Hallo zusammen,
ich habe das alles jetzt erstmal 2 Tage irgendwie verarbeiten müssen. Innerlich fühle ich mich noch wund, aufgekratzt, ohnmächtig und niedergeschlagen. Es ist als ob mein Empfinden seit der Nachricht über seinen Tod wie taub ist. Ich könnte einerseits so viel zu und über Ingo schreiben. Dinge, die ich ihm so gern noch sagen würde. Aber andererseits mühe ich mich damit ab, Worte zu finden. Etwas, womit ich normalerweise keine Probleme habe.
Nun denn, dies ist mein Versuch.
Ingo und ich waren "beste Hobby-Kumpel". Wenngleich wir durchaus über Privates sprachen, trafen wir uns primär auf bzw. am Spieltisch. Er war unser beider Dreh- und Angelpunkt. Wer meint, dies werte unsere Freundschaft in irgendeiner Weise ab, der versteht nicht, dass dieses Hobby unser beider Leben war bzw. ist. Das Abtauchen in fantastische Welten über Spiel, Lektüre und andere Medien hat unsere Realität bereichert. Ich würde sagen, dass wir beide davon geprägt sind. Und insbesondere mit Ingo befand ich mich auf einer Wellenlänge, da wir sehr viele Vorlieben in den verschiedenen Spielarten unseres Hobbys teilten. Beileibe nicht alle! Aber das war uns auch wichtig, denn so hatten wir immer wieder spannende Unterhaltungen und freundliche Streitereien.
Als Spieler habe ich Ingo für seine intelligente Art bewundert. Falls wir mal ein Spiel gegeneinander spielten, war das immer eine Herausforderung. Denn Ingo war schlauer als ich, hatte eine schnellere Auffassungsgabe. Während ich immer zwei, drei Partien in einem Brettspiel benötigte, um zu verstehen, was es von mir verlangt, hatte Ingo den Bogen meist nach einem Durchgang raus. Spielten wir kooperativ, was in den Monaten vor seinem Tod meist der Fall war, konnte Ingo immer mit guten Ratschlägen entscheidende Tipps geben. Und wenn ich mal wieder einen "rant" über ein Spiel oder Thema vom Stapel ließ, das mich zu dem Zeitpunkt beschäftigte, dann hat er mich geduldig "ranten" lassen und mir das Gefühl gegeben, ich würde nicht gegen eine Wand reden - selbst wenn er gänzlich anderer Meinung war als ich.
Leider kann ich gar nicht mehr sagen, wann und wo genau ich Ingo kennengelernt habe. Es war vermutlich auf einem der regionalen Spieletreffen oder in einem Hobbyladen als ich vor 25 Jahren nach Wolfsburg zog. Erst im Laufe der Jahre entwickelte sich daraus dann eine Freundschaft. Unvergessen sind jedoch viele der Anekdoten und Erlebnisse, die ich und andere gemeinsam mit ihm am Spieltisch hatten. Ganz besonders festgebrannt hat sich eine Szene aus einer gemeinsamen D&D-/Pathfinder-Runde, die ich leitete. In einem der Gewölbe des Kampagnenpfads „Rise of the Runelords“ stieß die Gruppe auf eine alte Tempelstätte. Auf dem Altar befand sich eine Vertiefung, die mit schwarzem Wasser gefüllt war. Während der Rest der Gruppe sich auf Metaebene darüber amüsierte, bloß die Finger davon zu lassen, verkündete Ingo für seinen Charakter: „Ich trinke mal was davon“. Wie erwartet, war die Wirkung nicht positiv. Dieser forsche Vorstoß sollte quasi ein Meme für Ingo werden, denn „schwarzes Wasser“ wurde fortan ständig zitiert, wenn in ähnlichen Situationen mysteriöse Flüssigkeiten oder prekäre Wagnisse der Gegenstand einer Szene waren. Ich mag diese Ingo-Anekdote deshalb so gern, weil sie zeigt, dass Ingo sich das Gefühl von echtem Entdeckergeist und „kindlicher Überraschung“ bewahrt hat, wie wir sie alle aus den frühen Tagen des Rollenspiels kennen. Und am Ende auch, weil diese Entscheidung so sehr im Widerspruch zu seiner üblicherweise überlegten Vorgehensweise seiner Charaktere im Rollenspiel zu stehen scheint. Doch dieses „einfach was cooles (oder dummes) machen“ anstatt minutenlang auf Metaebene mögliche Vor- und Nachteile von Entscheidungen zu bequatschen sollte ein erfrischendes Element seines Spiels werden. Er lebte, liebte und spielte „old school“, aber er war dabei nie in einer Art „nostalgischem Käfig“ gefangen, der ihm neue Ansätze verschloss.
Seine Bereitschaft, sich immer wieder auf ein neues Spiel einzulassen, habe ich unglaublich geschätzt. Er war in den letzten Monaten unter Corona mein „Haupt-Mittester“ aller Neueinkäufe in Sachen Brettspiel. Ob „Gloomhaven - Die Pranken des Löwen“, „Dungeon Degenerates“, „Quest for the Lost Pixel“ oder „Dungeon Dice“ – Ingo war zur Stelle und immer spielfreudig. Sein analytischer Geist war in den langen Diskussionen nach jeder Partie hilfreich, um die vielen Titel für mich zu bewerten und einzuordnen. Das dieser Geist nun nicht mehr da ist und diese Treffen plötzlich ein Stück Vergangenheit sind, ist immer noch so schwer zu begreifen.
Aber zum Schluss ist all das Geschriebene nur eine wärmend ausgeschmückte Darreichung einer zutiefst simplen Erkenntnis: Ingo, du fehlst.
Mach’s gut, mein Freund. Gorion wäre stolz auf dich!