The Things We Leave Behind
- Sommer 2022 –
Prolog The Darkness over Algonac
Bei Tage ist es kinderleicht, die Dinge nüchtern und unsentimental zu sehen. Nachts ist das eine ganz andere Geschichte.
Ernest Hemingway
Kapitel I -Das BBQ-
In den
Reiseführern wurde geschrieben, dass der Landstrich um die großen Seen ausgeprägte Jahreszeiten hatte und das stimmte. Die Sommer waren heiß und schwül, mit Temperaturen an die 30°C. Die Winter waren schneereich und die Temperatur konnte auf minus 10°C absinken. Von Mitte November bis in den März hinein musste mit der weißen Pracht gerechnet werden. Das Klima war, durchwachsen, aber in der Regeln zu feucht. Im Frühjahr und im Herbst standen Nebelbänke lange über den Seen und dem St. Clair Kanal und alles glänzte nass.
Die Vororte in denen ihr wohntet schmiegten sich um das Krebsgeschwür mit dem Namen Detroit. Das Symbol des Aufstiegs und des Niedergangs des amerikanischen Traums. In den Wintermonaten versank die Gegend in einen Dornröschenschlaf, wenn die eisigen Winde von Norden her über die Wälder und Felder wehten, Regen und Blätter vor sich her fegten. Erst mit Beginn der Urlauber- und Wassersportsaison kam das Leben zurück, die Wochenend- und Ferienhäuser füllten sich, das tiefe Blau der Seen war gesprenkelt mit dem Weiß der Segelboote und das Grün kam zurück in die Natur.
Fast schien es so, als wenn nur das frische Blut von Außerhalb den Kadaver von Detroit und seiner Umgebung am Leben hielt. Wer hier wohnte gehörte schon zur Nekrose welche die Stadt zerfraß. Im letzten Jahrzehnt hatte die Stadt mehr als ein viertel ihrer Einwohner verloren, Miss- und Vetternwirtschaft gaben ihr den Rest. Projekte und Ideen kamen und gingen, das Geld floss in die falschen Taschen und Detroit blieb was es war, ein Haufen heruntergekommener Viertel die sich an ein teilweise saniertes Downtown klammerten. Mit der Sanierung stiegen die Preise und diejenigen welche sich eben noch in der Mittelschicht wähnten konnten nicht mehr mithalten und mussten das jetzt sichere Downtown verlassen und in die umliegenden Vororte ziehen.
Vororte welche von heruntergekommenen Häusern, privaten Müllhalden, Crack und Verwahrlosung gekennzeichnet waren.
Gemeinschaftsgärten bildeten die Ausnahme und waren nur ein Ausdruck dafür wie sehr die Stadt ihre Bürger, ihre Flächen und Liegenschaften vernachlässigte. Die Mordrate war die letzten zwei Jahre in Folge gestiegen, erst waren es knapp über 320 Morde im Jahr und in 2021 schon mehr 400. Die Leichenhallen, Bestatter und Gerichtsmediziner hatten viel zu tun, die Aufklärungsrate war niedrig und die Leichen die zur Obduktion anstanden mussten gelagert werden. Meist jedoch wurde aus Kostengründen überhaupt keine Obduktion angeordnet.
Die Vororte für die Touristen, welche meist mehr als 60 Meilen Außerhalb des Stadtkerns lagen, blieben von den Drogen, der Gewalt und der Trostlosigkeit verschont. Aber die Skyline am Horizont war immer zu sehen und jeder wusste was dort passierte. Wer in Detroit arbeitete wurde an jeder Ecke daran erinnert und wenn es nur ein handgemaltes Schild war, das ein Bürger aufgestellt hatte das besagte:
Zombieland
Halten sie nicht an!
Nehmen sie keine Anhalter mit!
Crackhäuser!
Lebensgefahr!
