Hier mal der erste Wurf. Gefällt mir soweit schon recht gut, meine einzige Sorge ist, dass der Charakter zu passiv / abwehrend ist. Da müssten wir dann nach Möglichkeit bei den Beziehungen zu den anderen Charakteren noch was einbauen, was ihn dann doch aus seiner Lethargie reißen könnte.
Klaus-Peter SchulzeKP war Punk, Schläger, Polizistenmörder. Wurde durch Flucht und Knast paranoid. Sieht keinen Sinn mehr im Kampf gegen das verhasste System, sucht einen neuen.
Stärke: Gewalt
Schwäche: Verfolgungswahn
Intro
Landgericht Frankfurt, große Strafkammer, 16. April 1992“Möchte der Angeklagte abschließend noch etwas sagen?” fragt der Vorsitzende. Es ist der letzte in einer endlos scheinenden Reihe von Verhandlungstagen. Die Anträge sind gestellt, die Staatsanwaltschaft fordert lebenslänglich, die Verteidigung 10 Jahre. Jetzt kommt es. Mein Anwalt hat es mit mir einstudiert. Nicht bloß eine Entschuldigung, es muss wie echte Reue aussehen. All die mildernden Umstände, schlechten Erfahrungen, Traumata, müssen nun abgerundet werden durch: Einsicht. Dann können sie sich zufrieden zurücklehnen, sie haben mich nicht nur eingesperrt und misshandelt, sondern auch umerzogen. Sie haben aus meinem eigenen Mund die Bestätigung gehört, dass sie im Recht waren, ich im Unrecht. Nun können sie sich gut fühlen angesichts ihrer überaus großen Milde, da sie auf die harte Strafe, die ich eigentlich verdient habe, verzichten.
Sie gewinnen. So sei es, ich will nicht mehr kämpfen, ich will einfach nur nicht den Rest meines Lebens im Knast verbringen. Fast zwei Jahre sitze ich schon in U-Haft. Vorher dachte ich, ich hätte in diesem Land keine Freiheit, dachte, mein provinzielles, kleinbürgerliches Elternhaus, später das katholische Jugendheim, das seien schon Gefängnisse gewesen, eine Haftanstalt könnte kaum schlimmer sein. Ich Idiot.
Langsam stehe ich auf. Riskiere einen Blick hinüber zur Bank der Nebenklägerin, wo die Witwe des Bullen sitzt, die Mutter seiner zwei Kinder. Lieber würde ich Hass sehen, als Mitleid, aber ich kann ihren Blick überhaupt nicht deuten. Was bin ich für sie? All die Gewalt, die ich abbekommen habe, der prügelnde Vater, die “Erziehungsmaßnahmen” im Heim, die eingekesselten Demos, die Räumungen besetzter Häuser. All das hat sie gehört, während des Prozesses, bedeutet ihr das irgendwas? Wie die Bullen meinem Kumpel beide Beine brachen, sodass er nie wieder richtig laufen konnte, und dabei lachten. Wie sie mich acht Stunden in einem Bus sitzen ließen, blutend, mit Kabelbinder gefesselt, bis ich mir in die Hose pinkelte.
Der tote Bulle war einer von denen, hätte einer von denen sein können. An diese Gewissheit habe ich mich geklammert. War er genauso ein prügelndes, versoffenes Schwein wie mein Vater? Kann seine Familie in Wirklichkeit froh sein, dass sie ihn los ist? Oder war er tatsächlich so ein feiner Kerl, wie die Staatsanwaltschaft es dargestellt hat, lustig und allseits beliebt, hilfsbereit, einer, der zur Polizei ging, um Mörder und Vergewaltiger zu jagen, nicht um Demonstranten zu verprügeln?
In jedem Krieg werden Unschuldige getötet. Wir kämpften für die gerechte Sache, doch die Ironie ist, wir hatten nie eine Chance auf den Sieg. Wir hatten ja noch nicht mal eine richtige Strategie. Den Bullen zu töten, hatte keinen Sinn.
Ich halte mich an das Skript, wie demütigend es auch sein mag. Und tatsächlich bricht meine Stimme ein bisschen bei den Worten: “Es tut mir leid.” Vielleicht stimmt das ja sogar. Als ich mich setze, zeigt mein Anwalt unter dem Pult den Daumen hoch. Die Richter glauben es, weil sie es glauben wollen. Ich bekomme zwölf Jahre, die Staatsanwaltschaft legt keine Berufung ein. Nach sechs Jahren werde ich auf Bewährung entlassen.
