... für mich ist Rollenspiel dreierlei:
- Eskapismus
- Beschäftigung mit Realitäten, welche der gesellschaftliche (Mehrheiten)Konsens verdrängt, unterdrückt, ausblendet, verleugnet, ...
- die Beschäftigung mit/Übernahme anderer (historischen) Perspektiven.
Vielleicht mag ich deswegen den
Luther Arkwright Graphic Novel so gern oder auch Arthouse Filme.
Zu den Settings/Rollenspielen/Abenteuern, die ich besonders mag, gehören:
Clockwork & Chivalry (englischer Bürgerkrieg, Kampf um politische und religiöse Alternativen bzw. Deutungshoheit, Alchemie, ...),
LotFP: Fish Fuckers & She bleeds (die Weirdness und der Zusammenhang von Sexualität, Gewalt und Magie),
Dream Askew/Dream Apart (Zugehörigkeit außerhalb von Zugehörigkeiten - Apokalypse & Queer Community; jüdisches Sheltl und mittelalterliche Sozialmechanismen),
DCC RPG (die SC in Kontexten, die riesig sind und in denen ihr Handeln trotzdem einen Unterschied machen kann),
Liminal (urban/modern Fantasy um Grenzgänger zwischen magischer und mundaner Welt),
Everway (Archetypen, 10.000 Möglichkeiten),
Glorantha (die mythopoetische Welt schlechthin, die stark von Greg Staffords schamanischen Weltbild abhängt).
...
Man könnte auch sagen, dass es mir um mythisch-sozial-anthropologische Zusammenhänge geht. Die dürfen phantastisch verfremdet sein, aber auch recht historisch korrekt oder Extrapolationen in Richtung hardish social SF.
Rollenspiel ist für mich eine Art Fluchtort, Think Tank, und hedonistisches Spiel gegenüber einer in Dualismen, in vermeintlichen Zwängen und in vermeintlich objektiven Zahlen ertrinkenden Wirklichkeit.
(Vielleicht mag ich deswegen auch keine fertigen Dramatugien: Da kann sich keine organisch selbst entwickeln. Da bleiben die Dinge in popkulturellen Narrativen und Erzählstrukturen gefangen.)
Im Spielen mit anderen ist dann wichtig eine konsensfähige Mischung aus meinen Interessen und deren Interessen zu finden.
Was für mich schlecht geht: Slapstick (dafür ist mein Humor meist zu "undeutsch"), Schwarz-Weiß-Szenerien (da hakt es bei Standard D&D und DSA - und auch bei diverseren Abkömmlingen wie Blue Rose). Hintergründiger oder auch mal Holzhammer-Humor (vgl. WFRP) ist dagegen super.
Ernsthafte Themen brauchen kein bierernstes Spiel. Sie brauchen nicht punktgenaue wissenschaftliche Absicherung.
Sie brauchen auch nicht Pathos und große Drama. Sie brauchen v.a. eines: Eine ungewungene Spielwiese.
In Call of Cthulhu thematisiere ich auch gelegentlich den Fremdenhass gegen Schwarze, Juden oder Schwule (wenn etwas schlimmes passiert, und es mehrere Verdächtige gibt, dann sind diese Personengruppen automatisch besonders verdächtig).
Zwei Regeln:
Die Taten der Charaktere haben Konsequenzen.
Jedes ist ein Kind seiner Zeit/Welt.
Das gehört für mich einfach zum Rollenspiel dazu.
Ja, das handhabe ich auch so. Wobei mir dabei wichtig ist, dass ich nicht einfach rassistische, antijudaistische, queer-phobe Stereotype etc. aufführe und sie so als Hintergrundfolie reproduziere. Gerade weil diese - immer noch in westlichen Mehrheitsgesellschaften verbreiteten - Wahnvorstellungen weiterhin ihren Schaden anrichten. Drum ist mir wichtig, dass zeitgeistige Ambiguitätsintoleranz auch (und v.a. im Rahmen der settingeigenen Möglichkeiten) entlavt und die Vielfalt/Gebrochenheit von "Kind der Zeit/Welt" sichtbar wird.
Fazit: Als kollaboratives Medium eignet sich Rollenspiel mMn mehr und weniger als andere Medien für ernste Themen.
Schäche und Stärke des Mediums sind die Kollaborierenden und die Kohärenz ihrer Interessen, Roten-Linien und Befindlichkeiten.