Autor Thema: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge  (Gelesen 12760 mal)

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Offline La Cipolla

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Vorab!

Das ist einer dieser Threads, der nur wirklich funktioniert, wenn man versucht, die Prämisse nachzuvollziehen und sich darauf einzulassen – selbst wenn man sie nicht teilt. Und obwohl ich mit Sicherheit nicht der erste bin, der sich daran versucht, könnte eben jene Prämisse erst einmal unkonventionell wirken. Was ich sagen will ... Bitte genau lesen und nicht zu viele eigene Annahmen projizieren! 8D


Eine Beobachtung!

Die meisten wirklich erfolgreichen Indie-Rollenspiele der letzten 10? 15? 20? Jahre bewegen sich imho in eine bestimmte Richtung: WEG von der Simulation von – vor allem kämpferischen – Situationen und Settings, HIN zur Simulation eines anderen Mediums, üblicherweise einer TV-Serie, eines Films oder eines Romans.
Erläuterung: Man hört sehr oft, dass sich irgendein Spiel "genau wie ein Film!" anfühlt (Fate bspw.), und die im Indie-Bereich am meisten gefeierten PbTA-Spiele sind meines Erachtens die, denen es besonders gut gelingt, das Feeling eines Medien-Genres einzufangen, etwa Monsterhearts oder World Wide Wrestling. Spiele wie Fiasco und Dread versuchen sogar explizit, die Gefühle oder die Struktur eines Genres "nachzubauen".
Brücke zum nächsten Abschnitt: Besonders interessant ist das bei älteren Indie-Spielen aus der Generation Savage Worlds, die einerseits noch recht deutlich dem D&D-Duktus folgen, andererseits aber auch schon die Sensibilitäten einbinden möchten, die in anderen Medien regieren ("Fast! Furious! Fun!" wäre ein ziemlich guter Titel für eine Michael-Bay-Biografie).


Eine Erklärung?

Der moderne "Indie-Mainstream" (Ich weiß, komisches Wort ... aber wir sind uns einig, oder? :D) ist immer noch eine Reaktion auf D&D. Das ist wahrscheinlich keine besonders steile These, aber ich würde ergänzen: Der Indie-Mainstream hat sich so rabiat GEGEN diesen Platzhirsch aufgestellt, dass er hinten übergekippt und bei anderen Medien gelandet ist. Und – jetzt kommt der hoffentlich spannende Part! – vielleicht hat er dadurch auch aus den Augen verloren, das unser Rollenspielmediums eine Menge eigenes Potenzial in sich trägt.
Erläuterung: Man hört ja seit 15+ Jahren, dass ein bestimmtes Spiel, bspw. Savage Worlds oder Dungeon World, "endlich das Fantasy-Spiel / das D&D sei, dass man immer schon spielen wollte!" Und das ist natürlich cool, denn wenn wir in unserem Hobby Spaß haben, haben wir nun mal Spaß. Punkt! Aber ich überlege auch, was genau hinter dieser Aussage steht. Es klingt so, als würden wir immer automatisch zu etwas Bekanntem springen, also entweder zu einem besseren D&D oder aber zum aktuell für uns spannenden Medium. Und das simulieren wir dann mit neuen Regeln. (Aber könnten wir nicht auch was eigenes machen?)


Relativierung!

Ich rede hier immer bewusst vom "Indie-Mainstream", weil es ja durchaus Spiele und Bewegungen gibt, die in eine andere Richtung gehen. Und während sich die OSR noch recht problemlos in meinen Erklärungsversuch einordnen lässt (sozusagen auf der anderen Seite :D), gibt es sicherlich auch Spiele, die nicht "nur" Filmstrukturen, Comicästhetik oder den Reiz einer Hollywood-Serie einfangen. Trotz allem finde ich immer spannend, was POPULÄR ist, und damit meine ich nicht nur auf Twitch, sondern auch bei den Star-Designern, die sich selbst als progressive Speerspitze der Unabhängigkeit verstehen.
Darüber hinaus ist es natürlich schon recht, äh, mutig, Savage Worlds und PbtA in einen Eimer zu kehren, aber ich hoffe, die Idee ist deutlich geworden: Beide folgen im Kern sehr ähnlichen Bezugspunkten.
Ich sehe am Ende des Tages kein ernsthaftes PROBLEM in dem ganzen Thema; interaktive Filme und Serien sind eine arschcoole Sache. Aber irgendwie bringt es mich schon zum Überlegen, wie sehr wir darauf abgehen, dass unser ach so eigenes Medium endlich im Stande ist ... andere Medium erfolgreich zu simulieren, mit etwas eigener Entscheidung. *derp*


Fragen zur Diskussion

– Inwiefern geht da mehr? Sind "D&D in besser" und "Bekanntes Medium + Interaktivität" wirklich schon der Höhepunkt des Rollenspiels? Oder steht in der Interaktivität mehr Potenzial?
– Lohnt sich vielleicht ein Blick zu dem, was andere interaktive Medien tun, bspw. Videospiele? (Wobei man da definitiv denselben Effekt beobachten kann.)
– Welche Rollenspiele passend explizit NICHT in diese beiden Kategorien, fühlen sich also nicht wahlweise wie D&D oder wie Filme/Serien/andere Medien an, sondern wie etwas betont EIGENES?
– Ist die Prämisse dieses Threads vielleicht einfach nur Bullshit? Rant away!


Offline felixs

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Viele interessante Ideen, zu geben ich mangels Sachkunde erstmal nichts sagen kann. Vielleicht entwickle ich noch Ideen - muss ich erstmal verdauen.

