Realitätsnah ist, was ins gegenwärtige globale Weltbild paßt,...
Was ist das "gegenwärtige, globale Weltbild" (und kann es ein solches, angesichts der Divergenzen zwischen Kulturen und Wissenschaftsphilosophien, überhaupt geben)?
...der Allgemeinheit als logisch nachvollziehbar erscheint...
Wer ist "die Allgemeinheit"? Wir sehen gerade angesichts der Akzeptanz und Glaubwürdigkeit empirischer Fakten ja schließlich massive Verwerfungen in modernen Gesellschaften. Es gibt ganze Bücher über wissenschaftliche Fehlschlüsse, überholte Theorien, pseudowissenschaftliche Setzungen und gefühlte Wahrheiten, die aber in der allgemeinen Wahrnehmung hartnäckig den Status als Fakten behalten. Ich behaupte, ich selbst akzeptiere unbewusst das ein oder andere davon als Wahrheit. Dir dürfte es auch so gehen. Einfach, weil wir nicht alles wissen können und unsere Gehirne keine Computer sind. Was letztlich bedeutet, dass wir auch am Spieltisch letztlich kontrafaktische Entscheidungen für unsere Spielwelten treffen.
und empirisch durch verifizierte Belege bewiesen ist.
Wann ist etwas "verifiziert", gleichsam "empirisch verifiziert"? Das mag im Bereich der Naturwissenschaften noch alles irgendwo gelten (und selbst da wird ja ständig nachgebessert und gesicherte Erkenntnisse werden mitunter widerlegt). Aber im Bereich der Sozialtheorien oder der Geschichtswissenschaft sind es die großen Denkgebäude, die zählen und die Interpretationen und Muster, die man beobachten, aber eben nicht experimentell verfizieren
kann. Es ist in vielen Fällen schlicht gar nicht möglich, Experimente in einer Größenordnung durchzuführen, die die großen Linien der Menschheitsgeschichte nachzeichnen und in ein codifiziertes Schema pressen könnte. Deswegen sind historische Periodisierungen auch immer kritikwürdig. Geschichte wiederholt sich nicht!
Menschliche Persönlichkeit und menschliches Handeln sind hochkomplexe Variablen in jeder Situation, an der Menschen beteiligt sind. Statistisches Rollenspiel ist daher sinnlos, weil schon ein Blick in die Geschichte und die Biographien historischer Persönlichkeiten reicht, um zu konstatieren: Die groben Linien mögen erkennbar sein, aber letzten Endes tun Menschen ständig irrationale, unlogische und vor allem untypische Dinge.
Der Begriff "Logik" wird ja gerne hergenommen, um eine Art objektive Nulllinie für menschliches Weltverständnis zu bezeichnen, die nur Kenntnisreiche erkennen können und von der alle Anderen abweichen. Das strotzt bereits ob den hochgradig emotionalen Prägungen unseres Denken, unserer schwankenden intellektuellen Tagesform und der Tatsache, dass wir Menschen eher in Narrativen denken und uns als soziale Wesen entwerfen, die sich Gruppen "Gleichdenkender" zuordnen, von einer massiven Hybris. Dazu, empirisch die Realität zu erfassen, haben wir Menschen prinzipiell (fast) alle das Handwerkszeug. Wie wir diese Realität aber interpretieren, darin weichen wir Menschen aber voneinander ab. Es gibt kausallogisch zwingende Schlüsse über realweltliche Vorgänge. Aber man kann nicht kausallogisch normative Handlungsanweisungen ableiten. "Das ist" und "man sollte" sind zwei völlig unterschiedlich gelagerte Kategorien. Deswegen "muss" Magie auch nicht pseudowissenschaftlich erklärbar sein. Es reicht, dass sie als fiktionale Setzung akzeptiert wird.
Was diesem widerspricht, ist fern der Realität, surreal, obskur, utopisch, uvm.
"Surreal" können uns auch Dinge vorkommen, die völlig im Rahmen der Realität ablaufen können. Surreale Filme (ich denke da z.B. an David Lynch) sind ja häufig hauptsächlich eher Erwartungsbrecher denn Realitätsbrecher: Es passieren Dinge, die wir nicht erwarten, aber das heißt nicht unbedingt, dass sie nicht möglich wären. Es gibt sicher surreale Filme, die den Naturgesetzen trotzen, aber es gibt auch Filme, die das Surreale mehr ins Zwischenmenschliche verrücken. Und da geht es eben um Erwartungsmanagement. Wenn wir im allgemeinen Sprachgebrauch sagen, uns komme eine Situation "völlig surreal" vor, dann meist deshalb, weil das Wahrgenommene nicht zu den Erwartungen passt.
Der Term "utopisch" passt noch weniger in deine Aufzählung. Utopien zeichnen sich nicht dadurch aus, dass sie prinzipiell "unrealistisch" oder "unerreichbar" wären. Utopien sind Szenarien, die explizit ein als möglich angenommenes, positives Zukunftsszenario entwerfen. Sie treffen eine Aussage über die Zukunft. Wir wissen nichts gesichert über die Zukunft. Du und ich, wir können nur nach kontemporären Gesichtspunkten bewerten, ob eine bestimmte Zukunft so oder so stattfinden könnte. Zur Zukunft haben wir nie alle Daten. Realität hingegen erschöpft sich im Jetzt.
Diese Tatsache ist unidirektional und gilt ausschließlich für das Gegenwärtige und die historische Vergangenheit.
Nochmal dringlicher: Realität erschöpft sich im
JETZT.
Je weiter wir zurückgehen, desto lückenhafter ist unsere tatsächliche Kenntnis vergangener Realität. Andere Nutzer hier im Thread haben an vielerlei Stelle aufgezeigt, dass auch deine Kenntnis der Historie nicht erschöpfend ist, genauso wenig wie unsere.
Und wie an anderer Stelle bereits angemerkt wurde: Rollenspiel ist letztlich ein Spiel, dass sich aus Kommunikation heraus konstruiert (Vicent Bakers Idee, dass alles Rollenspiel letztlich "a conversation" ist, ist wahrscheinlich einer der wichtigsten Debattenbeiträge post-forge. Und sicherlich deutlich nützlicher als das in deiner Signatur zitierte, überholte Big Model). Wir reden über Dinge und daher müssen wir ständig das Verständnis von Dingen (in der Spielwelt, in den Regeln, etc.) untereinander aushandeln. Spielmechaniken können eine Shorthand dafür sein, diese Kommunikationsprozesse abzukürzen oder zu codifizieren. Aber sie können sie niemals ersetzen.
Ein Gruppenkonzept wird weder dafür sorgen, dass deine Gruppe "harmonischer" ist, noch dass sie "realistischer" ist. Eine festgelegte Gruppe kann sich nur im Rahmen eines Settings für die Leute am Tisch plausibler anfühlen, insofern sie sich dadurch nahtloser in ein Setting einfügt. Das hat mit Realismus nichts zu tun, da bereits das Setting keine Realität ist, sondern eine Fiktion, die Realität höchstens lückenhaft nachahmt aber niemals genau abbildet. Rollenspiel ist immer zuförderst fiktional und kann dann eben plausibel oder unplausibel sein, je nachdem, wie das Realismusverständnis unterschiedlicher Spieler am Tisch eben ist.