Kapitel 1 - Core Rules
Die Core Rules sind ziemlich viel auf einmal, und ich finde sie aufgrund der zahlreichen Optionalregeln zu Beginn auch schwer zu überblicken. Ich will daher nicht ausschließen, dass ich etwas falsch verstanden habe. Trotzdem versuche ich mal, die mMn wichtigsten Eckpunkte zu erklären (ohne Optionalregeln). Es könnte daher etwas länger werden.
Tests und Contests
Das System basiert auf Dice Pools. Bei einem Test stellen Spieler oder Spielleiter einen Dice Pool zusammen und würfeln gegeneinander. Dabei kann ein Dice Pool aus verschiedenen Würfeln verschiedener Größe bestehen, trotzdem zählen am Ende aus jedem Dice Pool nur die beiden besten Würfel. Wenn ich also beispielsweise mit W6, W6, W8 würfle und dabei 3,2,5 erziele, ist mein Gesamtergebnis 3+5=8.
Eine besondere Rolle spielen die Hitches - Würfel, die eine 1 ergeben. Diese werden nicht nur vom Tisch genommen und nicht gewertet, sie können auch vom Gegner genutzt werden, um dem Charakter eine negative Konsequenz an die Backe zu kleben.
Interessant ist das Konzept des Contests. Dieser ist nämlich nicht unbedingt vorbei, wenn die Würfel gefallen sind. Ein Teilnehmer kann sich vielmehr entscheiden, ob er aufgeben will - in diesem Fall darf er selbst beschreiben, wie er scheitert. Er kann aber auch erneut würfeln - wenn er aber jetzt erneut scheitert, darf der Gegner beschreiben, was mit ihm passiert. Dieses Spiel kann man so lange hin- und herspielen (mit ständig steigenden Werten, die es zu überwürfeln gilt), bis ein Sieger feststeht. Und auch wenn ich diese Mechanik jetzt noch nicht am Spieltisch getestet habe, klingt sie zumindest interessant.
Wichtig ist außerdem der Effect Die. Das ist der höchste Würfel des Dice Pools, der nicht zum Ergebnis beitragen durfte. Dieser definiert, wie stark die Konsequenzen des Sieges bzw. der Niederlage sind. Wenn beispielsweise ein Kampf-Contest mit den Würfeln W6, W6, W8, W10 bestritten wurde und dabei 2,6,5,7 ergeben hat, dann beträgt das eigentliche Ergebnis 6+7=13, und der nicht genutzte W8 (mit der 5) definiert das Ergebnis - der Gegner bekommt dann beispielsweise eine Complication (s.u.) "Gehirnerschütterung W8" verpasst.
Taken Out
Interessanterweise ist das Konzept des Charaktertods in den Core Rules gar nicht vorgesehen. In den meisten Szenen kann einem Charakter gar nichts passieren. Nur wenn der Spielleiter eine Szene zu "High Stakes" erklärt hat (wann und wie er das tut, wird nicht beschrieben) oder seine Complications zu groß werden, kann ein Charakter ausfallen. Und selbst dann ist er nur für den Rest der Szene "Taken Out" und ist spätestens mit der nächsten Szene wieder an Bord. Persönlich kann ich damit mittlerweile sogar leben, aber ich denke nicht, dass das jedermanns Sache ist.
Plot Points
Plot Points (PP) sind die Gummipunkte des Systems. Man bekommt sie, wenn man Compilications abbekommt, bei einem Contest aufgibt, Sonderfertigkeiten einsetzt oder einfach toll rollenspielt. Und man kann sie für zahlreiche Zwecke im Spiel einsetzen, wobei man die meisten davon auch aus anderen Systemen kennt.