Was mir klar geworden ist: ich mag viele "Indie"-Sachen vermutlich deshalb nicht, weil sie in Richtung (Hollywood-) Film medial simulieren. Ich mag Filme meist nicht besonders, entsprechend ergibt das Sinn. Das ist eine interessante Erkenntnis. Danke dafür  :d

Verstehe ich es recht, dass es Dir um die Möglichkeiten geht, die sich aus einer Perspektive ergeben, welche Rollenspiel vor allem aus Sicht des analogen Spiels als Medium sehen?

Bin neugierig, wie sich das entwickelt.
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Offline La Cipolla

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Zitat
Verstehe ich es recht, dass es Dir um die Möglichkeiten geht, die sich aus einer Perspektive ergeben, welche Rollenspiel vor allem aus Sicht des analogen Spiels als Medium sehen?

Ich halte eigentlich immer erstmal die Klappe in meinen Threads, aber das "analog" ist ein extrem interessanter Punkt! :D

Genau, es geht mir auf jeden Fall um die "exklusiven" Eigenheiten und Möglichkeiten des Mediums P&P-Rollenspiel (und darum, dass Indie-Spiele oft viel eher die Tropen und Regeln ANDERER Medien in den Mittelpunkt stellen) – wobei ich bei diesen P&P-Merkmalen allem voran an die Interaktivität gedacht habe, was vielleicht auch schon ein Teil des Problems ist. Das Analoge ist definitiv eine weitere interessante Eigenheit (die ja auch schon aufgegriffen wird, siehe bspw. Dread), und ich bin mir sicher, dass es da noch mehr Merkmale gibt, auf die man sich fokussieren kann.

Offline felixs

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"Spiel" impliziert ja auch schon Interaktivität. Aber es schadet sicher nicht, das nochmal herauszustellen, ist vermutlich erstmal nicht selbstverständlich  :d
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Offline Alexander Kalinowski

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Gehört fast schon ins Theorie-Forum, aber schau'n mer mal!

Also von mit gibt's erst einmal an einigen Stellen Dissens. Die Dichotomie D&D versus Indie trifft es aus meiner Sicht nicht richtig, ich betrachte die Sachlage stattdessen aus einer GNS-artigen Perspektive.

Klassische Rollenspiele ("Trad Games") wie D&D oder DSA oder auch Shadowrun oder selbst auch CoC waren immer eine verquere Mischung zwischen gamistisch und simulationistisch. Sie sind weder realistisch NOCH, sagen wir, filmgetreu. Ihr kennt das vermutlich auch as euren Runden, aber wenn's für die Spieler zum Vorteil ist, dann argumentieren sie gerne, dass irgendetwas nachteiliges doch völlig unrealistisch sei. Die gleichen Spieler jammern, aber auch, falls ihr Charakter völlig unheldenhaft draufgeht. Diese Spiele waren in dieser Hinsicht nie konsistent - weder in den Regeln selbst noch im realen Spielverlauf.
Und die Regelwerke, die halbwegs konsistent realistisch waren, konnten sich nicht wirklich durchsetzen (Phoenix Command, Harnmaster, etc).

Ende der 90er Jahre bildete sich nun eine neue Strömung heraus, die den dritten, bis dato vernachlässigten, Hauptaspekt des Rollenspiels ins Zentrum rückten: die Geschichte. Das waren die narrativistischen oder narrativen Systeme a la The Pool. Was du Indie nennst, das sind in signifikanten Teile diese Erzählsysteme. Und die sind mMn nicht D&D in besser, sondern eben gerade NICHT D&D. PbtA bedeutet einen Bruch mit den Prinzipien, die D&D zugrundeliegen. Apocalypse World hat keinen Anspruch mehr eine konsistente Welt zu simulieren. Die Simulation findet praktisch ausschließlich in der Narration des Spielleiters statt, dort wird diese Aufgabe, sozusagen, abgeladen.

Trotzdem, und dies erkennst du mMn richtig, wird dort etwas simuliert, was mit Genre zu tun hat: es werden Genre-Geschichten (nicht -Welten!) simuliert und die Moves sind die einzelnen Bausteine/Stützpfeiler aus denen die genre-typische Geschichte zusammengesponnen wird. Ungekehrt deutest du aber auch an, dass es einen Unterschied zwischen PbtA und zB Savage Worlds gibt. Savage Worlds hat eindeutig nicht die Simulation einer fiktiven Welt aufgegeben und betreibt auch keine Geschichten-Simulation.

Daraus ergibt sich, dass es mindestens zwei Arten von GenreSim gibt. Und die Savage Worlds-Variante ist sehr nah am Trad Game gebaut. Ich möchte sagen: es ist ein Trad Game, denn Trad Games hatten immer auch eine simulationistische Komponente, wenn auch nicht sehr konsistent.
Tatsächlich gibt es vermutlich mehr als zwei Varianten, wie wir in einem früheren Thread im Theorie-Forum bereits herausgearbeitet hatten.

Nun zur Simulation an sich:
1. Wie in dem verlinkten Thread aufgeführt, kommt es darauf an, was simuliert wird - die wirkliche Welt ("Rollenspiel im Köln des Jahres 1340") oder eine fiktive Welt ("Actionheld a la Rambo").
2. Es gibt gute Grunde warum man bestimmten Erzählmustern folgt. Die haben sich bewährt. Wer früher am Lagerfeuer Geschichten erzählte, der schmückte sie gern mal aus um sie interessanter zu machen. Nicht anderes macht Hollywood, vor allem dann, wenn sie eine wahre Begebenheit nehmen, strategisch aufhübschen und mit einem epischen Soundtrack unterlegen. Das nennt sich Dramatisierung und man macht das, weil es schlicht unterhaltsamer ist. Es entspricht den Wünschen und Träumen (häufig: Machtträumen) des Publikums.
3. Diese Träume sind medien-unabhängig. Egalb ob Roman, Comicbuch, Serie, Film, Videospiel oder TTRPG.
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Offline felixs

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Ich verstehe dass meiste nicht. Wenn wir aneinander vorbeireden, bitte ignorieren oder korrigieren. Kann gut sein, dass ich das Thema verfehle - meine Gedankengänge sind hier gerade eher assoziativ.

