Es scheint also sehr vom System abzuhängen, ob "negative" Eigenschaften fakultativ oder obligatorisch sind. Leider kenne ich die Systeme nicht gut genug, um sie aufzudröseln, welches wie vorgeht.
Da würde ich zustimmen, das hängt sehr vom System ab - und damit auch sehr davon, welche Art von Spiel man überhaupt will.
Ich kann problemlos von GURPS erzählen, wo das - imho - ziemlich standard-mäßig für Systeme dieser Art gelöst ist (vermutlich auch, weil GURPS da einfach seit Jahrzehnten sein Ding durchzieht):
Die Charaktererschaffung funktioniert, indem du eine bestimmte Menge Punkte hast, die man eben verteilt auf Attribute, Vorteile, Fertigkeiten. Die Anzahl der Punkte hängt vom gewünschten Kompetenzgrad der Charaktere ab.
Nachteile kann man - bis zu einer gewissen Grenze (die idR vom Spielleiter definiert wird, je nach Setting und Kompetenzgrad) - nehmen und bekommt dafür mehr Punkte. Man muss also nicht, kann aber. Natürlich, in der Praxis nehmen die Leute welche, einfach weil es Punkte bringt und ein paar mehr davon selten schaden. Welche man nimmt, ist aber natürlich völlig frei (Einschränkungen des Settings, Spielleiters, etc. mal außen vor). Nachteile beinhalten sowas wie "Feigheit" oder "Gier", aber natürlich auch körperliche Sachen ("Lahm", "Einäugig", etc.) oder quasi beliebige andere Dinge ("Verflucht", "Unique", etc.).
Abbauen von Nachteilen geschieht rein regeltechnisch einfach, indem man die Punkte zurückgibt. Das kann eine Weile dauern, weil die Menge der Punkte, die man pro "Abenteuer" (o.ä.) bekommt idR deutlich geringer sind als die Menge der Punkte, die man am Anfang hat, aber es ist natürlich möglich. Zusätzlich sollte das irgendwie auch inGame begründet sein, aber das Regelwerk fordert keine besondere Mechanik hier, das muss einfach jede Gruppe selbst wissen - in der Praxis kommt es halt einfach darauf an, etwas weniger feige zu sein kann nebenher passieren, das fehlende Bein wird vielleicht nicht einfach so von selbst nachwachsen, da muss man evtl. nen Magier suchen o.ä. und der charakterdefinierende Fluch wird vielleicht auch nicht von heute auf morgen spontan weggehen, weil man nun den dritten Dungeon erledigt hat. Aber das Regelwerk macht da keine festen Einschränkungen.
Nicht selten sind Nachteile in verschiedenen Ausprägungen machbar - und da GURPS ohnehin ein Baukasten ist, sind eigene Anpassungen an der Tagesordnung und nicht eine mühsame Hausregel. Typischerweise kann man gegen die meisten "geistigen" Nachteile würfeln (häufig Selbst-Kontrolle), ob der Charakter sich dagegen entscheidet, je nach Situation kann es da auch verschiedene Boni und Mali geben, z.B. bei "Gier", je nachdem, ob die Summe über die man redet, im Vergleich zum eigenen Besitz groß oder klein ist. Je nach Nachteil bedeutet ein Fehlschlag hier, dass der Nachteil eben voll durchschlägt, z.B. bei Gier eben, dass man alles tut, was man so kann, um an was auch immer ranzukommen oder bei Feigheit, dass man sich von der Gefahr fern hält. Zugegeben, hier könnte einem als Spieler durchaus ein Zwischen-Schritt fehlen, also die Möglichkeit, sich der Feigheit zu stellen und dafür andere Nachteile (z.B. Mali auf Proben) in Kauf zu nehmen, hier ist der Standard definitiv noch etwas altmodisch und könnte von manchen als Gruppen-Störend oder Spiel-Verhindernd empfunden werden. Zwar kann man natürlich immer eigene Nachteile definieren oder Varianten, aber das Grundsystem ist hier meist recht schwarz/weiß (aber, siehe oben, Baukasten, Anpassungen gehören also zum Konzept, aber wir reden ja erstmal vom Standard-System).
Ist das also eine Bereicherung? Imho ist es eher ein Teil des grundsätzlichen System-Ansatzes, ohne welchen dieses nicht komplett wäre: Es fügt sich in das Gesamt-Konzept ein, einen Charakter über Punkte beschreiben zu können. Nicht nur, ob er nun stark oder schwach, geschickt oder ungeschickt ist, sondern auch besonders mutig, besonders feige, besonders großzügig, besonders geldgierig, etc. Man könnte es sicherlich weglassen, aber damit würde man im Kontext dieses System auch quasi willkürlich ein Stück der Skala abschneiden: Man könnte regeltechnisch abbilden, dass Charaktere besonders mutig sein können, was spezifische regeltechnische Vorteile bringt, aber nicht besonders feige.
Wenn man also mit der grundsätzlichen, relativ punktelastigen und damit simulationistischen Prämisse was anfangen kann, passt das imho sehr gut und ist auch - insb. weil sehr simpel - auch durch gut genug gelungen, mit leichten Einschränkungen bei den "Grautönen". Wenn man hingegen deutlich weniger oder weniger genau simulieren will, ist das sicher nix, was man unbedingt braucht. Dass man jede Regel auch durch entsprechendes Rollenspiel ersetzen kann, ist ja sowieso eine Binsenweisheit.