Der Eindruck des Verfalls guter Ideen hängt unter anderem sehr mit der Veränderung der eigenen Wahrnehmung zusammen.
Vor dreißig Jahren fand ich vieles voll super und total neu. Tatsächlich war es aber nur für mich total neu.
Und ich hatte damals auch nicht den Anspruch, den ich heute habe.
Inzwischen habe ich jedes Konzept schon in hundertfacher Ausführung gesehen und es reißt mich einfach nicht
mehr so vom Hocker, wie bei den ersten paar Malen.
Das betrifft selbstverständlich nicht nur Comics, sondern alle möglichen Arten von Medien (und auch anderes, z.B. Handwerk).
Ich schätze, so ist das eben, wenn man älter wird.
Ein zweiter Punkt, den ich in dem Zusammenhang glaube beobachtet zu haben, ist, dass heutige Künstler tatsächlich
nicht so kreativ bzw. brillant sind, weil es in den westlichen Nationen (von denen hier ja die Rede ist - und dazu gehört auch der
stark vom Westen beeinflusste Ferne Osten wie Korea, Japan und inzwischen auch China) einen ganz objektiven Verfall von
absoluter Expertise zu verzeichnen hat. Es gibt nicht mehr so viele Leute, die ihr Leben so stark in den Dienst einer Sache stellen
wie das früher der Fall war (von Ausnahmen natürlich abgesehen). Es gibt zwar heute aufgrund eines besseren Lernumfeldes schnellere
Lernkurven, aber dem steht eine massive Verschwendung der Zeit durch konsumorientiertes Leben entgegen, was eine bessere
persönliche Entwicklung sehr behindern. Oder um es zu konkretisieren: Von notorischen Binge Watchern und Zockern kann man keine großartigen
kreativen Leistungen erwarten, weil sie erst sehr viel später eine hohe Exertise durch intensives Training erreichen können und ihre
lebenslange Schaffensperiode dadurch sehr viel kürzer und ihr Maximum schlechter ist. Es gibt in unserer eher schnelllebigen Zeit
auch kaum noch Leute, die richtige Monsterprojekte raushauen, in die jahrzehntelange Arbeit einfließt. Die Konsequenz sind mehr lieblose und
möglichst schnell erstellte Werke aus der Retorte, die über deutlich weniger konzeptionelle Tiefe und Liebe zum Detail verfügen.
Das hängt auch sehr stark mit dem zusammen, was unsere sehr viel mehr marktwirtschaftlich orientierte Welt überhaupt honoriert.
Dieser Punkt ist allerdings eine Schlussfolgerung, die ich, im Gegensatz zum ersten oben, nicht belegen kann und welcher mehr aus
zahlreichen wissenschaftlichen Vorträgen zur Veränderung unserer gesellschaftlichen Präferenzen und meinen persönlichen Beobachtungen resultiert.