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Doris Kearns Goodwin - Leadership in Turbulent Times - Lessons from the PresidentsIch bin eher auf ungewöhnlichem Wege zu diesem Werk gekommen. Nicht durch die kontemporäre, gerechtfertigte Kritik an Trump, mit der das Buch wegen des Veröffentlichungszeitpunktes immer in Bezug gebracht wird (darauf gehe ich nicht weiter ein), nicht einmal primär durch mein historisches Interesse per se an amerikanischer Geschichte oder meinem Interesse an Leadership-Themen (wer meine Beiträge verfolgt, erinnert vielleicht, dass ich 2018
Masters of Command - Alexander, Hannibal, Caesar, and the Genius of Leadership von Barry S. Strauss gelesen habe), sondern weil Frau Kearns Goodwin, trotz aller Auszeichnungen, vor allem des Plagiats verdächtigt und überführt wurde. Eine Entwicklung, die ein gewisses, wenn auch
wenig bleibendes Beben in der Fachwelt auslöste, immerhin ist Frau Kearns Goodwin Pulitzerpreisgewinnerin und dann sogar dort Jurymitglied gewesen. Und Frau Kearns Goodwin ist nicht einfach nur Harvardhistorikerin, nein, sie war auch im Stab von Lyndon B. Johnson; und damit nicht genug. Frau Kearns Goodwin war eben mit Richard N. Goodwin, einem der Redenschreiber der Kennedys und Johnsons verheiratet. Social capital at its finest.
Ich hatte vor nicht allzu langer Zeit eine Diskussion über jenes Thema mit alten Kommilitonen, als es um die Thematik strategischer Autorenschaft und um Plagiate ging, und ab von dem typischen Unken über den ehemaligen Verteidigungsminister Karl-Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester Buhl-Freiherr von und zu Googleberg, ging es auch darum, ob ab von den Problemen eines Plagiats und des Umfangs des Vergehens am Ende doch vielleicht stehen kann, dass das plagiierte Werk oder zumindest teilplagiierte Werk nicht doch Erkenntnisgewinn bringen kann und nicht doch in mancher Form an sich ein Gewinn für Forschung oder das breite Publikum ist, in einer Art eklektischen Diebstahls; immer vorausgesetzt, es ist immer noch eklektisch zusammengefügt und nicht einfach in größeren Blöcken kopiert ist.
Die Diskussion will ich nicht im Einzelnen wiedergeben, aber sie kulminierte in dem Versuch der Beteiligten, entsprechende Werke ausfindig zu machen und ich erinnerte mich an die Situation mit Frau Kearns Goodwin und hatte zudem beigetragen zur Diskussion, dass viele Wissenschaftler sich an sich selbst schuldig machen, weil sie sich selbst schlampig zitieren oder weil spätere Werke nur ein Aufguss früherer Werke sind; das Arbeiten mit Essenzen alter Arbeit. Und genau hier sind wir in dem Bereich, warum das Werk von Doris Kearns Goodwin mein Augenmerk gewann.
Letztlich - so viel Selbstgeißelung muss sein - habe ich das Vorhaben aufgegeben, auch ihre Einzelbände zu den vier vorgestellten Präsidenten zu lesen. Die Diskussion ist eine Weile her, niemand hat eine Deadline gesetzt, das Vorhaben verlief sich, aber ich hatte das Buch nunmal im Schrank. Also habe ich es gelesen.