Nur zum letzten Punkt:
Die Inhalte, auch die Muster dahinter, mögen in den Medien gleich oder ähnlich sein.

Die Form der Darstellung ist es nicht und entsprechend unterschiedlich ist die Rezeption, sowohl passive Rezeption als auch die (aktive) Mitgestaltung durch innere Haltung (emotionale Reaktion etc.), als auch durch Externalisierung derselben oder durch Kommentare.

Im Zusammenhang des Rollenspiels sind vor allem die Erwartungshaltung und die darauf folgende Reaktion, der Umgang mit dem (gemeinsam) Dargestellten relevant.

Nicht zuletzt gibt es auch eine soziologisch/demographische Komponente. Ich kann meist mit textaffinen Mitspielern und deren Art der Beschreibung deutlich besser umgehen, als mit denen von Leuten, die ihre Referenzen aus graphischen Medien (Film, Comic, Computerspiel) nehmen. Ich vermute, dass das auch an Gemeinsamkeiten in den Gewohnheiten der Rezeption liegt.
« Letzte Änderung: 19.11.2020 | 12:11 von felixs »
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Offline takti der blonde?

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Ich möchte nur kurz zu bedenken geben, dass D&D für Arneson, Gygax et al. ja bereits auf andere Medien, konkret: Bücher, rekurriert (vgl. Appendix N). D&D ist ja grob: Conan+freies Kriegsspiel+Diplomacy+Methode Rollenspiel.

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Was die "Form der Darstellung" angeht, würde ich sagen, entspricht Rollenspiel noch am ehesten dem guten alten Geschichtenerzählen, eventuell noch der moderneren Form Hörspiel. ;) Wir haben ja einerseits normalerweise keine besonderen sichtbaren Extrakomponenten wie in Film, Fernsehen, Theater, oder auch Comics und den meisten Videospielen, aber auch nicht so wirklich die Möglichkeit zum einfachen Vor- und Zurückblättern und Pausieren nach Gusto wie mit einem Buch. Und: speziell, wenn tatsächlich einer vor Publikum sitzt oder steht und eine Erzählung zum besten gibt, dann kann wie im Spiel natürlich auch schnell Interaktivität hinzukommen, wenn die Zuhörer eben nicht bloß andächtig still sind, sondern selbst anfangen, zu kommentieren, Fragen zu stellen, und vielleicht sogar Änderungswünsche anzumelden (findet man vielleicht eher bei Kindern als bei Erwachsenen, aber immerhin)...

Offline tartex

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Ihr kennt das vermutlich auch as euren Runden, aber wenn's für die Spieler zum Vorteil ist, dann argumentieren sie gerne, dass irgendetwas nachteiliges doch völlig unrealistisch sei. Die gleichen Spieler jammern, aber auch, falls ihr Charakter völlig unheldenhaft draufgeht. Diese Spiele waren in dieser Hinsicht nie konsistent - weder in den Regeln selbst noch im realen Spielverlauf.

Interessanter Punkt. Darüber habe ich noch nie nachgedacht. War die Realismus-Keule ein der ersten Formen von Player-Empowerment?

Gefühlsmäßig ist da für mich was dran.
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Offline Alexander Kalinowski

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Player-Self-Empowerment?  ;D
Aber das gibt's natürlich auch von der anderen Seite her: Der Star-Wars-Spielleiter, der in einem viel zu einfachen Gefecht plötzlich den Realismus entdeckt - um's einfach wieder etwas spannender zu machen.
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Offline Crimson King

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Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
« Antwort #10 am: 19.11.2020 | 14:56 »
Ich würde Savage Worlds wohl auch bei den traditionellen Spielen einordnen, aber das ist vermutlich nicht der eigentliche Punkt.

Ich sehe bei Indies im Übrigen weniger eine Fokussierung auf ein Genre, sondern eher auf ein Thema. Das ist in vielen Fällen ein Genre, kann aber auch etwas völlig anderes sein, z.B. moralische Fragestellungen.

Spiele wie FATE, PDQ oder auch diverse PbtA-Implementierungen sehe ich eher als Versuch, eine Synthese aus den beiden radikal unterschiedlichen Entwürfen zu bilden. Die wollen Kampagnenspiel im klassischen Sinne, aber unter der Prämisse, ihr Thema in den Fokus der Kampagne zu rücken.
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Offline KhornedBeef

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Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
« Antwort #11 am: 19.11.2020 | 19:18 »
Sind nicht Simulation und Storygame-Mechaniken oft beides Versuche, Genre zu emulieren? Wie oben schon gesagt, speiste sich D&D bloß weniger aus Filmen.
Oder anders: kommen wir der Erkenntnis näher, wenn wir mal gezielt Spiele analysieren, die gar kein Genre emulieren wollen? Da fällt mir erstmal nichts ein. Einige OSR+Sachen sind mittlerweile ihr eigenes Genre, aber sonst...?
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Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
« Antwort #12 am: 19.11.2020 | 20:41 »
Sind nicht Simulation und Storygame-Mechaniken oft beides Versuche, Genre zu emulieren? Wie oben schon gesagt, speiste sich D&D bloß weniger aus Filmen.
Oder anders: kommen wir der Erkenntnis näher, wenn wir mal gezielt Spiele analysieren, die gar kein Genre emulieren wollen? Da fällt mir erstmal nichts ein. Einige OSR+Sachen sind mittlerweile ihr eigenes Genre, aber sonst...?
Also ich würde noch einen Schritt abstrakter sagen, dass die Rollenspielsysteme mit ihren Regeln und Konventionen (oder Symbolen oder Genretropen oder wie man sie noch nennen will) einfach eine fiktive Realität schaffen will, die sich besser und kontrollierbarer anfühlt, als die echte Realität.
Ich weiss allerdings nicht, in wie weit das hier im Thread weiter hilft.
Ich bin viel lieber suess als ich kein Esel sein will...
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
Nicht Sieg sollte der Zweck der Diskussion sein, sondern
Gewinn.

