue nach stundenlangem Spiel in Grandia Justin eröffnet, dass sie den Rest des Weges nicht mit ihm gehen wird.
Ein wichtiger Aspekt dabei: Ich habe mit Sue vorher zahllose Male zu Mittag gegessen und gelacht. Ich habe mir ihre Sorgen und Nöte angehört, die sie in kurzen Dialogszenen mit mir geteilt hat (kurze, wohlgemerkt – Konsolenrollenspiele haben definitiv nicht so starke Walls of Text produziert wie manche WRPGs). Am wichtigsten aber: Ich habe in Sue's Augen schauen können, in Form ihres kleinen Animeportraits, das an der Messagebox klebte. Viele JRPGs waren irgendwie näher am Charakter und haben sich mehr damit beschäftigt, wie diese Leute sich fühlen und weniger damit, was diese Leute so können.
Aber, wie gesagt: Ich betrachte die Frage von der Warte eines JRPG-Fans der frühen 0er Jahre. Und da waren diese Spiele in den Bereichen World Building, Story und Charakterdesign einfach noch um Längen voraus. Und auch viel facettenreicher, was die Themen der Spiele anging.
- In
Final Fantasy 7 habe ich als Teil einer ökoterroristischen Bewegung den Planeten gerettet.
- In
Wild Arms habe ich mich durch ein westernartiges Setting voller vorzeitlicher Ruinen gekämpft.
- In
Grandia bin ich bis zum Rand der Erde gereist, einer gigantischen Mauer... und ich habe sie erklommen, um zu sehen, was dahinter ist.
- In
SaGa Frontier 2 begann ich als das Gegenteil eines Auserwählten – als ein Thronerbe, der verstoßen wird, weil er im Gegensatz zum Rest der Welt eben keine Magie wirken kann – und habe dann eine Geschichte gespielt, die mehrere Generationen umfasst hat (man hat am Ende einen der Main-Helden als Großvater mit dabei, nachdem man ihn lange nicht gespielt hatte).
- In
Suikoden 1 und 2 habe ich eine politisch komplexe Revolutionsgeschichte gespielt,
die ein YouTuber nicht ohne Grund mit Game of Thrones verglichen hat.Und, um weiter voranzuschreiten.
- In
Eternal Sonata habe ich einen Fiebertraum von Francois Chaupin auf seinem Totenbett durchlebt, in dem er sich ein letztes Mal gegen seine Krankheit aufbäumt und sich eine Welt erträumt, die voller musikalischer Anspielungen ist (die tatsächliche Story war wirklich nicht so gut, aber Leute, diese
Prämisse allein!)
- In
Dragon Quest 8 bin ich in eine der profundesten Fantasy-Parodien eingetaucht, die ich je spielen durfte. Der Humor war zum Teil zotig, oft sehr anarchistisch, aber zieht sein eigenes Genre wunderbar durch den Kakao...
- In
Kingdom Hearts 1 u. 2 habe ich die künstlerische Eleganz dahinter, zwei so unterschiedliche IPs so gekonnt und nahtlos miteinander zu verbinden, absolut beeindruckend gefunden. Und das Spiel gibt emotional genug Turbo, dass etwas passiert ist, was ich niemals für möglich gehalten hätte: Ich hatte einen Kloß im Hals über Goofy, als es kurzzeitig so aussah, als wäre er gestorben.
In all diesen Spielen stecken gute Geschichten oder zumindest gute Szenen, gute Momente. Weil: Emotionale Geschichten. Szenen, die sich darauf stützen, was ihre Charaktere fühlen. Zwischenmenschliche Momente.
Gut, das JRPG hat als Genre in den letzten Jahren schon viel Wasser getreten und braucht dringend wieder eine Innovationswelle, auch damit es seine Stärken, die damals noch im Storybereich lagen, wieder voll ausschöpfen kann. Denn, ja, ihr habt damit Recht, dass moderne WRPGs da stark vorlegen im Moment. Aber eben auch nicht pauschal ("Skyrim" gewinnt für seine Main Quest jetzt auch nicht den Originalitätswettbewerb).
Aber, viel grundsätzlicher: Ich finde, dass eines der größten Missverständnisse in diesem ganzen Zusammenhang das ist, dass wir JRPGs und WRPGs als dasselbe Genre betrachten. Das wäre, als würde ich mich bei
Sim City darüber ärgern, dass ich keine Panzer bauen kann, und bei
Command & Conquer darüber, dass ich keine Parks bauen kann.
Wer die hochgepitchte Stimme ertragen kann,
dem sei diese Videoserie zu den Unterschieden zwischen WRPG und JRPG empfohlen. Wir reden hier nicht über dasselbe Genre. Deshalb sind einige der Klischees in JRPGs genauso wie einige in WRPGs im Kontext ihres eigenen Genres zu betrachten. Und da gibt es dann jeweils klischeehafte Titel und weniger klischeehafte.
End-Disclaimer: Tja, ist doch wieder etwas mehr geworden.