BStU Außenstelle Neubrandenburg, 2. November 1998“Dann kommse mal rein. Dis hier is Ihre Akte. Janz schöner Klopper, wa?” Die Dame von der Gauck-Behörde macht eine einladende Geste. Ich setze mich mit zitternden Händen an den Tisch und beginne zu blättern. Es ist alles da. Ich hatte mir bis zuletzt eingeredet, dass es eine Fälschung wäre, ein Versuch des kapitalistischen Systems, den Sozialismus zu diskreditieren. Aber es ist mein Leben, vier Jahre davon, vermutlich die glücklichsten vier Jahre, die ich hatte. Das kann niemand fälschen. Sie haben mich die ganze Zeit überwacht, lückenlos. Ich ahnte nichts davon.
Nach meiner Flucht gaben sie mir eine neue Identität und bereiteten mich auf das Leben in der DDR vor. Ich bekam eine Wohnung in der Platte in Neubrandenburg, und einen Job, ausgerechnet bei der städtischen Mülldeponie. Die Ironie blieb mir nicht verborgen. Doch nach einem turbulenten Jahr auf der Flucht, in Verstecken, immer in Angst vor der Entdeckung; nach all den Zweifeln, all dem Streit, der bitteren Erkenntnis, dass keiner mehr auf unserer Seite stand, keiner mehr an die Revolution glaubte, nach den Schießereien und Verfolgungsjagden, dem Blut, den Schmerzen, der stümperhaften Notoperation in einem kalten Keller; nach alledem war die Leere, die Ereignislosigkeit meines neuen Lebens eine unfassbare Erleichterung. Ich hatte geglaubt, der Stoff zu sein, aus dem Guerillakämpfer gemacht waren. Ich hatte mich geirrt.
Die Schussverletzung schmerzte noch und die Alpträume kamen noch jede Nacht, aber es wurde besser. Ich freundete mich mit ein paar Nachbarn und Arbeitskollegen an, hatte sogar ein Mädchen. Doch all das war auf Lügen gebaut. Meine Freunde waren überzeugte Sozialisten, sie alle waren ebenso entgeistert wie ich über den Sturz der DDR. Doch sie alle waren dennoch schockiert, als ich an einem regnerischen Junimorgen auf der Deponie verhaftet wurde und sie erfuhren, was ich getan hatte. Keiner von ihnen besuchte mich im Knast, keiner von ihnen beantwortete meine Briefe.
Nach all meinen Lügen habe ich vermutlich kein Recht, mich ausgerechnet von der Stasi verraten zu fühlen. Und doch. Der Eingriff in meine Privatsphäre tut in gewisser Weise mehr weh als Tränengas oder Schlagstöcke. Auch in der DDR bin ich nicht frei gewesen.
Frankfurt-Nordweststadt, 15. September 2008“Hey KP, hast du schon gehört?” fragt Bülent aufgeregt. “Lehman Brothers ist pleite! Das ganze Finanzsystem der Amis steht am Abgrund! Es beginnt, Digga, ich sag’s dir, es beginnt!” Bülent gehört zu einer Clique von Kids, die bei Attac und im CCC sind und mir MP3s von beknackten Rap-Songs oder, wenn ich Glück habe, weniger beknacktem MetalCore und anderem Post-Punk-Zeugs schicken. Heutzutage kann man ja alles googeln, so haben sie meine Geschichte herausgefunden. Irgendwann kamen sie mit einem alten Fahndungsfoto an, ich als dürrer Anfang-20-jähriger Punk mit Iro und Nieten-Lederjacke.
Für die bin ich ein Held. Das tut irgendwie gut, aber irgendwie auch nicht. Ich will Bülent sagen, er soll kein Idiot sein, das System gewinnt immer. Stattdessen ringe ich mir ein Grinsen ab, akzeptiere die selbst gedrehte Kippe und höre ihm zu, wie er über den Anfang vom Ende des Kapitalismus fabuliert. Es ist ein schöner Tag, wir hängen am Einkaufszentrum rum, ich habe sonst nichts zu tun. Später ziehen die Kids weiter, ich gehe zum Aldi, hole mir eine Tiefkühlpizza, Schokolade, Cola und Tabak und mache mich auf den Weg nach Hause.
