Wenn man als "das System" lediglich die Mechanismen begreift, die sich aus Spielwerten, Zufallselement und dadurch produziertem Ergebnis zusammensetzen, dann hast du recht. Aber ich denke nicht, dass das der Fall ist.
Auf keinen Fall bei Rollenspielen, die sehr stark Setting-lastig sind. Ich persönlich denke ja, dass ein Rollenspiel ohne Setting, Genre, Flair usw. nur ein halbes Rollenspiel ist, wenn überhaupt. Nimm Vampire. Nimm Nobilis. Nimm Shadowrun. Nimm Paranoia. Nimm Feng Shui. Diese Spiele bestehen aus mehr als nur den Spielmechanismen. Wenn du dir z.B. das Regelwerk von Vampire anschaust, findest du dort sehr viele Informationen über den Hintergrund und auch über die Art von Geschichten und Stimmungen, die man mit diesem Spiel einfangen soll. Klar kann man das ändern, wie alles andere auch. Aber es ist ein Teil des Spiels, und der wirkt sich, wenn man "das Spiel" spielt und nicht eine abgewandelte Version, auf die gesamte Spielsitzung aus und nicht nur die Zeit, in der die Würfel rollen.
Zweitens: Vernünftige Regeln bestimmen nicht nur, was gewürfelt wird, wenn gewürfelt wird. Sie bestimmen auch, wann gewürfelt wird und wann nicht. Egal ob du nun ein simulationistisches oder ein narrativistisches System hast, die Regeln sind nicht nur dann in Kraft, wenn gerade die Würfel rollen. Das gesamte Spiel steht unter dem Postulat der Geltung der Regeln. Ob gewürfelt oder frei ausgespielt wird, bestimmt sich nach Maßgabe dieser Regeln. Okay, ich gebe zu, manche Rollenspiele sind hier etwas vage und überlassen das ganz der Willkür des Spielleiters.
Aber die Willkür des Spielleiters (bzw. aller Mitspieler) steht sowieso über allem, was ein Rollenspiel ausmacht. Man kann bestimmte Regeln übergehen, Hausregeln hinzufügen, das Setting verändern, die Atmosphäre verändern, oder eben seine eigene Interpretation entwickeln, wann man würfeln will und wann nicht - das ist für mich kein Argument.
Die Frage ist doch, wie sich bei einem gegebenen Rollenspiel die Spielmechanismen in die Erzählstruktur einfügen. Dafür muss es ein Konzept geben (wenn nicht, ist es ein schlechtes bzw. unvollständiges Regelwerk). Wenn es ein solches Konzept gibt, dann verbindet dieses Konzept das, was du "freies Rollenspiel" nennst mit dem, was du "das System" nennst. Nimm noch Setting und Genre hinzu, und jetzt erst hast du ein komplettes Rollenspiel. So sehe ich das als Autor jedenfalls.
Und gerade weil das so ist, weil das besagte Konzept sich auch von System zu System unterscheidet und damit bei konsequenter Anwendung die Erzählstruktur eine andere ist, trifft es zu: System does matter.