„Jetzt schmeicheln sie mir aber junge Frau!“ sagte die Empfangsdame und fächelte sich betont theatralisch etwas Luft zu. Beim nächsten Satz nahm ihre Stimme einen leichten Oberlehrerhaften Ton an.
„Aber da müssen sie mich falsch verstanden haben, ich kenne Cassandra nicht, die Mutter, die war bei uns in den Bastelnachmittagen. Als deren Familie noch intakt war!“
Doch die Stimmlage von Mrs. Wellington wurde schnell wieder versöhnlich. Und Casey bekam im Großen und Ganzen das zu hören was sie schon wusste. Hier und da wurden die Details um Kleinstadttratsch erweitert, aber wenn man wusste wie es Cassandras Mutter ging, in welcher Verfassung sie war, wie das Grundstück und das Haus aussahen, dann konnte man das trennen.
Mr. Angler war natürlich mit einer gutaussehenden, erfolgreichen Großstädterin durchgebrannt weil ihm sein dörflichen Leben hier zu langweilig war und Georgina hatte ihr übriges dazu beigetragen in dem sie ihm keine gute Ehefrau gewesen war. Das sie sich jetzt um Cassandra kümmern musste war zwar tragisch, sollte für eine Frau aus Michigan aber kein Problem sein. Casey konnte aber merken, dass Mrs. Wellington hier und da übertrieb, sie konnte wohl nicht aus ihrer Haut und war schon zu lange immer mit den gleichen „Mädels“ am tratschen und so sehr sie auch kleine, aber feine Spitzen verteilte, so überlegte sie doch offensichtlich ob sie nicht Geld für Georgina sammeln sollte, damit diese nicht zwei Jobs machen musste. Dabei war es ihr aber wahrscheinlich egal ob Georgina das Geld annehmen würde.
Auf das Bild angesprochen stutze die Empfangsdame kurz.
„Ach wissen sie, die Gute hat uns so viel Geld gespendet, da hielten wir es für richtig hier ein Bild von ihr aufzustellen. Es ist auch ein Zeichen der Hoffnung für all die armen Kinder die hierherkommen, wir sind nicht die Endstation. Wir können auch der Anfang von etwas ganz Neuem sein. Als staatliche Einrichtung sind wir hier auf Spenden angewiesen wissen sie und ohne so großzügige Leute wie Eleanor könnten wir hier keine so gute Arbeit leisten wie wir es eben tun. Dann hätten die Kinder es hier viel, viel schlechter, das können sie mir glauben!“
Das Telefon klingelte und die Empfangsdame war kurz abgelenkt bevor sie fortfuhr.
„Das Geld stamme ganz sicherlich aus der Summe die sie geerbt hatte, woher sollte sie sonst so viel Geld haben. Gearbeitet hat die Kleine ja noch nicht. Wieviel es war kann ich ihnen nicht sagen, aber wenn man den Gerüchten glauben darf, dann war es genug das sie nie wieder arbeiten muss. Von allem anderen weiß ich nichts, es ist ja nicht so dass hier ein Truck vorgefahren ist und alles auf den Hof gestellt hat. Aber ich glaube da war schon einiges was sie bekommen hat.“
Auf Casey´s letzte Frage konnte Mrs. Wellington nur bedauernd den Kopf schütteln.
„Nein tut mir leid, das ist zu lange her. Wir haben hier nichts mehr von ihr. Sie konnte damals ja nichts mitnehmen, wenn sie bei der Sekte überhaupt irgendwelche Dinge hatte. Die Polizei hat sie und noch ein paar andere Kinder am frühen Morgen hier her gebracht. Wir konnten nicht alle aufnehmen, aber die hatten außer ihrer Kleidung und ziemlich schlechten Manieren nichts dabei. Hier sind leider auch keine Mädchen mehr die sie kannten oder mit denen sich Eleanor befreundet hatte, das ganze ist ja schon eine Weile her, die sind alle weg!“
Die Empfangsdame schüttelte entschuldigend den Kopf.
„Kann ich sonst noch etwas für sie tun?“
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Deans Garten
Dean hatte Glück und konnte bei der hiesigen Zeitung tatsächlich den Reporter ausfindig machen, welcher damals den Artikel über das „reiche Mädchen aus dem Waisenhaus“ geschrieben hatte.
Er erinnert sich noch sehr gut an das Gespräch, nicht zuletzt, weil die junge Frau eine wirklich imposante Erscheinung war. Sie war von einer physischen Präsenz die man selten bei so jungen Menschen bemerken konnte. Der Reporter hatte damals erst überlegt eine Serie daraus zu machen und Eleanor ein Jahr lang zu belgeiten und eine monatliche Kolumne herauszubringen, war dann aber irgendwie davon abgekommen und hatte sein Interesse verloren. Heute konnte er gar nicht mehr sagen warum das so war. Jedenfalls damals wusste die junge Frau nichts von ihrem Erbe. Sie hatte immer gedacht, dass ihr leiblicher Vater Geoffrey Oliver ein Mörder war und war um so mehr überrascht als ihr eröffnet wurde, dass sie den Nachlass von Sam Crown erben sollte. Das hatte die junge Frau damals auch dazu erwogen herauszufinden wer sie wirklich war. Sie wollte eine Zeitlang auf Reisen gehen um dann den Spuren ihrer Vergangenheit zu folgen. Sie wollte wohl auch nach den Leuten suchen die damals mit ihrem Vater zusammen lebten um mehr über sich zu erfahren.
Der Journalist war davon überzeugt, dass Eleanor viel daran gelegen war ihre Vergangenheit aufzuklären. Sie war als kleines Mädchen in das Heim gekommen und hatte vorher nur „…unter diesen Hippies gelebt…“, es gab wohl viele Fragezeichen in ihrer Vergangenheit die sie aufklären wollte. Der Journalist merkte auch an, dass die Junge Frau so etwas wie klassische Familie nie kennen gelernt hatte, seit frühster Kindheit an war sie nur „…teil der Kommune…“ gewesen und wurde „…mal von diesen oder jenen betreut…“ das Prinzip von Vater und Mutter hatte sie erst später im Heim verstanden, als ihr klar wurde, dass es nicht „…normal…“ war das alle Erwachsenen einer Gruppe sich um einen kümmerten, sondern das Verwandtschaft und Familie einen Wert darstellte den es zu schützen galt.
Ihre frühen Erfahrungen hatten ihr aber auch geholfen, vermutlich besser als den meisten anderen Kindern, mit der neuen Situation klar zu kommen. Sie kam aus einer Gemeinschaft die alles teilte und das sprichwörtlich in eine Gemeinschaft von Kindern die ihr Elternhaus verloren hatten und ebenso eine Gemeinschaft bildeten.
Darüber hinaus konnte der Journalist sich nicht mehr an viel erinnern. Er war sich aber in der Tat sicher, dass Eleanor nicht mit Überzeugung sagen konnte wer ihre Eltern waren und ob es Zufall war, dass ein Sektenanführer ihr seinen ganzen Besitz vermacht hatte.