N'Abend
Nachdem ich die vielen spannenden Wortmeldungen hier gelesen bis teilweise überflogen habe und dabei gesehen habe, dass die Frage aufgekommen ist, ob denn in Mittelerde auch eine Gruppe von starken Charaktern à la Gandalf und Co. rollenspielerisch umgesetzt werden könnte, resp. was wäre, wenn alle einen Gandalf spielen wollten.
Ich möchte Euch dazu eine ganz persönliche Erfahrung aus über 20 Jahren Spielleitung in Mittelerde mit MERS/Rolemaster/Hausregel-Verschnitt als Beispiel nennen... wer es noch nicht gesehen haben sollte, die aktuelle Kampagne kann beide den Spielberichten nachgelesen werden und ich würde mich dort auch über Eure Kommentare (und die Spieler über etwas Mitleid
) freuen.
Wie ich dort schon im Vorwort zu den Sessionberichten geschrieben habe, spielen wir sehr starke und herausragende Charaktere mit hohen Stufen, Helden mit Verbindungen zu den Mächtigen von Mittelerde des 3. Zeitalters. Der Noldo Tinulin etwa ist mittlerweile auf Stufe 31, wie auch der Zwergen-Kämpfer Bóin II. Daneben haben wir aber auch "tieferstufige" Charakter, etwa den Dunadan-Rohir-Mischling Arrohir mit Stufe 15. Die neu zur Gruppe gestossene Yuzuki ist als "Frischling" mit Stufe 6 unterwegs.
Und ja, wir haben die Charakter beim Start zum Teil direkt auf diese Stufen hochgelevelt, denn sie sollen die "Creme de la zweite Reihe" sein, also richtig herausragende Figuren sein, die aber in der zweiten Reihe stehen und daher von den Geschichtsschreibern nicht namentlich erwähnt wurden... Tolkien hat es ja so aufgezogen, dass der Herr der Ringe das von Bilbo, Frodo und Sam geschriebene Buch ist, das später von den Geschichtsschreibern von Gondor übersetzt wurde, oder so... hab's grade nicht ganz korrekt auf dem Schirm, ist aber für die Sache auch nicht weiter wichtig.
Wichtig ist, dass wir zwar sehr starke Charakter spielen, ihre ihnen von MERS/Rolemaster zustehenden Magiefähigkeiten aber massiv eingeschränkt haben, um ein tolkiengerechteres Feeling von Mittelerde zu bekommen. Die Magie steckt bei uns vor allem noch in den Waffen der Gruppe, wobei es sich dabei auch um jeweils sehr einzigartige Artefakte handelt.
Also ja, wenn man mit der Originalmagie von MERS und Rolemaster zu Gange wäre (das sind wir grundsätzlich nur bei der Heilerin, denn auch hochstufige Charakter können mal ordentlich drunterkommen), dann wäre das wohl recht weit von Tolkien entfernt. Ich wollte spätestens davon weg, als eine Magierin nach einer Blitztriade zu einer Massenvibration ansetzte, die allen ca. 20 Gegnern einen Waffen-Patzer pro Runde eingebracht hätte (und das für ca. 15 Minuten, also 90 Runden), während sie fröhlich weitergeblitzt hätte...
Heute haben vor allem die Elben noch eine gewisse "Magie", die ihre Heilung unterstützt oder ihr Sinne/Einsichten schärfen kann oder dann kann ein elbischer Gesang eine beruhigende Wirkung entfalten oder so, eben eher subtil.
Die Gegner haben demgegenüber teilweise durchaus Zugriff auf "Magie", wobei das vor allem die Schattenwesen betrifft, die den Charaktern z.B. den Geist rauben können, wenn sie unvorsichtigerweise ihr Hügelgrab betreten haben. Aber auch so ein untotes Wesen wird bei mir nicht mit Blitzstrahlen um sich werfen.
Die Gegner der Gruppe sind immer wieder mal Orks, Wölfe, Trolle. Daneben legen sie sich aber auch immer wieder mit mehr oder weniger starken untoten Wesen aus der Schattenwelt an. Soweit ich es erkennen kann, vermisst keiner meiner Spieler so etwas wie einen wandelnden Misthaufen oder was es bei D&D noch so alles geben mag. Die Spannung und das Spielgefühl kommt nicht (oder kaum) von der "Varianz" der Gegner, sondern von der Geschichte, welche zu diesen Zusammenstössen führt. Sehr häufig sind die Gegner der Gruppe nämlich auch Menschen und ihre den Absichten der Gruppe zuwiderlaufenden Motivationen.
Warum wir so hochstufige Charakter spielen? Weil die Spieler irgendwann mal gesagt haben "Stufe 1 haben wir schon so oft gespielt. Wir wollen mal richtig fähige Charakter haben, die auch etwas bewirken und Einfluss im grösseren Stil nehmen können." Und das geht bestens, ohne dass man dabei Mittelerde und seine Geschichte aushebeln muss... z.B. war es bei uns unsere Gruppe, die Barahirs Ring von den Forodwaith zurückgeholt haben. Dass so etwas geschehen ist, steht in den Annalen der Könige, aber wir haben unsere eigene Geschichte dazu gemacht
Je nachdem wie man die Themen wählt, denke ich, dass man sowohl niederstufiges wie auch hochstufiges Charakterspiel in Mittelerde problemlos spannend und abwechslungsreich umsetzen kann.
Grüsse
torben