Joseph Joubert (1754 - 1824), französischer Moralist

ErikErikson

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Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
« Antwort #13 am: 19.11.2020 | 21:09 »
Alle Rollenspiele die ich kenne emulieren ein Genre, oder einen Genre-Mix. Ich wüsste nicht, wie es anders gehen sollte. Eventuell kann man sagen, das Universalsysteme wie GURPS das nicht tun, aber die haben dann Supplements für die jeweiligen Genres. Ich würde die frage stellen, ob es überhaupt möglich ist, ein Rollenspiel ohne genre zu spielen. ich denke nein. Und ich glaube, das Rollenspiel schon auch seine eigenes genres erschafft, zumindest D&D tut das, und ich denke auch DSA.

Offline tartex

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Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
« Antwort #14 am: 19.11.2020 | 21:11 »
Naja, zumindest geben sich die meisten Rollenspiele der 1980iger als "genreblind".
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Achamanian

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Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
« Antwort #15 am: 19.11.2020 | 21:27 »
Ich mache mal eine Tangente zum Eingangsbeitrag auf, den ich ziemlich spannend finde, zu der Frage: Wie kommen wir überhaupt darauf, dass Rollenspiele bestimmte andere erzählende Formen (Film, Fernsehserie, Comic, Roman, Kurzgeschichte) "simulieren" sollen?

ich glaube nicht unbedingt, dass das ein Grundgedanke des Rollenspiels ist - vor der Adaption von Roman- und Filmwelten stand, wenn ich mich nicht irre, ja das eklektische Sich-bedienen an solchen Welten, ohne den erkennbaren Anspruch, dass das Rollenspiel Geschichten generieren soll, die atmosphärisch, inhaltlich, dramaturgisch oder sonstwie den Quellen entsprechen, bei denen man sich bedient hat (siehe Lovecraft- und Moorcock-Schöpfungen in D&D-Monsterkompendien).

Auch die frühen Adaptionen von literarischen Werken als Spielwelten wie Sturmbringer, MERS und Cthulhu haben ja gar nicht so sehr darauf abgezielt, die Erzählweise ihrer jeweiligen Vorbilder "erspielbar" zu machen (bei Sturmbringer trifft das vielleicht noch am ehesten zu, was aber wahrscheinlich auch eher an dem fast schon zufälligen Zusammentreffen des BRP-Systems mit Moorcocks Sword&Sorcery ohne Handbremse lag. Hat halt einfach gepasst ...). Allein der Cthulhu-Modus, als Gruppe in aufeinanderfolgenden Abenteuern gegen Mythosgeschöpfe zu Felde zu ziehen, passt ja nur ganz ansatzweise und im weitesten Sinne zu einigen wenigen (tendenziell schwächeren) Lovecraft-Geschichten wie "Das Grauen von Dunwich"; und MERS war trotz sorgfältiger Hintergrundausarbeitung einfach in so ziemlich jeder Hinsicht meilenweit neben jedem Herr-der-Ringe-Feeling ... man hat den Eindruck, dass beide Rollenspiele eigentlich ganz zufrieden damit waren, den jeweiligen Kosmos als Kulisse für etwas anderes, nämlich ein Rollenspiel zu verwenden, ohne es als Defizit zu empfinden, dass das Rollenspiel ("natürlich", könnte man fast schon sagen) ganz andere Arten von Geschichten hervorbringt. Man wollte gerne die Motive aus den Vorlagen, gerne auch in der Verdichtung zum geschlossenen Setting, aber darüber hinaus wollte man gar nicht unbedingt die Vorlage emulieren.

Andererseits ist das kein Wunder, dass das von vielen Spielern und Designern dann eben doch irgendwann als Defizit empfunden wurde. Heute scheint es mir fast schon Common Sense zu sein, dass ein Rollenspiel, das sich direkt von einem bestimmten Hintergrund inspirieren lässt, auch mithilfe seiner Mechaniken darauf abzuzielen hat, irgendwie ähnliche Geschichten wie die aus den Vorlagen bekannten zu erzeugen. Das führt auch gelegentlich zu tollen und beeindruckenden Ergebnissen (z.B. The One Ring) - aber ich glaube auch, dass darüber leicht vergessen wird, dass auch das Spiel in einer Welt aus anderen Medien oder mit den Motiven von anderen Medien reizvoll sein kann, ohne, dass man dabei das Rollenspiel als Vehikel begreift, um eine irgendwie "gleiche" Art von Geschichten hervorzubringen.

Als Beispiel mal Lovecraft: Call of Cthulhu und die meisten anderen Cthulhu-Rollenspiele taugen einfach nicht und niemals dafür, Geschichten wie die von Lovecraft hervorzubringen. Es gibt Versuche, dem Vorbild näherzukommen, wie Cthulhu Dark und als radikalsten Ansatz wohl Lovecraftesque, aber gerade bei letzterem merkt man, dass das nur sehr formalisiert und mit sehr strengen Regeln dafür, was wie erzählt werden kann, möglich ist. Das hat sicher seinen Reiz - aber ich würde behaupten, dass das tolle an den Lovecraft-Geschichten für's Rollenspiel eben gar nicht unbedingt ist, dass sie ein so tolles Vorbild für gemeinsames spielerisches Geschichtenerzählen darstellen, sondern, dass sie ein lose verknüpftes Bestiarium (den "Cthulhu-Mythos") präsentieren, dass als Rollenspiel-Material einfach unschlagbar großartig ist. Man will im Spiel vielleicht gewisse atmosphärische und motivische "Beats" aus den Lovecraft-Geschichten wiederfinden (eine Flucht aus Innsmouth, den daherplappernden Alten irren), aber es geht bei CoC sicher in den meisten Fällen nicht darum, gemeinsam eine Lovecraft-typische Geschichte zu erschaffen.