An dieser Stelle habe ich mich aber ziemlich über eine der (nicht-optionalen) Verwendungen für Plot Points geärgert, nämlich dass man sie nutzen kann, um mehr als 2 Würfel des Pools für das Ergebnis zu nutzen. Zunächst einmal kann man das tun, NACHDEM die Würfel schon gefallen sind, was ich ohnehin nicht leiden kann ("Hach, das Ergebnis gefällt mir aber nicht, da werf ich schnell noch einen Plot Point rein und kriege 3 Punkte mehr."). Vor allem aber ist diese Nutzung viel mächtiger als die andere Standard-Nutzung, die nämlich darin besteht, zusätzliche Würfel zum Dice Pool hinzuzufügen. Ein Beispiel: Wenn ich einen Dice Pool mit 3 W8 habe und mittels "zusätzlicher Poolwürfel" einen weiteren W8 hinzufüge, verbessert das mein Ergebnis im Schnitt nur sehr wenig (und muss auch noch VOR dem Wurf investiert werden). Wenn ich dagegen die Option "zusätzlicher Ergebniswürfel" wähle, verbessert das mein Ergebnis im Schnitt deutlich stärker (und ich kann bis NACH dem Wurf warten, ob ich es überhaupt mache). Ich HASSE es, wenn ein Spiel Mechaniken anbietet, bei denen eine von zwei Wahlmöglichkeiten ALLE Vorteile hat. Für mich wäre das ein klarer Kandidat für eine Regel, die ich per Hausregel streichen würde.
Auffällig ist übrigens auch, dass Cortex Prime mit einer ausgeprägten "Plot Point"-Ökonomie arbeitet. Nach wenigen Szenen sind bereits sehr viele Plot Points (und sehr viele Assets und Complications, s.u.) im Spiel, und ständig wird irgendetwas mit Hilfe von Plot Points verändert. Mein Ding ist das eher nicht, weil es mir zu metagamig ist.
Assets und Complications
Alle Vor- und Nachteile, die ein Charakter im Laufe des Spiels erwirbt, werden über den Mechanismus der Assets und Complications abgebildet (jedenfalls wenn man keine Optionalregeln nutzt). Assets werden spieltechnisch als zusätzlicher Würfel für den eigenen Würfelpool verwendet, Complications können für den Würfelpool des Gegners eingesetzt werden. Das schließt auch jede Art von Schaden mit ein und klingt zunächst einmal elegant.
Die Eleganz endet für mich leider an der Stelle, an der man mir erklärt, dass Ausrüstung keinerlei Rolle bei den Würfelergebnissen spielt, wenn der Spieler des jeweiligen Charakters dafür keine Plot Points ausgegeben hat. Ein Beispiel: Ein unbewaffneter Held hat es mit einem MG-Schützen zu tun und bewirft ihn mit Steinen. Solange keiner von beiden Plot Points ausgegeben hat, sind beide "Waffen" exakt gleich mächtig - und falls der Spieler PP investiert, sind seine Steine sogar gefährlicher als das MG. An dieser Stelle setzt es dann leider bei mir aus; das zerstört meinen Sinn für eine Story derart nachhaltig, dass ich das auch für ein narratives Spiel nicht mehr akzeptieren kann.
Apropos narratives Spiel: Gerade im Abschnitt über Assets und Complications wird für mich klar, was Cortex Prime sein will und was nicht. Denn Assets und Complications werden früher oder später den ganzen Spieltisch bedecken (typischerweise in Form von Post-Its), und beim Lösen von Herausforderungen ersetzt das Starren auf passende Post-Its das Starren auf den eigenen Charakterbogen bei klassischen Systemen. Klingt bekannt? Richtig. Cortex Prime möchte ein flexibleres, mechanisch interessanteres Fate sein, und ich denke auch, dass ihm das gelingt. Was es leider nicht ist, ist ein narrativeres Savage Worlds (wie einige angedeutet haben). Dazu fehlt ihm schlicht der Crunch. Konsequenterweise gibt es gar nicht erst ein Kapitel über Ausrüstung o.ä. - die "Hardware" der Spielwelt existiert spielmechanisch gar nicht, wenn niemand Plot Points dafür ausgegeben hat!
Schade. An dieser Stelle könnte ich wohl aufhören, weiterzulesen, denn damit ist bereits klar, dass Cortex Prime nicht das tut, was ich mir davon erhofft habe. Da ich nun aber gerade 50 € dafür bezahlt habe und ohnehin gerade Zeit habe, lese und erzähle ich noch ein bisschen weiter, und wer weiß - vielleicht findet sich ja mal eine Con-Runde oder so. Für meine Stammrunden sehe ich aber gerade nicht, was ich mit einem System anfangen soll, in dem es keinen Unterschied zwischen einer geworfenen Coladose und einer Laserkanone gibt...
Vorläufiges Fazit
Cortex Prime ist vermutlich vor allem für diejenigen etwas, die im Grunde mit Fate sympathisieren, es aber auf die Dauer mechanisch zu langweilig finden.