[...]studieren, machen Ausbildungen, landen in Berufen, geraten auf die schiefe Bahn, in den Knast, an den Galgen, hängen sich Liebschaften ans Bein, heiraten, sorgen für Nachwuchs, gehen zum Militär, geraten in Krisengebiete, werden verwundet, verkrüppelt oder gar getötet. Die Liste der Eventualitäten ist lang.[...]
...werden wegen ihrer Pigmentstörung gemobbt, entdecken die "Kinks" als ihre Lieblingsband, essen in ihrem Urlaub in Florenz das beste Eis ihres Lebens und fahren immer wieder hin, sind in der Wohnung solche Chaoten, dass sich die Partnerin von ihnen trennt, können sich als Azubi keine Wohnung leisten und ziehen daher in eine WG ein, fallen Nachts ohne Lichtquelle in ein Loch und brechen sich den Fuß so unglücklich, dass sie fortan humpeln, wählen die Sozialdemokraten, finden deren Einwanderungspolitik aber trotzdem doof...
Und immer so weiter. Tatsächlich ist die Liste der Eventualitäten zu lang. Jeder Mensch wird von unzähligen, winzigen Mikromomenten geprägt. Selbst wenn man da auswählt: Ich glaube die meisten Spieler werden für ihren Charakter Eigenschaften als zentral erachten, die du nicht simulieren wirst, ja auch nicht simulieren kannst.
Überhaupt: Wer bestimmt denn, welchen Charakter ich auf Rollenspielebene in deinem Spiel bespiele? Die Simulation? Oder erschaffe ich den tatsächlich selbst? Wenn ersteres, dann ist deine Simulation mindestens genauso einschränkend wie eine Charakterklasse.
Wenn ich mir das so anschaue, dann glaube ich übrigens, dass in Hinsicht dessen, was du denkst, das Rollenspiele sind oder tun, du durchaus mal in der modernen Rollenspielpalette der letzten Jahre recherchieren solltest und überprüfst, was moderne Spiele als wichtig erachten. Das "Big Modell" und "GNS" aus der Rollenspieltheorie sind ein guter Anfangspunkt für die Frage, die du dir zuallererst stellen solltest: Was soll mein Spiel eigentlich sein? Und ferner: Wenn ich bestimmte Regeln reinnehme, wie wirkt sich das dann auf die Fiktion aus, die am Spieltisch entsteht?
Du machst hier im Thread einfach immer wieder Behauptungen, die ich anzweifeln würde. Ganz grundsätzliche Behauptungen.
Jede Spielwelt ist ein konsistentes Unikat, das auf natürliche Weise entstanden ist.
Den Satz zum Beispiel kann man gut auseinandernehmen: Erstmal ist jede Spielwelt am konkreten Spieltisch immer ein Unikat. Mein Aventurien sieht anders aus als Blechpirats Aventurien, sieht anders aus als Hotzenplots Aventurien, usw.; selbst wenn wir dasselbe Grundregelwerk und Settingbuch als Basis nehmen, es divergiert in den Details quasi unendlich und im Verlauf der Spielweltgeschichte dann sowieso.
"Konsistenz" ist noch so ein Begriff. Ob wir etwas als konsistent empfinden, ist eine ziemlich individuelle Angelegenheit. Du müsstest also sagen "konsistent nach den Kriterien XYZ" (welche das bei dir sind, kann ich mir schon gut vorstellen... bei dir sind es die Naturgesetze). Nun ist es aber so, dass die Naturgesetze auch nicht unbedingt für die glaubwürdigsten Handlungsverläufe bekannt sind, sonst würden wir ja Einstein verfilmen und nicht Shakespeare. Einem Großteil der Rollenspieler reicht es auch, dass die Naturgesetze und die psychologischen Triebfedern unserer Mitmenschen nur einigermaßen hinhauen müssen im Spiel und dann sind alle zufrieden. Mit Schlampigkeit hat das nichts zu tun, eben mehr mit Abstraktion, bei der andere Kriterien als relevant erachtet werden, als du es tust. Du hast selbst gesagt, dass deine Lieblingsrollenspielwelt eine ist, die nach den Regeln deines Weltgenerators so gar nicht entstehen kann. Du erachtest sie aber trotzdem als konsistent genug, dass du Freude daran hast, in ihr zu spielen. Perfekte Naturgesetzsimulation in einer Welt sind – aus meiner Perspektive, zugegeben, ich bin ja auch mehr so der Storygamer – kein Selbstzweck.
Ich denke da an Spiele wie "No Man's Sky" direkt nach Release: Ein riesiges Universum mit fundiert generierten Zufallswelten allein macht noch kein interessantes Spiel. Im Gegenteil: Leere Open-Worlds sind so ziemlich das "unspieligste", was ich mir vorstellen kann. Sobald Konflikt, Handlung, Emotion, Interaktion, die großen Fragen der Menschheit reinkommen, wird vielleicht eine interessante Handlung draus (aber gut, ich bin da auch extrem, ich halte "Emergent Stories" in Videospielen sowieso eigentlich für eine Marketinglüge.
Du sagst an einer Stelle auch, sinngemäß:
Gewalt ist das zentrale Element aller Abenteuer im Rollenspiel. Also muss Gewalt immer supertödlich sein, sonst macht man es ja ständig.
Abgesehen davon, dass das schon für unsere Realität nicht zutrifft: Die meisten Leute, die Abenteuer suchen, klettern auf Berge oder springen von Hochhäusern. Sie schlagen nicht irgendwen zusammen. Und wenn sie das tun, dann ist das auch nicht unbedingt supertödlich. Im 1on1 mit Blankwaffen vielleicht, ja. Aber sobald man mehrere Leute gegen einen oder mehrere gegen mehrere kämpft, sieht die Sache ganz anders aus. Wenn ich die Heldengruppe von 4 Leuten hinter mir habe und der Ladenbesitzer ist allein, dann kann ich immer Gewalt anwenden, um zu kriegen, was ich will. Gefahrlos. Die Frage die sich aber stellt ist dann: Warum tue ich es trotzdem nicht? Hier haben wir wieder soziologische und psychologische Faktoren, die die größte Rolle spielen.
Aber das nur am Rande. Viel zentraler finde ich, dass du dich irrst. Es gibt wahnsinnig viele Rollenspiele, in denen Gewalt nur am Rande oder sogar gar nicht vorkommt. Google mal Spiele wie "Golden Sky Stories", "Do: Pilgrims of the Flying Temple" oder "The Good Society" so zum Einstieg. Nur eine bestimmte Art von Rollenspielen sieht Gewalt als Konfliktlösungsmittel überhaupt vor. Und selbst in diesen Spielen kann man in der Regel ganze Abenteuer spielen, ohne dass auch nur ein Schuss fällt oder ein Schwert gezogen wird.