Aber irgendwie hat sich trotzdem die Vorstellung weitgehend durchgesetzt, dass ein Rollenspiel erfolgreich ist, wenn es gelingt, mit ihm Geschichten zu erzeugen, die den erzählerischen Konventionen nicht nur bestimmter Genres, sondern auch bestimmter anderer Medien (meistens Film, Fernsehserie oder Roman) entspreichen - und scheitert, wenn es nicht dazu geeignet ist.

Was mich zu den Universalsystemen Fate und Savage Worlds bringt, die auf der Suche nach einer Antwort auf der Frage, was denn die "Universalkonventionen" sind, die eine im Rollenspiel erzeugte Geschichte erfüllen sollte, tendenziell beim Actionfilm bzw. bei der actionlastigen Fernsehserie landen. Das liegt wahrscheinlich deshalb nahe, weil Actionfilm und typisches Rollenspiel eine Strukturierung um Set-Pieces, insbesondere gerne Kampfszenen, gemeinsam haben. Beide Systeme schließen daraus, dass Actionfilm und Actionserie dem "natürlichen Erzählmodus" des Rollenspiels entsprechen.

Ich halte das ehrlich gesagt nicht für einen funktionalen Zusammenhang, sondern für einen Zufall. Meine Erfahrung im Rollenspiel ist, dass ein Wechsel zwischen den Arten der Konzentration (auf Regelmechanismen, wie vor allem im Kampf, auf schauspielerische Elemente, auf gemeinsame Plotentwicklung), die man jeweils aufrechterhalten muss, einfach wichtig ist, um sich nicht zu erschöpfen. Ich kann nicht drei Stunden lang "schauspielern" oder mich drei Stunden lang auf ein taktisches Spiel konzentrieren, aber ich kann drei Stunden lang ein bisschen schauspielern, ein bisschen Taktieren, ein bisschen an einer Story basteln und ein bisschen plaudern. Dass das, was dabei rauskommt, im Rückblick wahrscheinlich noch am ehesten wie ein Actionfilm aussieht, heißt aber nicht, dass eine Rollenspielerfahrung je besser wird, desto mehr sie die Dramaturgie eines Actionfilms nachahmt.

Zusammenfassend: Ich liebe die Spielerfahrung von Fiasko oder Der Eine Ring (allerdings durchaus auch die von MERS); Savage Worlds und Fate können mir gestohlen bleiben (nicht, weil sie schlecht wären, aber weil ich mich nicht für das Ziel interessiere, Actionfilme zu emulieren) - so oder so fände ich es insgesamt aber gut, sich auch dann und wann mal klar zu machen, dass Rollenspiel überhaupt keine erzählweise andere Medien nachahmen muss, um gut zu sein. Nur, weil das, was da erspielt wurde, niemand als Roman lesen oder als Film sehen wollen würde, heißt das nicht, dass es Mist ist - im Gegenteil zeigt es vielleicht, dass das Rollenspiel eben Geschichten hervorbringen kann, die nur im Medium des Rollenspiels gut funktionieren und nicht als Roman oder Film (genauso, wie es eben Romangeschichten gibt, die nicht als Film funktionieren oder Filme, die sich nur schwer in einen Roman übertragen ließen).

So, eigentlich wollte ich auch noch was dazu unterbringen, warum ich das M.R. James-Rollenspiel Casting the Runes leider aus eben solchen Gründen für eher missglückt halte, aber egal ...

ErikErikson

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Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
« Antwort #16 am: 19.11.2020 | 21:49 »
Ich würde schon sagen, das Call of Cthulhu versucht, eine Lovecraft-Geschichte zu erzeugen. Allerdings nicht krampfhaft identisch wie in den Lovecraft Stories. ich denke, die Rollenspieler habne durchaus richtig erkannt, das es keine 1 zu 1 übertragung sein kann. Alleine schon die tatsache, das man üblicherweise mehrere Spieler hat, Lovecraft-Stories aber meist einen protagonisten haben, macht das schon unmöglich. Auch die gänzliche unterschiedlichkeit von Rollenspiel und Kurzgeschichte bzw. Novelle macht es unmöglich, dasselbe in beiden zu produzieren.

ich würde aber sagen, das trotzdem das Genre "Lovecraft" als orientierungspunkt bleibt, und zumindest der versuch unternommen wird, ähnliche emotionale Wirkung wie die Lovecraft geschichten zu erzeugen. Das die techniken nicht immer identisch sein können, ist klar, die Umstände des Erlebens sind ganz andere. Aber es können dieselben themen aufgegriffen werden, und es können dieselben Wirkungen auf den Rezipienten erzeugt werden.

ich weiss, das manche Indie-Spiele versuchen, noch näher an diese Strukturen von Filmen und anderen Medien ranzukommen, dabei aber gleichzeitig den Spiel-Charakter behalten. Das macht Call of Cthulhu nicht, genausowenig wie die anderen traditionellen Rollenspiele.

Offline Runenstahl

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Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
« Antwort #17 am: 19.11.2020 | 22:04 »
Letztlich geht es beim Rollenspiel doch immer darum eine (hoffentlich) spannende Geschichte zu erleben an der alle Spaß haben. Das man sich dafür bei Vorbildern bedient (Bücher, Comics, Filme, Videospiele etc.) ist ja eigentlich nur naheliegend. Insofern wüßte ich nicht, wie ich mir ein Rollenspiel das absichtlich versucht ein eigenes Genre zu sein, überhaupt vorstellen sollte. Am ehesten kommt mir da noch eine Art Parodie in den Sinn bei der man Mörderhobos spielt denen es nur um XP und Loot geht. Quasi "Munchkin - das Rollenspiel" (tm). Könnte auch witzig sein.
"Reading is for morons who can't understand pictures"
   Gareth (aus der Serie "Galavant")

Achamanian

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Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
« Antwort #18 am: 19.11.2020 | 22:18 »
Insofern wüßte ich nicht, wie ich mir ein Rollenspiel das absichtlich versucht ein eigenes Genre zu sein, überhaupt vorstellen sollte.