Was ich aber sagen kann, dass die Lektüre - ohne jetzt bewerten zu wollen und zu können, wie viel davon tatsächlicher Aufguss ist oder was anderen Werken mehr als entlehnt oder rauszitiert ist - sich lohnt. Sie lohnt sich nicht unbedingt für den historischen Laien, wenn er die Gesamtzusammenhänge will, weil die Art und Weise, wie die Autorin die vier Präsidenten (Abe Lincoln, Teddy Roosevelt, Franklin Roosevelt und Lyndon B. Johnson) beschreibt und beobachtet, die historischen Umstände als bekannt voraussetzt. Sie lohnt sich auch nicht unbedingt in Anbetracht des Titels, da auch die Autorin, ähnlich wie Barry S. Strauss, meiner Ansicht nicht in der Lage ist, Führungsqualitäten zu generalisieren oder wirklich herauszuarbeiten. Zu dem Schluss zu kommen, dass sowas nicht so leicht generalisierbar ist, ist ja nicht verkehrt, doch den unternehmen weder Kearns Goodwin noch Strauss. Kearns Goodwin versucht aber auch kein festes Schema zu entwickeln, was hier vorteilhaft ist. So beschränken sich die Gemeinsamkeiten der Führungsqualitäten laut der Autorin interessanterweise auf - hier aufgemerkt, liebe Rollenspieler! - auf die Fähigkeit Geschichten erzählen zu können und vor allem harte Arbeit, und auf tragische Rückschläge in der Vergangenheit, die positiv verarbeitet wurden.
Gerade beim letzteren zeigt sich der Aufbau des Buches als nützlich und gelungen. Sie beleuchtet die Herkunft und das Entstehen von Ambition in den vier Männern, denn Ambition ist ja immer eine Art Grundvoraussetzung für jede Form politischen Aufstiegs, zeigt dann im jungen bzw. mittleren Alter eine Phase des Rückschlags ihrer Ambitionen, die die Protagonisten nah an den Zusammenbruch und das Ende ihrer Karrieren führt, aber auch Führungsqualität (so diffus die ist) entwickeln lässt, und beschreibt dann im letzten großen Part die große Stunde der Ambitionierten, in der sie ihre Führungsqualitäten beweisen (bei Lyndon B. Johnson wegen des Vietnamkriegs natürlich um den Part ausgespart bzw. kommentiert und auf die Innenpolitik isoliert).
Zwar unternimmt es Doris Kearns Goodwin auch als Versuch, leicht verdauliche Phrasen der Führungsqualität zu entwickeln, die an die moderne Managementliteratur anknüpfen und darin sicher auch ein Teil des Publikums sucht, doch scheitert sie meiner Meinung da an den zu einfachen Generalisierungen, die sie versucht abzuleiten und halbherzig in Strategemform präsentiert (nicht immer passgenau in ihrer Nutzung zu den Kapiteln).
Die große Stärke des Buches liegt in etwas, was Barry S. Strauss wegen seines antiken Themas nicht gelingen konnte. Sie beschreibt Menschen. Und genau diese psychoanalytische Federführung macht, wenn Frau Kearns Goodwin sich nicht ihrer Schablone widmet, die Stärke des Buches aus. Wir lernen die Roosevelts, Abe Lincoln und Lydon B. Johnson als Menschen kennen, mit ihren Eigenarten, ihren Schwächen, ihren inneren Dämonen und da lässt sich doch eine Menge entdecken im Detail, und in der Handhabung ihrer Krisen; nicht in Form einfach zugeschriebener Qualitäten (wie Strauss es unternahm), sondern tatsächlich gemessen an ihren Reaktionen. Ob plagiiert oder nicht, die Autorin kann nachweisen, dass sich die Niederlagen, Rückschläge und die eigene Vergangenheit in ihren größten Taten gespiegelt hat, und dadurch entsteht ein roter Faden - ob man der Argumentation nun folgen mag oder nicht - der sich befriedigend liest und das Buch dann doch trotz allem, aller Diskussion ob Aufguss oder Plagiat zum Trotz, zu einem Lesevergnügen macht. Es ist kein Lehrstück über tatsächliche Führungsstärke, denn es hat keine messbaren Parameter und beleuchtet die Qualität selbst nicht, basiert hier auch eher auf Zuschreibung und Erfolg, denn auf wirkliche Bewertung. Aber es ist eine historische, manchmal sehr amerikanische, und doch dann beeindruckende Charakterstudie über vier sehr unterschiedliche Männer, die am Ende mehr das Gemeinwohl im Sinn hatten als alleine die eigene Historizität (die sie gleichwohl auch im Augen hatten).
8 von 10 Punkte.