Joachim Heyer aka Carlos Joaquín Ortega
IntroEigentlich ging es um Befreiung. Befreiung von den Fesseln kapitalistischer Knechtschaft. Befreiung von einschränkenden gesellschaftlichen Regeln. Befreiung von staatlicher Bevormundung. Aber noch bevor ich da richtig mitgemacht habe, wurde klar, dass das nicht so einfach werden würde. Ohne Gewalt ging da nichts. Dabei war meine Überzeugung immer, dass nichts gewaltiger ist, als die Massen, wenn sie mal anfangen, sich zu bewegen. Agitation war angesagt, Haus- und Betriebsbesetzungen. Von dem ganzen elitistischen Schmonzes der RAF hielt ich erst mal nichts. Der Grund dafür, dass ich da trotzdem rein geraten bin, hat einen Namen mit vier Buchstaben: Anna.
Wer weiß, vielleicht wäre ich ohne sie einen Weg gegangen wie Joschka Fischer und Daniel Cohn-Bendit. Aber es kam völlig anders. Es ging dabei nicht mal ums Äußere. Sie wirkte so verletzt, so hilfsbedürftig. Nicht, dass ich ihr das so hätte sagen können, aber der Drang, sie heilen zu wollen, war stärker als die Vernunft. Also habe ich mitgemacht. Aber anstatt ihr irgendwie zu vermitteln, dass wir auf dem falschen Dampfer waren, wurde es immer schlimmer. Gerade Chef/Chefin hatte mindestens so viel Macht über sie wie sie über mich. Sie wurde quasi zur rechten Hand, ich war abgemeldet. Um sie zu retten, gab es für mich nur einen Weg: Chef/Chefin musste weg. Also habe ich einen anonymen Tip raus gegeben, in der Hoffnung, dass Anna, dass die Gruppe sich darauf besinnt, dass eine Revolution von unten kommen muss, sonst produziert sie nur neue Tyrannei. Auch darin bin ich gescheitert.
Anna hat dann komplett die Planung an sich gerissen, wurde immer tollkühner. Irgendwann musste das schief gehen. Ich war der Fluchtwagenfahrer, deshalb kam ich als einziger weg. Danach ging es erst mal über Frankreich nach Kuba, dann Mexiko. 2007 bin ich dann zurück gekommen, mit sonnengebräuntem Teint, Falten, die mein Gesicht einige Jahre älter wirken lassen, als es ist, einem falschen kubanischen Pass und der Hoffnung, dass der Laden bald explodiert. Ein Kumpel hat mir gesteckt, dass im amerikanischen Finanzsystem die Kacke am Dampfen ist wegen haufenweise ungedeckter Kredite.
Jetzt suche ich nach Gleichgesinnten, die durch die richtigen Direkten Aktionen die Massen aufwiegeln, wenn es los geht. Mit toten Polizisten kriegst du das Volk nicht. Du brauchst tote Investmentbanker und tote Milliardäre. Und ich suche nach Anna. Ich weiß zwar nicht, was ich sagen soll, wenn ich sie sehe, aber ich will wenigstens wissen, wie es ihr geht.
Outro