Mal abgesehen davon, dass derlei Gefühlter Anekdotismus nicht gerade erkenntnisfördernd ist, muss man im Rollenspielbereich einfach mal konstatieren, dass das Unsinn ist. Da gibt es doch haufenweise Protagonist*innen der Diskussion (oder auch welche, die sich zwar nicht offensiv an der Diskussion beteiligen, aber einfach an Spielen mit einer erkennbar anti-heteronormativen, anti-rassistischen Agenda arbeiten), die damit sehr wohl ganz direkt an ihre eigene Positioniertheit und damit wahrscheinlich verknüpfte Diskriminierungserfahrungen andocken - Chris Spivey, Avery Alder, Steve Kenson, Jerry D. Grayson, Anne Kreider - das sind jetzt nur mal die, die mir ganz konkret einfallen. Erweitere das auf den Bereich der Phantastik, dann findest du z.B. die lauten Stimmen von Kameron Hurley, und N.K. Jemisin und wer weiß wen noch alles ...
Zweitens musst du (wahrscheinlich um so mehr in der deutschsprachigen Szene) die wahrscheinliche Überrepräsentation privilegierter Positionen im Rollenspiel einbeziehen. Wenn sagen wir mal 10% der im Tanelorn wahrnehmbaren Rollenspieler*innen aus im Großen und Ganzen ziemlich privilegierter Position lautstark für Inklusivität und Antidiskriminierung auftreten, und 50% der im Tanelorn wahrnehmbaren Rollenspieler*innen, die definitiv nicht aus so einer privilegierten Position sprechen, dann sind die 10% aus der einen Gruppe rein numerisch wahrscheinlich immer noch deutlich mehr als die 50% aus der anderen Gruppe. Und wenn sich dann noch ein oder zwei Einzelpersonen aus nicht-privilegierten Positionen mit einer "Anti-PC-Position" zu Wort melden, sind sie gleich noch Kronzeug*innen und erfahren damit eine überproportionale Aufmerksamkeit. Auf diese Art und Weise werden die Stimmen von Personen, die sich tatsächlich in Positionen befinden, in denen sie ernsthafte Diskriminierung erfahren und das auchals Kritik an diskriminierenden Strukturen artikulieren, tendenziell unhörbar gemacht, und die Schlussfolgerung ist dann, dass Antidiskriminierung und Inklusivität so Hobbys von weißen Mittelschichtlern wären und die tatsächlich Betroffenen ja eh ganz andere Probleme hätten bzw. sich einfach nicht so anstellen würden.
Zuletzt ist dieser ganze identitätspolitische Ansatz, der hinter deinem Einwand steckt, in meinen Augen eh ziemlich fragwürdig. Der ziemlich vernünftige Gedanke, dass, wenn es um Diskriminierung geht, vor allem immer erst einmal die Betroffenen sprechen und Forderungen artikulieren sollten, ist ja streckenweise in die Vorstellung übergegangen, dass von einer privilegierten Position aus ein erkenntnisförderndes Sprechen zu Diskriminierungsfragen unmöglich sei und Vertreter*innen dieser Positionen schlicht und einfach zu schweigen bzw. Positionen der Betroffenen ohne jeden Dialog zu übernehmen hätten. Halte ich ehrlich gesagt für eine blöde Position (und habe mich auch viel persönlich mit ihr herumgeschlagen). Klar sind die gesellschaftlichen Positionen, von denen aus gesprochen wird, relevant, aber daraus ableiten zu wollen, wer sich zu welchem Thema legitimerweise äußern darf und wer nicht, führt weitergedacht nur in eine völlige Zersplitterung des gesellschaftlichen Diskurses. (Wobei ich einräumen muss, dass ein "Du hältst jetzt mal bitte zu diesem Thema einfach die Klappe und hörst erst mal zu!" ziemlich oft wichtig und legitim ist und ich mir den entsprechenden Schuh auch schon mehr als einmal anziehen musste ...).
Mag sein, dass dir das als "gefühlter Anektionismus" vorkommt. Die Anführung von Mitgliedern gefühlter oder tatsächlicher Minderheits
vertreter und die Quantifizierung als "haufenweise" (als Anteil der Gesamtmenge der Rollenspielautoren) fällt dir dabei allerdings argumentativ auf die Füße.
"Priviligierte Position" - ist was? Dach über dem Kopf, Zugang zum Internet, dauerhafte Erwerbbeschäftigung, genug Freizeit, um hier zu posten?
Ich denke, dass ich da eine andere Definition von Privilegien im gesamtgesellschaftlichen Kontext habe. Die Fachrichtung Geschichts und Sozialwissenschaften auch. Ich behaupte, dass KEINER (oder kaum einer) der hier postet, nennenswerte Privilegien im sozilawisschenschaftlichen Sinne genießt, die er nicht so oder ähnlich mit Mitgliedern sogennanter Minderheiten teilt, wodurch die "Vorrechte" zu bloßen Rechten werden, die universellen Charakter in unserer Gesellschaft haben.
Heteronormativität - ist ein statistisches Faktum. Auch wenn es einem nicht passt.
Das Argument, dass nicht-hörbare Stimmen unterpriviligierter Menschen unhörbar sind , weil man sie nicht beachtet - also nicht hört - nun:
In einer Welt, in der in einer historische einmaligen Situation nun wirklich jeder in sozialen Medien die Möglichkeit besitzt zumindest Lärm zu erzeugen, erscheint mir das zu behaupten gewagt.
Ob die Person dann ge- und erhört wird, wäre eine zweite Frage.
Das Argument ist tautologisch, der Hinweis auf "Verräter" (Minderheitenmitglieder, die es wagen nicht ins Diskriminierungshorn zu tuten), die dann auch noch wagen eine andere (nämich ihre) Meinung zu vertreten und so dem Anliegen der hörbar Ungehörten zu schaden ist (Wortspiel!) unerhört.
"Zuletzt ist dieser ganze identitätspolitische Ansatz, der hinter deinem Einwand steckt, in meinen Augen eh ziemlich fragwürdig ..." [/i]- ab hier, lieber Rumpel, stimme ich dir 100%ig zu!
Im übrigen bin ich kein Vertreter dieses Ansatzes, ich halte ihn für falsch und schädlich und hatte ihn nur darstellen wollen. Habe mich wohl undeutlich ausgedrückt - aber der Gewinn daraus ist, dass du in diesem Abschnitt genau das sagst, was ich meine - und sehr gut auf den Punkt!