Puuh. Leider werden hier nach wie vor die Beispiele zer-diskutiert statt sich mal - wo von Boba angemerkt - auf die Ursprungsfrage zu fokussieren. Ich versuche mich mal an einer (persönlichen) konstruktiveren Antwort.
Die Ausgangsfrage habe ich folgendermaßen verstanden:
Handle ich auf Basis der Moral meines Charakers oder setze ich trotzdem meine eigenen Moralvorstellungen im Spiel um - unabhängig davon ob es ins Setting oder zum Konzept passt?Bei der Antwort muss ich differenzieren (
Surprise!) . Zunächst kommt es darauf an, ob ich in einer bestimmten Rundenkonstellation überhaupt Lust habe, auf moralische Dilemmata. Das ist einerseits abhängig vom Setting, System und Mitspielern - insbesondere Spielleitung! - aber zuallervorderst kommt da mein aktueller Gemütszustand ins Spiel!
Grundsätzlich finde ich den Aspekt der "persönlichen Herausforderung" am Rollenspiel nämlich sehr spannend. Damit meine ich: Ich werde in einer Weise stellvertretend für den Charakter herausgefordert - sei es intellektuell (durch eine kniffilige Situation, Rätsel, Konflikt) oder emotional, in dem ich in eine soziale Drucksituation gebracht werde, die mir selbst nicht leicht fällt. Gerade Letzerem möchte ich aber gerne eher in einer positiven Grundhaltung begegnen: Bin ich zu müde oder tendenziell eher gereizt, ist meine Motivation da eher gering. Dementsprechend wirkt sich das auf meine Ingame-Haltung und Reaktion aus. An einem "guten Tag" ist für mich in solchen Situationen die Herausforderung, mich auf die moralische Sicht des Charakters einzulassen und diese auch entgegen meiner persönlichen Intuition auszuspielen - das empfinde ich persönlich als bereichernd (weil ich in einem gewissen Schutzraum mal andere Sichweisen ausprobieren kann). Bin ich persönlich gerade eher nicht so stark zur Abstraktion fähig, werde ich eher auf meine ganz eigene Moral zurückgreifen.
Das zum grundsätzlichen Umgang mit solchen Situationen. Dazu kommt noch, in welchem Modus gespielt wird. Beispiel Dungeon World: Dort wählt man eine Gesinnung, die an konkrete Handlungsweisen gebunden ist. Diese versuche ich dann zu erfüllen, um die Mechanik zu nutzen. Ich würde hier aber die "böse" Gesinnung zBsp. eher etwas übertrieben und plakativ darzustellen, weil es am Ende immer noch darum geht, XP abzugreifen und nicht, als Spieler mich auf moralisch schwieriges Terrain zu begeben.
Bei Dread-Runden hingegen sind ja idealerweise schon die Fragen zT unangenehm. Dort finde ich den persönlichen Perspektivwechsel tatsächlich mal reizvoll: Wie würde sich mein Charakter als narzistisches Arschloch an der Stelle verhalten - opfert er wirklich seine Geliebte, um zum Ziel zu kommen?
Für jede (outgame) problematische Situation am Spieltisch, die sich aus moralischen Dilemmata ergeben haben, sollten daher folgende Punkte betrachtet werden:
- Haben alle dieselbe Grundhaltung zu diesen Fragestellungen?
In ein und derselben Runde kann Spieler 1 einfach nur Lust dazu haben, einen plakativ böse Charakter zu verköpern um mal einfach "frei zu drehen" während diese für die persönliche Moral von Spieler 2 ein Problem darstellt.
- Ist sich die SL über die Bedürfnisse der Spieler im Klaren?
Im Falle eines Konfliktes: Unbedingt gegenseitig abklären - wo zieht jeder am Tisch seinen Spielspass?
- Reden wir über das Selbe?
Platzhalter-Hinweis für: Im Konfliktfall ist Metakommunikation notwendig, um zu checken, ob alle das Problem verstehen.
Mit diesen Fragen kann man m.E. jedem hier im Thread konstruierten (oder erlebten) Spielkonflikt begegnen.
tl;dr:
Moralische Fragestellungen können sowohl eine Herausforderung an den Charakter wie auch an Spieler und Gruppe sein. Habe oder sehe ich als Spieler nicht die Möglichkeit, mein Problem zu adressieren, kann eine Ingame-Handlung stellvertretend ein Lösungsversuch sein. Üblicherweise führt das zu noch mehr Outgame-Konflikt, weil das zugrunde liegende Problem nicht ingame geklärt werden kann. Wichtige Voraussetzung für ein Klärung ist, dass die Spieler selbst ihre Haltung zu moralischen Fragestellunge reflektieren.