Autor Thema: Horror Regeln - Simulation vs. Immersion  (Gelesen 1815 mal)

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HEXer

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Horror Regeln - Simulation vs. Immersion
« am: 21.10.2022 | 12:26 »


Das sagt eigentlich schon alles. Für mich als Spieler entsteht ein Bleed bei Gruselspielen durch die Beschreibung der Szenen, nicht durch Regelmechanismen. Im Gegenteil reißt mich der Rückgriff darauf häufig aus der Immersion und ist für eine Gänsehaut kontraproduktiv. Geht das anderen auch so? Was würde das eurer Meinung nach für gutes Spieldesign bedeuten?

Obligatorische Begriffsdefinition:
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« Letzte Änderung: 22.10.2022 | 08:43 von HEXer »

Offline ghoul

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Re: Horror Regeln - Simulation vs. Immersion
« Antwort #1 am: 21.10.2022 | 14:00 »
In Idealfall unterstützen die Regeln die Stimmung, indem sie nicht im Weg stehen (z.B. durch Meta-Ressourcen-Verwaltung). Also direkte einfache Regeln sind gut, z.B. über ein simples Fertigkeitssystem und einfache Gesundheits- und Geistesregeln.
Wenn ich sehe, dass meine Personnage spielmechanisch gefährdet ist UND die atmosphärische Immersion bedrohlich und schwer abzuwägen ist ("Jetzt kann jederzeit alles passieren!"), funktioniert der Horror.
Allein eine Beschreibung von irgendwelchen Gruselelementen, während meine überlegene Personnage spielmechanisch gesehen mit den Eiern Schaukel kann, würde nicht funktionieren.
Tactician: 96%
PESA hilft!
PESA diskutiert.

Zensur nach Duden:
Zitat
von zuständiger, besonders staatlicher Stelle vorgenommene Kontrolle, Überprüfung von Briefen, Druckwerken, Filmen o. Ä., besonders auf politische, gesetzliche, sittliche oder religiöse Konformität.

Offline felixs

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Re: Horror Regeln - Simulation vs. Immersion
« Antwort #2 am: 21.10.2022 | 14:18 »
Ich finde komplexe Regeln im Rollenspiel sehr oft lästig. Im Gruselrollenspiel ist das ganz besonders ausgeprägt.
Für Gruselrollenspiele ist meine Lösung, nur regelleichte Systeme zu verwenden. Entweder Cthulhu mit viel Handwedeln und erhöhter Tödlichkeit, oder Rats in the Walls, ebenfalls mit leicht erhöhter Tödlichkeit. Hat beides bisher recht gut funktioniert.

Meinem Eindruck nach zerstört es die Atmosphäre, wenn man zwischendurch auf eine Metaebene wechseln muss. Und da Grusel sehr von Atmosphäre lebt, ist es da besonders störend.
Was hingegen sehr hilfreich ist, sind Regeln, die einfache, schnell abhandelbare Mechaniken anbieten, mit denen sich Situationen lösen und die Geschichte weiterentwickeln lässt. Die Fertigkeitsproben bei Cthulhu kommen einem da sehr entgegen. Und es hilft auch, dass die Fertigkeiten recht gut auf das Genre abgestimmt sind.

Entsprechend: Möglichst wenig Regeln, nur schnell abhandelbare Mechanismen. So wenig Meta wie möglich.

Um auf den Titel zurückzukommen: Auf keinen Fall Simulation für Gruselspiele.

Bleed

Was ist das?
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Online nobody@home

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Re: Horror Regeln - Simulation vs. Immersion
« Antwort #3 am: 21.10.2022 | 14:26 »
Was ist das?

Ich hab' mal spaßeshalber, bevor ich lange herumsuche, ins englischsprachige Wiktionary geschaut und tatsächlich eine passende Definition für "bleed" als Hauptwort gefunden:

"(uncountable, role-playing games) The phenomenon of in-character feelings affecting a player's feelings or actions outside of the game."

Muß wohl irgendein Rollenspieler da eingepflegt haben. :D

Offline aikar

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Re: Horror Regeln - Simulation vs. Immersion
« Antwort #4 am: 21.10.2022 | 14:32 »
Gute Regelmechanismen können Horror fördern. Solche Mechanismen sind meiner Erfahrung nach aber selten. Gut funktionierende Beispiele sind für mich die Stresswürfel oder der Sauerstoffverlust bei Alien und der ganze Ablauf mit den erlöschenden Kerzen, den immer weniger werdenden Würfeln und dem Verbrennen der Charakter-Attribute bei 10 Candles. Ich stelle mal die These auf, dass alles was den Verlust von stetig knapper werdenden Ressourcen visualisiert, stimmungsfördernd ist.
Die Wahnsinns-Regeln bei den ganzen Cthulhu-Ablegern haben dagegen zumindest bei mir noch nie zum Gruseln beigetragen.

Ansonsten gilt gerade bei Horror weniger ist mehr um die Immersion nicht zu zerstören.

@Bleed: Im Grunde geht es um das bewusste Provozieren von (zum Teil heftigen) Emotionen der Spieler:innen. Vor allem im skandinavischen Raum bei Pen & Paper und LARP verbreitet. Die arbeiten da aber auch stark mit Konsens/Absprache, Safe Words/X-Cards, Nachbesprechungen etc...
« Letzte Änderung: 21.10.2022 | 14:36 von aikar »
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Offline felixs

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Re: Horror Regeln - Simulation vs. Immersion
« Antwort #5 am: 21.10.2022 | 14:33 »
"(uncountable, role-playing games) The phenomenon of in-character feelings affecting a player's feelings or actions outside of the game."