Als hätten sie mich nicht schon genug gedemütigt, kommt das System jetzt für mich auf. Wegen der alten Schussverletzung und der von der Knast-Therapeutin diagnostizierten Angststörung bin ich anerkannt erwerbsunfähig und erhalte eine Rente. Selbst meine Bewährung ist abgelaufen, ich bin ein freier Mann. Frei? Früher hätte ich ausgespuckt, wer wollte das Freiheit nennen? Doch sechs Jahre Knast haben mich gelehrt, dass es verschiedene Grade von Unfreiheit gibt.
Ich öffne die Tür zu meiner Eineinhalb-Zimmer-Sozialwohnung. Es stinkt nach Rauch und gammelnden Essensresten, aber das kratzt mich nicht. Ich war Obdachloser, Hausbesetzer und Müllmann, meine Nase ist hart im Nehmen. Ich schließe die Tür hinter mir ab, lege die drei Riegel vor und checke die Wohnung auf Spuren von Eindringlingen und Wanzen, wie immer. Ich weiß, dass das wahrscheinlich Schwachsinn ist, aber ich kann nicht anders. Ich schalte den Backofen ein und dann den Rechner. Eigentlich will ich nur World of Warcraft zocken und nicht über meine traurige Existenz nachdenken oder über das kapitalistische, imperialistische Weltbild, das dem Spiel zugrunde liegt. Aber dann surfe ich doch zuerst auf ein Antifa-Forum, in dem ich regelmäßig rumhänge. Natürlich drehen alle durch wegen der Lehman-Pleite.
Die checken es einfach nicht, diese Idioten. Das System gewinnt immer. Die einzige Frage ist, wie du vielleicht hier und da dem System ein Schnippchen schlagen kannst. Oder wie sich eine trostlose Existenz wie die meine wieder mit etwas Sinn füllen lässt.
OutroBeziehungen zu den anderen Charakteren- Anna: Ich konnte sie eigentlich nie leiden, für mich war sie die reiche Göre, die die Revoluzzerin spielte. Doch am Ende zeigte sich, dass ich falsch lag: Ich verlor nach der ersten Schießerei die Nerven, sie hingegen konnte nicht mal der Knast brechen. Seit meiner eigenen Haftentlassung habe ich Anna jede Woche im Gefängnis besucht. Ich weiß, wie es ist, ganz alleine da drin zu sein, ohne Verbindung zur Außenwelt. Wir waren sehr vorsichtig, worüber wir sprachen, denn wir waren sicher, dass man uns abhörte, und selbst wenn nicht, wären Gespräche über die Vergangenheit ein Minenfeld gewesen. So sprachen wir über dies und das, unverfängliches, alltägliches. Unsere Gespräche wurden zu einem Anker für mich, wichtiger als die Therapie. Daher hatte ich Angst vor dem Tag, als sie entlassen wurde. Angst, dass diese für mich so wichtige Routine nun verschwinden würde, und Angst davor, was Anna nun von mir erwarten würde.
- Jocke: Wir waren Kumpel. Ich mochte den Typ einfach, wir waren auf einer Wellenlänge, nicht nur politisch. Wir konnten zusammen Punkrock hören, kiffen, rumblödeln und von einer besseren Zukunft schwärmen. Es tat mir damals weh, wie er Anna angeschmachtet hat und so offensichtlich unglücklich war. Ich schützte ihn bei meinem Geständnis, tat so, als wüsste ich nur wenig über ihn. Er war entkommen, das war ein Trost. Ich würde nicht im Traum darauf kommen, dass er es gewesen sein könnte, der den Bullen damals den Tipp gegeben hat. Den Tipp, der zu der Schießerei führte, bei der ich einen Menschen tötete und selbst eine Kugel abbekam. Ein so abscheulicher Verrat, von Jocke? Undenkbar.
- Marley: Sie war der Sonnenschein im Team, durch sie war es leicht, daran zu glauben, dass wir Helden waren, zu den Guten gehörten. In dieser ersten, siegestrunkenen Nacht nach dem Banküberfall küsste sie mich, nur ein einziger Kuss. Ich brachte nie den Mut auf, sie noch mal zu küssen, aber ich dachte oft daran. Bis zu dem Tag der Schießerei. Wie sie mich ansah, nachdem ich den Bullen erschossen hatte. Diesen Blick werde ich nie vergessen. Auch Marley gab ich bei meinem Geständnis nicht preis. Ich habe sie nie gegoogelt, nie nach ihr gesucht. Will die Bullen nicht zu ihr führen, denn ich bin sicher, dass sie jeden meiner Schritte überwachen. Vermutlich will sie mich sowieso nicht sehen.