Na ja, Rollenspiel ist ein eigenes Genre (wenn man hier als Genre Kategorien wie Roman, Kurzgeschichte, Film begreift), einfach durch ein paar starke formale Eigenheiten. Z.B. ist die Szenenstruktur so wie ich das kenne in vielen Rollenspielen sehr weich, es gibt da dauernd fließende Wechsel, die allenfalls noch in eher experimentellen Romanen zu finden wären ... Auch, dass der Verlauf der Geschichte sowie Erzähltempo und Struktur regelmäßig durch ganz spontan auftretende äußere Faktoren (Der Pizzabringdienst ist da, Hanna ist jetzt langsam echt müde) beeinflusst werden, ist schon ziemlich einzigartig. Ganz zu schweigen von der Würfelei. Explizite Verteilung von Erzählrechten kennt man so aus Büchern oder Filmen in der Regel auch nicht (bzw. nur "Hinter den Kulissen", z.B. als Gerangel zwischen Drehbuchautoren, Regisseuren und Produzenten). All das sind ja Elemente, die sich auf die Struktur der entstehenden Geschichten auswirken - da muss man Rollenspiel überhaupt nicht absichtlich zum eigenen Genre machen wollen, es ist halt eines.
Wenn man jetzt versucht, klassische Film- oder Romanverläufe aus dem Rollenspiel als Ergebnis herauszubekommen, dann muss man diese Eigenartigkeiten dann eben entweder in die richtigen Bahnen lenken. Und das kann ja durchaus tolle Ergebnisse haben, es ist nur längst nicht so selbstverständlich, wie das für mein Gefühl manchmal dargestellt wird. Es spricht ja überhaupt nichts dagegen, zu sagen: "Wir lassen unser Rollenspiel einfach mit dem Hintergrund-Inventar von Lovecraft/Tolkien laufen, aber es ist uns völlig egal, ob wir dabei irgendwelche Geschichten produzieren, von denen wir uns vorstellen können, dass Lovecraft oder Tolkien die so ähnlich geschrieben hätten."

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Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
« Antwort #19 am: 19.11.2020 | 22:20 »
Allgemein möchte ich beim Rollenspiel schon Abenteuer erleben bzw. ermöglichen, wie ich sie aus anderen Medien heraus auch kenne -- irgendwo muß ich ja schließlich mindestens meinen Startpunkt finden, und beim Gedanken an ein hypothetisches Rollenspiel, das seine diesbezügliche Inspiration ausdrücklich nur aus anderen Auch-Schon-Rollenspielen beziehen wollte, kräuseln sich mir ehrlich gesagt schon so ein wenig die Fußnägel. ;)

Andererseits halte ich das nicht an sich schon für einen guten Grund, unbedingt zwangsneurotisch das jeweilige andere Medium an sich emulieren zu "müssen"; in vielerlei Hinsicht ist das ja schon rein von den verfügbaren Darstellungsmöglichkeiten her oft unpraktisch bis direkt unmöglich. Ideen und Konzepte, die allgemein dabei helfen können, ein nettes interaktives Abenteuergarn zu spinnen? Gerne, und je nach genauer Inspirationsquelle mag's auch mal sinnvoll sein, sich zusätzlich beim speziellen Original zu bedienen -- aber nur, weil ich beispielsweise nach Vorbildern wie McGyver oder dem A-Team in meinem System vielleicht auch 'ne eigene Regel für improvisierte Bastelmontagen mit speziellem Problemlöseeffekt ein- oder zweimal pro Sitzung haben will, muß ich noch lange nicht versuchen, gleich das komplette Medium "Fernsehserie" mit abzubilden.

Achamanian

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Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
« Antwort #20 am: 19.11.2020 | 22:25 »
aber nur, weil ich beispielsweise nach Vorbildern wie McGyver oder dem A-Team in meinem System vielleicht auch 'ne eigene Regel für improvisierte Bastelmontagen mit speziellem Problemlöseeffekt ein- oder zweimal pro Sitzung haben will, muß ich noch lange nicht versuchen, gleich das komplette Medium "Fernsehserie" mit abzubilden.

Das meine ich so in etwa mit "Beats" - Ich denke, oft sagt man, "ich will ein rundum McGyvermäßiges Spielerlebnis", aber eigentlich will man halt über die Bastelszene die McGyver-Assoziation aufrufen und nicht eine komplette Spielsitzung haben, die inhaltlich genau wie eine typische McGyver-Folge abläuft.

Offline Isegrim

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Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
« Antwort #21 am: 19.11.2020 | 22:31 »
Es spricht ja überhaupt nichts dagegen, zu sagen: "Wir lassen unser Rollenspiel einfach mit dem Hintergrund-Inventar von Lovecraft/Tolkien laufen, aber es ist uns völlig egal, ob wir dabei irgendwelche Geschichten produzieren, von denen wir uns vorstellen können, dass Lovecraft oder Tolkien die so ähnlich geschrieben hätten."

