Nicht in der Spielwelt greifbar verankerte Elemente entziehen sich der Wahrnehmung und Kontrolle der Figur. Für die Entscheidung zur Verwendung dieser Art Gummipunkte muss ich aus der Figurenperspektive raus und aus der Spielerebene auf das Gesamtgeschehen blicken und dieser Punktewirtschaft Rechnung tragen.
Und ich sage das jetzt zum letzen Mal: Diese Herleitung ignoriert sowohl ALLES, was wir über die Eigenwahrnehmung und Wahrnehmung externer Phänomene von Menschen wissen, als auch den Umstand, dass man beim Rollenspiel in der Interaktion mit den Regeln ständig Dinge tut, die die Figurenperspektive verlassen.
Das beginnt zum Beispiel da, wo sich Leute hübsche Würfel für den Spieltisch kaufen (wozu, ihr wollt doch in der Figurenperspektive bleiben und die Figur sieht keine Würfel).
Geht weiter über die Tatsache des puren Würfelns an sich (denn die Figur würfelt nicht, warum lasst ihr das nicht die SL machen?).
Kommt dann zu den unzähligen Mikroentscheidungen im Spiel, wie etwa dem taktischen Vorschicken von jemandem mit dem besseren Wert, was nicht unbedingt der Figurenperspektive entspricht.
Macht dann einen Schlenker zur Schwierigkeit, die eine Figur in der Welt eben nicht wahrnehmen kann, weil den allermeisten Menschen einfach auch die Vergleichspunkte fehlen und fehlerhafte Selbstwahrnehmung da ständig mit reinspielt. Genaugenommen dürfte die SL, um die totale Figurenperspektive zu gewährleisten, die Spieler ständig über die tatsächliche Schwierigkeit von Aufgaben täuschen, denn wir Menschen täuschen uns schon rein psychologisch auch ständig über die Schwierigkeit von Aufgaben. Da eine klare Ansage zu bekommen und zu interpretieren verletzt die Figurenperspektive. Menschen sind keine Wahrscheinlichkeitsrechenmaschinen.
Und damit haben wir noch nichts darüber gesagt, wie figurenperspektivisch ein HP-Pool eigentlich sein kann: Für was steht 1 Hitpoint. Wenn ich 1 davon verliere, wie fühlt sich das für die Figur an. Wie wenn ich 6 verliere? Wie wenn ich 7 verliere? Und wie verändert sich dieses Gefühl, wenn unterschiedliche Figuren unterschiedlich große Hitpoint-Pools haben?
Ich bleibe dabei: Rollenspieler erreichen Immersion mit ihren Figuren punktuell, ausgelöst durch Dinge in der Spielwelt und in der Kommunikation am Spieltisch. Genauso können Regelmechaniken oder auch Umstände in der Spielwelt die Versenkung in die Figur stören. Aber zu Brüchen kommt es ständig. Der Übergang zurück in die Figurenperspektive (die bei jeglicher Regelanwendung eigentlich schon verlassen worden ist) kann durch Regelelemente behindert werden. Aber welche Regelelemente das jetzt genau sind, das ist letztlich eine subjektive Kiste. Nicht inhärent in den Regelelementen selbst liegt das begründet, sondern letztlich mehr in der eigenen Spielerpersönlichkeit und der Disposition zu bestimmten Regelelementen (Rollenspielsozialisierung, Tagesform, Gewöhnung, Spielstilpräferenz).
Kurz: Es gibt keinen objektivierbaren Grund, warum Gummipunkte als Regelelement irgendwie die Figurenperspektive notwendig behindern oder irgendwie mehr meta wären als zum Beispiel Hexfelder, kompliziert berechnete Würfelpools, fancy dice tricks oder Ausdauerpools. All das sind Abstraktionen und zu abstrahieren bedeutet IMMER, dass ich die Figurenperspektive verlasse. Dieses Übersetzen, von dem hier immer geschrieben wird, impliziert ein Verlassen der Figurenperspektive.
Das ist meine Meinung zu dem Thema. Das ist auch, wie es gamedesignerisch Sinn ergibt. Und es berücksichtigt die komplexen Umstände unter denen Immersion entsteht oder auch nicht. Sich einen dieser Umstände rauszugreifen und eine ganze Spielertypisierung dran aufzuhängen, wird scheitern. Diese Wand trägt nicht.
Zur Unterkomplexität einer Einteilung in Weg- und Ziel-Spieler schreibe ich jetzt nicht mehr, das habe ich oben ausführlich getan. Wer will kann das da nachlesen.
Die innere Motivation, sprich was die Figur antreibt bzw. was sie sich davon verspricht, sollte meiner Ansicht nach genügend Anreiz sein dann auch so zu handeln und keine Gummipunkte als Hilfsmittel benötigen.
Und dieses "sollte" ist genau das Problem: Das ist eine normative Sichtweise auf diese Fragestellung. Zumal, wie Isegrimm schon richtig schreibt, der Einsatz von Fatepunkten über Aspekte dazu dienen kann, dieser Motivation der Figur eine höhere Gewichtung in der aktuellen Herausforderung zu geben. Aspekte (und damit auch die Fatepunkte, mit denen man sie einsetzt) sind ein solcher wahrnehmbarer Teil der Spielwelt. Wenn du einen solchen einsetzt, dann bist du direkt in der Spielwelt, weil Aspekte im Grunde Sätze sind, in denen Spielweltinhalte stehen. Man interagiert statt mit irgendwelchen abstrakten, pseudoobjektiven Werten halt mit pseudoobjektiven Aussagen über die Figur: inneren Motivationen, Erinnerungen, besonderen Expertisen. Das ist nicht mehr oder weniger spielweltintern als irgendein anderer Mist auch. Ob ich da jetzt einen Fatepunkt in die Hand nehme oder einen Würfel, ist völlig egal für die Figurenimmersion zumindest einer Gruppe von Rollenspielern. Und die können trotzdem genau die gleiche Art von Immersion wollen oder schätzen.
Wir sagen nichts anderes als das und ich bin wirklich völlig baff, wie das hier in diesem Thread immer wieder missverstanden wird.
Es entspringt nicht der eigenen Bewertung des Konzepts der Gummipunkte, wenn es der Effekt der Mechanik auf das Spiel ist, der stört.
Aber es werden doch einige Rollenspieler hier real NICHT davon gestört. Also stört die Mechanik wohl nicht PER SE. Und trotzdem geht es allen um das Erleben der Geschichte "aus der Figurenperspektive". Das scheint irgendwie nicht bei euch anzukommen.