Nicht falsch verstehen: Ich finde es völlig okay, einen Spielstil zu spielen, bei dem die Figuren toll sind. Mache ich als bekennender Pulp-Spieler ständig. Aber wenn dazu regelmäßig das nachträgliche Korrigieren durch Gummipunkte erforderlich ist, sind einfach die Regeln Murks. Wenn ich kompetente SC haben will, dann müssen sie von vornherein Spielwerte haben, die sie auch kompetent machen. Und Würfelmechaniken (Stichwort Gaußkurve), die dafür sorgen, dass normalerweise auch das herauskommt, was man von einem kompetenten Charakter erwarten kann. In erschreckend vielen Systemen ist das aber nicht der Fall.
Tatsächlich glaube ich gar nicht, dass Gummipunkte primär dazu geeignet sind, besonders kompetente Charaktere abzubilden - sondern dazu, Geschichten über die vom Schicksal Begünstigten zu erzählen. Ich führe aus:
Ich habe Gummipunkte immer in zweierlei Hinsicht für interessant gehalten: Erstens eben als Meta-Ressource, die entweder taktieren oder das setzen von Schwerpunkten erlaubt, wurde im Thread ja mehrfach angedeutet. Eine zweites Anwendungsgebiet aber finde ich eigentlich in der Theorie interessanter: In vielen Settings (auch unabhängig vom Rollenspiel) ist es relativ unglaubwürdig, dass die Protagonisten
sehr viel kompetenter sind, als ihre Kontrahenten. Wenn wir es mit einigermaßen normalen Menschen oder menschenähnlichen Wesen zutun haben (also keine Superkräfte im Spiel sind) und vor allem wenn z.B. tödliche moderne Waffen im Spiel sind, bleibt es relativ wahrscheinlich, dass die Charaktere genauso ins Grass beißen können wie ihre Gegner oder andere Leute in der Spielwelt.
Gummipunkte können ins Spiel kommen, wenn man bei so einem Fundament trotzdem Heldengeschichten erzählen möchte*: Auch in unserer Welt gibt es natürlich solche Geschichten und (während mir das beim RPG nicht immer so geht) scheint es mir verständlich, dass man auch z.B. in einem WW2-Setting nicht die Charaktere verfolgen möchte, die in der Schwimmhülle vor Ohama Beach von herumfliegenden Projektilen zu Tode gebracht werden, sondern jene, welche überleben und bis nach Deutschland vorstoßen (oder so). In unserer Welt kann man sagen: Die Geschichten werden über die Überlebenden geschrieben** und wer überlebt, ist (zumindest überhalb einer Mindest-Kompetenz-Grenze***) weitestgehend dem Schicksal überlassen. Da ich beim RPG aber nicht sagen kann, wie die Würfelwürfe laufen, kann ich bei ähnlichen Kompetenzen aber auch nicht sagen, wer diese Glücklichen sein werden;
es sei denn, ich sage von vorhinein, dass wir die Geschichte solcher schicksalhaften Gestalten erzählen, und lade das System um das abzubilden mit Gummipunkten.
Tl;dr: Zweite sinnvolle Variante für die Verwendung von Gummipunkten: Wenn eine Runde Charaktere abbilden soll, die nicht rein wegen ihrer Kompetenz, sondern wegen glücklicher Fügungen zu Helden wurden, sind Gummipunkte ein probates Mittel jenes Glück abzubilden. *Natürlich kann man fragen, warum man das wollen sollte, aber ich behaupte hier einfach mal, dass zumindest in anderen Medien solche Geschichten Gang und Gäbe sind. Das soll nicht heißen, dass man nicht Runden spielen kann, bei denen es um Superhelden geht, oder in dem die Charaktere regelmäßig "sinnlos" ins Grab beißen; ich persönlich finde alle Varianten interessant.
**Es sterben selbstverständlich auch Jeanne d'Arcs und William Wallaces, vermutlich wären ihre Geschichten aber nicht so berühmt, wären sie irgendwo sinnlos von einem Pfeilhagel erwischt worden
***Natürlich dürfen auch in solchen Geschichten die Charaktere nicht völlig idiotisch handeln oder inkompetent sein - aber selbst die kompetentesten Leute sind in bestimmten Situationen genauso dem "Zufall" ausgeliefert wie andere.
Disclaimer: Ich habe persönlich keine starke Meinung zu Gummipunkten, d.h. ob oder ob nicht ein System solche enthält ist mir prima facie nicht so wichtig.