So wurde das ja auch sehr lange so gemacht. Den Anspruch, dass bspw die Regeln i-wie dafür sorgen sollen, diese "Story-Struktur" zu unterstützen, kenn ich erst seit ein paar Jahren. Schon 1987, als ich mit DSA anfing, war eine der Standard-Beschreibungen "Was ist Rollenspiel?" ungefähr: "Naja, ihr Spieler spielt die Hauptfiguren, wie in einem Film oder Buch, aber ihr könnt halt entscheiden, was ihr macht." Das wurde dann mit DSA1 umgesetzt, und natürlich kam da nicht wirklich was bei raus, was als Skript für i-ein anderes Medium getaugt hätte. Am nächsten kam dem in meiner Frühzeit Star Wars W6, dass zumindest in der SL-Sektion Tipps enthielt, wie die SL Szenarien planen kann, die i-wie an die Filme erinnerten. Aber die Regeln war im Prinzip auch das, was in den 80ern die Norm war. Es war halt Aufgabe der SL, für Story-Struktur oder Dramaturgie zu sorgen. Da gibt es heute doch ein sehr viel breiteres Spektrum an Herangehensweisen. Ich denke, dass ist es, was La Cipolla im Ausgangsbeitrag meinte.
"Klug hat der Mann gehandelt, der die Menschen lehrte, den Worten auch der Anderen Gehör zu schenken."  Euripides

ErikErikson

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Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
« Antwort #22 am: 19.11.2020 | 22:34 »
gerade lovecraft ist kaum zu emulieren, weil er sich fast seine ganze karriere weiterentwickelt hat. Fast alle Lovecraft-Stories bauen erzähltechnisch aufeinander auf, und zeigen ne klare Entwicklung. D.h. es gibt die prototypische Lovecraft Story so nicht. Als Rollenspieler ist man auch kein literarisches Genie, das lovecraft nacheifern könnte.

Man muss als Spieler also irgendwie etwas erschaffen, das sich zwar an lovecraft orientiert, aber das trotzdem was eigenes ist. So ist es ja dann auch geschehen, und es gab diese "Cthulhu matrix", also so ein archetypisches Abenteuer, wie es Lovecraft nie geschrieben hat, aber ungefähr so hätte schreiben können, irgendwann in seiner karriere, wahrscheinlich recht früh.

Insofern ist Rollenspiel von seinen literarischen Vorlagne schon sehr weit weg, und der versuch wieder näher ranzukommen, ist eine reaktionäre bewegung.

Offline Alexander Kalinowski

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Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
« Antwort #23 am: 19.11.2020 | 22:50 »
Ich mache mal eine Tangente zum Eingangsbeitrag auf, den ich ziemlich spannend finde, zu der Frage: Wie kommen wir überhaupt darauf, dass Rollenspiele bestimmte andere erzählende Formen (Film, Fernsehserie, Comic, Roman, Kurzgeschichte) "simulieren" sollen?

ich glaube nicht unbedingt, dass das ein Grundgedanke des Rollenspiels ist - vor der Adaption von Roman- und Filmwelten stand, wenn ich mich nicht irre, ja das eklektische Sich-bedienen an solchen Welten, ohne den erkennbaren Anspruch, dass das Rollenspiel Geschichten generieren soll, die atmosphärisch, inhaltlich, dramaturgisch oder sonstwie den Quellen entsprechen, bei denen man sich bedient hat (siehe Lovecraft- und Moorcock-Schöpfungen in D&D-Monsterkompendien).

Der zweite Paragraph beantwortet die Frage aus dem ersten. :) Das eklektische Sich-Bedienen führt dazu, dass die Wünsche einiger Spieler nicht erfüllt werden. Einige Spieler wollen eben auf Mittelerde spielen und nicht Greyhawk. Und einige Spieler, die Mittelerde spielen wollen, wollen auch, dass es sich so anfühlt wie Tolkien's Welt. (Das beweist ja gerade die Kritik an MERP.)


man hat den Eindruck, dass beide Rollenspiele eigentlich ganz zufrieden damit waren, den jeweiligen Kosmos als Kulisse für etwas anderes, nämlich ein Rollenspiel zu verwenden, ohne es als Defizit zu empfinden, dass das Rollenspiel ("natürlich", könnte man fast schon sagen) ganz andere Arten von Geschichten hervorbringt. Man wollte gerne die Motive aus den Vorlagen, gerne auch in der Verdichtung zum geschlossenen Setting, aber darüber hinaus wollte man gar nicht unbedingt die Vorlage emulieren.

Das sind natürlich die ersten Rollenspiele, von denen du hier sprichst, und die Ansprüche waren damals ganz andere. Sowohl Rollenspiele als auch Rollenspielende haben eine Entwicklung seitdem durchgemacht.

aber ich glaube auch, dass darüber leicht vergessen wird, dass auch das Spiel in einer Welt aus anderen Medien oder mit den Motiven von anderen Medien reizvoll sein kann, ohne, dass man dabei das Rollenspiel als Vehikel begreift, um eine irgendwie "gleiche" Art von Geschichten hervorzubringen.
Naja, D&D ist sein eigenes Genre. Nur einige Spieler wollen das nicht. Es gibt kein einziges Fantasy-Rollenspiel, das mir die Fantasy-Erfahrung gibt, die ich will, also schreibe ich mein eigenes und studiere Fantasy-Werke eben genauer als es andere zuvor getan haben.

Man will im Spiel vielleicht gewisse atmosphärische und motivische "Beats" aus den Lovecraft-Geschichten wiederfinden (eine Flucht aus Innsmouth, den daherplappernden Alten irren), aber es geht bei CoC sicher in den meisten Fällen nicht darum, gemeinsam eine Lovecraft-typische Geschichte zu erschaffen.

Naja, Trail of Cthulhu hat zwei Spielmodi: Pulp und Purist. 'The Dying of St Margaret's' ist ein ganz hervorragendes Puristen-Szenario.
Der Bedarf existiert.

Aber irgendwie hat sich trotzdem die Vorstellung weitgehend durchgesetzt, dass ein Rollenspiel erfolgreich ist, wenn es gelingt, mit ihm Geschichten zu erzeugen, die den erzählerischen Konventionen nicht nur bestimmter Genres, sondern auch bestimmter anderer Medien (meistens Film, Fernsehserie oder Roman) entspreichen - und scheitert, wenn es nicht dazu geeignet ist.

