ich habe mit "politisch inkorrekten" Settingelementen auch kein Problem. Im Gegenteil finde ich es mindestens befremdlich, wenn eine pseudomittelalterliche Gesellschaft (ich spiele ja meistens Fantasy) ausgerechnet in bspw Emanzipationsfragen so unglaublich aufgeklärt und progressiv sein soll.
Da finde ich sollte man schauen, ob a) die eigenen Vorstellungen von der historischen Realität gedeckt sind und b) ob es sein muss, dass bestimmte Settingelemente diskriminierenden historischen Vorbildern folgen während es an anderen Stellen geradezu selbstverständlich ist, dass das nicht der Fall ist.
Zu A) Häufig ist der historische Möglichkeitenraum gar nicht hinreichend bekannt. Dass die spätantike/frühmittelalterliche
Adelphopoiesis z.B. ein Rechtsinstitut war, das Homosexuelle nutzen konnten, ist z.B. meist nicht auf dem Schirm. Oft schwingt da auch die Annahme mit, die heutige Zeit, sei emanzipatorisch dem Mittelalter (innerhalb dessen sich soziale Normen oft genug verändert haben) völlig überlegen. Das ist jedoch nicht in allen Bereichen der Fall und so pauschal auch faktisch nicht richtig.
Die Frage, worauf sich die Vorstellungsreferenz überhaupt bezieht, ist also nicht unwichtig.
Natürlich kann man als Referenz das Mittelalterbild von Romantik, Biedermeier und konservativen 50ern nehmen. Man sollte es nur nicht mit dem Bild der Geschichtswissensschaften verwechseln. Und: Nein, niemand muss Historiker sein. Die Bereitschaft die eigenen Annahmen (die man sich ja auch nicht einfach so ausgedacht hat, sondern die sozialisiert wurden) in Frage zu stellen und im Zweifelsfall anzupassen, erwarte ich aber schon.
Zu B) Da ist z.B. die Frage der religiösen Abweichung relevant. Zum einen: Warum sollte man einem Fäntelalter-Setting polytheistische Setzungen abkaufen aber keine, in denen Geschlechter vergleichbare Möglichkeiten haben? Beide haben mit Mittelalter nix zu tun.
Und andererseits: Wenn man die Settingsetzungen
as written akzeptiert: Warum sollte man Spieler.innen zugestehen agnostische oder atheistische Figuren zu spielen - ohne dass diese die Repressionen der Spielwelt zu spüren bekommen - und bei z.B. abweichenden Geschlechterrollen soll ein vergleichbares Vorgehen nun nicht möglich sein? MMn macht das nicht viel Sinn.
Dennoch: Privates sollte nun nicht in Arbeit ausarten. Man kann nie alles auf dem Schirm haben. Ein bißchen Problembewusstsein ist jedoch mMn nicht zu viel verlangt. Es gibt genug Möglichkeiten das ein oder andere nachzuschlagen oder einfach andere zu fragen.
Grundsätzlich gehören solche Dinge - je "politisch unkorrekter" Settings sind, umso umfangreicher - besprochen. Dass man da (als SL und genauso als Spieler.in bzw. ganze Runde) Fehler machen wird, ist eh wahrscheinlich und sollte auch kein Problem sein.
(
Ich hab damals bei der Maelstrom-Gothic-Runde auch nicht besprochen, ob es OK ist, das viktorianische Frauenbild einfach ein gutes Stück auszublenden, das historische Vorbild als Hintergrundfolie intakt zu lassen und die Frauenfiguren unter den SC ein Stück weit unangreifbar gegenüber viktorianisch-männlichem Paternalismus zu halten. Die Runde war eh nur für ein Abenteuer geplant gewesen, aber ich weiß nicht, ob ich daran gedacht hätte, das mittelfristig zumindest mit den Spielerinnen [niemand hat Cross-Gender gespielt] abzuklären.)
Gleichzeitig legt für mich aber immer die Spielleitung fest, was Verhandlungsmasse sein soll.
Denn primär muss die SL ja Bock haben das Spiel zu leiten. Wenn da zu wenig Flexibilität oder zu viele Vorbehalte drin sind, dann werden Spieler.innen halt (hoffentlich) abspringen.
Und: Ja, man kann auch bewusst "politisch unkorrekte" Sachen spielen. Bluebeard's Bride gehört da (in doppelter Hinsicht) dazu.
Ich hab ziemlich lang gebraucht zu verstehen, dass das Spiel nichts verkehrt macht. Es kümmert sich gar nicht um Häufigkeiten und Verteilungen von geschlechtlicher Gewalt in der Realität, sondern legt den Fokus auf die Bluebeard-Geschichte und darin wiederum exklusiv auf die Braut. Einfach nur femininer Horror - ohne Wertungen. Political Correctness ist einfach keine Kategorie, mit der BB Berührungen hat. Es wird lediglich ne mythische Horror-Geschichte, die von Ängsten und Erfahrungen von Frauen gedeckt ist, erkundet.Und ja, auch Spiele, die Fairness im Blick haben, machen Fehler oder nutzen ungute Setzungen. Die massive Amatonormativität von Blue Rose fällt mir da z.B. ein.
Dass bspw in einem Fantasysetting mit Elfen, Orks und was weiß ich noch die Hautfarbe innerhalb einer Rasse keine nennenswerte Rolle spielt, das kann ich mir allerdings vorstellen. Aber einen fetten Rassismus zwischen diesen Spezies würde ich im Normalfall als gesetzt betrachten.
Das Erste ... denkbar.
Zum Zweiten: Ja, dem würde ich auch zustimmen.
Schwierig aber wirds dadurch, dass phantastische Rassen eben auch historische/reale Vorbilder haben (
exemplarisch für die Zwerge). Problemantisch ist, dass reale/realhistorische Vorbilder sammt Vorurteilen in phantastische Schöpfungen erkennbar hineingenommen sind. Die bekommt man da auch so ohne Weiteres nicht mehr raus.
Ich würd da den (wenn er durchgezogen worden wäre recht schlauen) Warhammer-Weg gehen: Das Einbauen von Ambiguitäten, Vielseitigkeiten und der Ausgleich von Stärken und Schwächen. Im Zweifelsfall in Richtung von Menschengruppen übersteuern, die weiter weg von machtvollen Positionen sind. Und am Besten: Homorvoll Kischees sammeln, brechen und neu zusammenfügen.
Die Kampftänzer der Waldelfen waren im Prinzip ne schwule Schwertbruderschaft taoistischer Tanz-Punks mit keltischen und indianischen Trappings. (Gerade das Verschwinden des eklektischen, anachronistischen Moments zugunsten von Mainstream-Accessability und Anbiederung an japanisch beeinflusste High-Magic-Fantasy bei Warhammer Fantasy ist etwas, das ich sehr bedauere.)
Naja, oder Sklaverei. In den meisten Fantasy-Settings ist das ja ein No-Go, oder zumindest ein eindeutig als Böse zu bekämpfendes Übel. In Sword & Sorcery Settings hingegen einfach ein fact of life -- männliche Sklaven 15 Silber, hübsche Sklavinnen 65 Silber, ein gutes Pferd 75-300 Silber. :p
Auch da: Die historischen und literarischen Vorbilder kennen auch Tempelhuren (m/w/d) und männliche Lustsklaven. Deren Fehlen finde ich immer seltsam.