Unter dem krakeligen Schriftzug waren eine Spritze, ein Messer, eine Pistole und ein Schlagring gemalt worden. Symbole für alle die nicht lesen konnten und verdeutlichten was sie zu erwarten hatten, wenn sie hier hielten. Bis jetzt war das Jahr ruhig geblieben, aber es war auch erst Ende Juni, die heiße Zeit stand noch bevor und dann wurde es brenzlig in der Stadt. Die schwüle drückende Spätsommerhitze schlug den Menschen auf das Gemüt. Aus Raub wurde Körperverletzung, aus Körperverletzung,versuchter Mord und aus versuchtem Mord wurde Mord. Die Leute gingen sich wegen jeder Kleinigkeit an die Gurgel und die Schießereien und Drogendelikte würden wieder zunehmen, bis der einsetzende Herbst die Gemüter abkühlte und der Gewalt ein Ende setzte, oder besser gesagt sie auf ein fast erträgliches Maß senken würde.
Euer Tag war beschissen, er fing schon schlecht an und auf der Arbeit lief es nicht besser. Deacon hatte einen Doppelmord auf dem Tisch an dem nichts mehr zu retten war., Die Lagerung war unsachgemäß und hatte alle Spuren zerstört die mal da waren. Die Chancen das Mr. Und Ms. Winter noch Gerechtigkeit widerfahren würde war standen schlechter als für einen Eiswürfel in der Hölle. Vielleicht war es das was Deacon am meisten aufregte, nicht das Verbrechen, nicht der Tod, sondern die verpasste Chance auf Erkenntnis.
Bei John lief es nicht besser, heute war ein Häftling bei ihm der die ganze Zeit etwas von seinem verlorenen Taschentuch faselte. Völlig aufgelöst und fahrig war er fest davon überzeugt, dass der „Herr der kleinen Dinge“ sein Taschentuch jetzt hatte, und er hatte doch schon so viele Dinge verloren, dass er jetzt um seine Seele fürchtet, denn wie er John glaubhaft versicherte durfte man nicht zu viele Kleinigkeiten von sich selbst an den „Herrn der kleinen Dinge“ verlieren sonst würde man irgendwann ihm gehören. Und dann war man nicht mehr Herr seiner Sinne. Gefühlte dreißig Mal fragte er John ob er noch alle seine Sachen hätte und wenn er gekonnt hätte, hätte er sich sicherlich persönlich davon überzeugt, dass alle Kleinigkeiten, Kugelschreiber, Heftklammern, Kaugummis und was John noch so an möglichen und unmöglichen Dingen dabei hatte an seinem richtigen Platz waren.
Casey´s Trainingspartnerin Han war nicht zum Training erschienen, ein Problem mit einer…naja, mit etwas das Casey nicht mal ansatzweise verstand. Han hatte noch angeboten gleich loszufahren, aber Casey hatte wegen dem BBQ heute Abend selbst kaum Zeit gehabt und hätte noch gerne eine Stunde an der neuen Technik gearbeitete welche Samantha den beiden gezeigt hatte. So blieb ihr nichts anderes übrig als mit weniger talentierten Leuten das zu Üben was sie eigentlich schon konnte. Auf dem Heimweg war die Straße gesperrt und das raubte Casey zusätzlich Zeit für ihre Vorbereitungen.
Dean hatte einen ruhigen Arbeitstag, wie eigentlich jeden Tag hier an der Grenze zu Canada. Sicherlich die Sommer waren wegen der ganzen Gäste ein wenig stressiger und das BORSTAR Team musste ausrücken um Hobbyskipper in Not zu helfen, welche sich durch Unkenntnis oder Alkohol selbst in die Notsituation gebracht hatten. Große Teile des Nachmittags verbrachte er dann damit das BBQ vorzubereiten, Stühle aufzustellen, Getränke einzukaufen, seinen Teil der Speisen vorzubereiten und wenn er ehrlich war auch um ein wenig aufzuräumen. Im Großen und Ganzen war er zufrieden mit sich.
Das Wetter an diesem 24. Juni 2022, einem Freitagabend, war erträglich, lauwarm, es wehte eine Leichte Briese vom St. Clair Kanal herüber und die immer tiefer stehende Sonne zauberte ein goldenes Licht auf Algonac und die Seen. Die später im Jahr zahlreich auftretenden Mückenschwärme blieben noch aus und es waren nur vereinzelt Schleierwolken am Himmel.