Wenn dem so wäre, müsste ich nicht Knights of the Black Lily schreiben. ;) Oder ich müsste die realistische Hoffnung haben am Thron von D&D zu sägen. Beides ist nicht der Fall. Aber, natürlich, wenn man spezifische IPs hat und nicht nur generische Genre-Welten, dann steigen die Ansprüche in Punkto Simulation.

Was mich zu den Universalsystemen Fate und Savage Worlds bringt, die auf der Suche nach einer Antwort auf der Frage, was denn die "Universalkonventionen" sind, die eine im Rollenspiel erzeugte Geschichte erfüllen sollte, tendenziell beim Actionfilm bzw. bei der actionlastigen Fernsehserie landen.

Fate basiert mMn eher auf Pulp denn als auf "Action" (was auch ein viel zu modernes Konzept für zB SPirit of the Century ist). Aber natürlich gibt's in Pulp auch Action.

Zusammenfassend: Ich liebe die Spielerfahrung von Fiasko oder Der Eine Ring (allerdings durchaus auch die von MERS); Savage Worlds und Fate können mir gestohlen bleiben (nicht, weil sie schlecht wären, aber weil ich mich nicht für das Ziel interessiere, Actionfilme zu emulieren) - so oder so fände ich es insgesamt aber gut, sich auch dann und wann mal klar zu machen, dass Rollenspiel überhaupt keine erzählweise andere Medien nachahmen muss, um gut zu sein.

Das ist der Punkt an dem ich einbringen muss, dass Simulationismus eben nur eine von 3 Strömungen ist. Dh, es gibt viele Rollenspieler, für die das eine untergeordnete Rolle spielt (die meisten sind wohl immer noch Gamisten, siehe D&D) und ein paar Rollenspieler, für die das sehr wichtig ist.

Nur, weil das, was da erspielt wurde, niemand als Roman lesen oder als Film sehen wollen würde, heißt das nicht, dass es Mist ist - im Gegenteil zeigt es vielleicht, dass das Rollenspiel eben Geschichten hervorbringen kann, die nur im Medium des Rollenspiels gut funktionieren und nicht als Roman oder Film (genauso, wie es eben Romangeschichten gibt, die nicht als Film funktionieren oder Filme, die sich nur schwer in einen Roman übertragen ließen).

Das ist nicht das Problem. Wenn ich mal für mich sprechen darf: mich stört es, wenn im Fantasy-Rollenspiel ständig Heilung benötigt wird. In der Fiktion werden Helden nur selten so schwer verwundet, dass größere Heilung nötig ist. Die müssen nicht 'nen Heiler mitschleppen oder einen Rucksack voller Heiltränke, wenn sie nur vor die Tür gehen wollen. Es gibt also Diskrepanzen, die einige Rollenspieler stören können.
Umgekehrt gibt's auch Dinge, die einem simulationistischen Spieler vielleicht fehlen können. Ich mag zB an dem System, das ich entwickle, dass Attacken/Parade nicht alternieren, sondern dass, quasi wie in Filmkämpfen, Serien geschlagen werden können. Es erinnert auch an Fußballspiele in denen vielleicht eine Seite Angriffswelle auf Angriffswelle aufs gegnerische Tor rollen lässt.

ABER - das ist eben nur eine bestimmte Art von Spielern. Andere wollen nur Monster erschlagen und Schätze sammeln, egal wie. Und andere wollen nur kreatives Spielen/Story-Telling, da stören solche Bedenken nur.
Knights of the Black Lily RPG - Black Fantasy-RPG mit Next Gen Fantasygenre-Simulationssystem.
KotBL spielt auf Ilethra, einer Welt in der es keine guten Götter gibt.

Offline Ainor

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Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
« Antwort #24 am: 19.11.2020 | 23:13 »
Der moderne "Indie-Mainstream" (Ich weiß, komisches Wort ... aber wir sind uns einig, oder? :D) ist immer noch eine Reaktion auf D&D. Das ist wahrscheinlich keine besonders steile These, aber ich würde ergänzen: Der Indie-Mainstream hat sich so rabiat GEGEN diesen Platzhirsch aufgestellt,

Der "Indie-Mainstream" sind die Indiespiele die erfolgreich sind. Und erfolgreich sind eigentlich immer nur die Spiele die sich von D&D stark unterscheiden. Indiespiele die D&D (und ggf DSA) ähnlich sind heissen ja Heartbreaker weil man generell davon ausgeht dass sie keine Zukunft haben. Da gab es ja früher viele die versprochen haben realistischer als D&D zu sein, was meist mit komplexeren Regeln einhergeht.
Aber komplexe Systeme laden nicht dazu ein einfach mal loszuspielen und auszuprobieren. Deshalb ist es schwer sie als Indieprodukt zu etablieren.
Gleichzeitig ist D&D mit 3E ab 2000 sehr kompliziert geworden was vermutlich noch ein paar mehr Leute motiviert hat sich was leichteres zu suchen.
Damit ergibt sich ein entsprechender Markt für regelleichte Spiele.

Die Hinwendung zu anderen Medien wie z.B. Film lässt sich vermutlich ähnlich erklären. Es gibt ja recht viele Indiespiele, und alle ausprobieren tut man eher nicht. Deshalb haben Spiele die an etwas bekanntes anküpfen können ("spielt sich genauso cool wie Matrix") hier einen deutlichen Vorteil.
Und Filme und Serien bieten sich hier eben an. 



Es wird zu viel darüber geredet wie gewürfelt werden soll, und zu wenig darüber wie oft.
Im Rollenspiel ist auch hinreichend fortschrittliche Technologie von Magie zu unterscheiden.
Meine 5E Birthright Kampagne: https://www.tanelorn.net/index.php/topic,122998.0.html