Naja, ich weiß ja nicht: Ich für mich kann schon Gleichberechtigung, Freiheitlichkeit, sexuelle Selbstbestimmung, Pluralismus und soziale Solidarität als moralische Ideale vertreten und tue das auch selbstbewusst – und auch rückwirkend auf unsere Geschichte.
Wenn man vor lauter Abweisungshaltung eines "moralischen Hoheitsanspruchs" nicht mal mehr sagen will, dass sich Verhältnisse tatsächlich über die Historie auch zum Besseren gewandelt haben (und sie nicht nur auf andere Weise irgendwie genauso schlecht wurden), dann ist mir das irgendwie auch zu wenig. Sich auf den Standpunkt zu stellen "ja, ist doch moralisch nicht besser oder schlechter, dass Leute früher halt eben Frauen nicht als vollwertige Personen ansahen - waren halt andere Zeiten", selbst wenn man den nur im Spiel vertritt, wäre mir ziemlich unangenehm.
Ist vor allem auch ziemlich kaltschnäuzig den Menschen in der Realgeschichte gegenüber, die für solche Veränderungen gekämpft haben; die dabei vielleicht auch gescheitert sind. Klar, ist jeder historische Mensch im Kontext seiner Zeit zu betrachten, aber das wird mich trotzdem nicht dazu bringen, sie auf Podeste zu stellen, nur weil evtl. menschenfeindlichen Ansichten damals verbreitet waren. Meine Bewunderung gilt jenen, die sich auch damals schon für ein besseres Miteinander eingesetzt haben, und meine Empathie gilt denen, die unter den Verhältnissen gelitten haben.
Es sind diese Leute, die ich im Rollenspiel spielen will! Du wirst nicht erleben, dass ich als Spieler in einem historischen Rollenspiel einen Charakter spiele, der beispielsweise Sklaverei gutheißt – doch, Moment, ich würde das vielleicht tun, wenn der Rahmen des Spiels genau zur Ausloten dieser speziellen Perspektive dient und Leute am Tisch sitzen, mit denen man dann auch darüber reden kann. Aber eben nur mit klarem Fokus auf der Problematik solcher Ansichten und nicht so casual nebenher.
Und was PC bei Netflix (wo ist das eigentlich übermäßig so? "Bridgeton" wäre jetzt das einzige Beispiel, was mir einfiele, wo das übermäßig historisch diskrepant ist... und da ist es ein erzählerisches Stilmittel... aber gut, ich kenne natürlich auch nicht alles...) angeht, hat Waldviech eigentlich alles Wichtige gesagt: Serien und Filme, die das tun, haben nicht den Anspruch eine historisch korrekte Perspektive abzubilden, sondern wollen stattdessen ganz bestimmte Geschichten inszenieren.
Man kann es eine Form von Alternate History oder Romantisierung der Vergangenheit aus einer modernen Perspektive nennen. Und das gibt es bei Kunstschaffenden immer schon: Shakespeare's "Ein Sommernachtstraum" spielt natürlich nicht im antiken Griechenland, sondern eigentlich im England des 16. Jahrhundert – egal, was in den Regieanweisungen steht.
Edit: Und noch etwas:
Mir geht nur die aufgesetzte PC auf den Keks, so ala Netflix. Eben weil ich das Hintergrundwissen habe.
Ich denke zwar, dass du das so nicht meinst, aber ich möchte nur nochmal darauf hinweisen, dass "historisches Hintergrundwissen haben" nicht unbedingt bedingt, Political Correctness in historischen Rollenspielen abzulehnen. Ich kann auch,
weil ich das Hintergrundwissen habe, der Ansicht sein, PC in historischen Settings unbedingt haben zu wollen.
Aber das geht hier stark in eine "Rollenspiel und Gesellschaft"-Richtung. Wenn das weiter diskutiert werden soll, müssen wir das abseits dieses Threads vertiefen.