Dankeschön.

Je nachdem, wie weit das geht, finde ich das gar nicht erstrebenswert.
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Offline aikar

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Re: Horror Regeln - Simulation vs. Immersion
« Antwort #6 am: 21.10.2022 | 14:37 »
Je nachdem, wie weit das geht, finde ich das gar nicht erstrebenswert.
Ist sicher nicht für jede:n. Und sollte auf keinen Fall ohne Sicherheitsmaßnahmen und Abbruchoption angestrebt werden.
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Offline felixs

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Re: Horror Regeln - Simulation vs. Immersion
« Antwort #7 am: 21.10.2022 | 15:39 »
Ist sicher nicht für jede:n. Und sollte auf keinen Fall ohne Sicherheitsmaßnahmen und Abbruchoption angestrebt werden.

Ja, vielleicht. Eigentlich sollten ja ein wenig Empathie und minimale Kommunikationsfähigkeit ausreichen. Und wenn Leute sich mit dem Ziel verabreden, die eigene oder anderer Leute Psyche zu schädigen, dann ist das, milde gesagt, nicht in Ordnung.
Vermutlich kann man sich auf jeden Fall darauf einigen, dass in Gruselrollenspielen besonders aufeinander zu achten ist. Und wenn man dafür vorher Verabredungen treffen möchte - warum nicht.

Die andere Sache ist halt, dass das von manchen Leuten (ich z.B.) überhaupt nicht angestrebt wird. Unter "Immersion" würde ich verstehen, dass man sich stark auf die Spielwelt konzentriert, das Drumherum vergisst, einen "Flow" erlebt (darüber hatten wir hier mal diskutiert). "Bleed" nach obiger Definition ist für mich ungleich "Immersion", oder vielleicht eine Teilmenge, denn Überschneidungen kann man sicher finden.

Soll jetzt auch nicht zu spitzfindig werden und ich bin auch nicht sicher, ob das noch im Rahmen dessen ist, was hier diskutiert werden sollte. Alles was ich oben geschrieben habe, bezieht sich jedenfalls auf "Immersion" im Sinne dieser Beschreibung, nicht auf "Bleed" im Sinne der oben zitierten Definition.

@HExer: Wie meinst Du "Bleed"? Ist es das gleiche wie Immersion? Spielt das überhaupt eine Rolle?
« Letzte Änderung: 21.10.2022 | 15:41 von felixs »
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Offline aikar

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Re: Horror Regeln - Simulation vs. Immersion
« Antwort #8 am: 21.10.2022 | 15:45 »
Unter "Immersion" würde ich verstehen, dass man sich stark auf die Spielwelt konzentriert, das Drumherum vergisst, einen "Flow" erlebt (darüber hatten wir hier mal diskutiert). "Bleed" nach obiger Definition ist für mich ungleich "Immersion", oder vielleicht eine Teilmenge, denn Überschneidungen kann man sicher finden.
Immersion kann Bleed fördern (weil man im Flow einfach mehr mitgeht) und Bleed kann Immersion fördern (weil man im Einklang mit dem Charakter ist). Aber es ist nicht deckungsgleich. Ich kann ja z.B. auch starke Emotionen entwickeln, weil ich mit einer Figur, mit der ich mich nicht identifiziere, mitfiebere.
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Offline unicum

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Re: Horror Regeln - Simulation vs. Immersion
« Antwort #9 am: 21.10.2022 | 16:09 »
Horror ist imho die Königsdisziplin im Rollenspiel,... (zumsammen mit Humor im übrigen). Das muss die SL auch können.
Ich könnte mir auch vorstellen das ein HorrorRPG da mit zweierlei Regelsätzen daherkommt - im einen könnte alles sehr Simulatistisch sein, im anderen dann gar nicht mehr (was dann wohl heist das man den Simulatiorischen Teil einfach weglässt).
Im vergleich dazu der blick in klassisches Horror, sei es Romane oder Filme - da fängt eingentlich meist in "der normalen Welt" an. Das könnte man mit "normalen" RPG regeln abbilden. In dem moment wo aber im Film die Musik sich ändert müsste man dann auch auf den Horrorteil der Regeln wechseln.

Im vergleich dazu, solange die "Investigatoren" in einem Chuthuluplot noch am herumsuchen sind kann man ruhig ganz normales RPG machen das dann aber wenn man etwa die verlassene Villa betritt langsam(?) in den Horror übergleitet.

Insofern ist auch ein gutes HorrorRPG auch eine Königsdisziplin.

Offline Antariuk

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Re: Horror Regeln - Simulation vs. Immersion
« Antwort #10 am: 21.10.2022 | 16:11 »
Nur mit Regeln, also ohne Stimmung am Tisch und in der Runde, geht es nicht - Regeln können sehr wohl aber helfen. Denn wenn man rein auf Stimmung setzt, bleibt die Last, den Horror im Spiel funktional zu machen, an der Spielleitung hängen (die dann entsprechend immersive Sachen vorbereiten muss) oder setzt allein darauf, dass die Gruppe an dem Abend ideal "flutscht". Das kann funktionieren, sogar grandios gut, ich würde aber nie sehenden Auges Regeln ablehnen, die mir und den Spielern dabei helfen.

Und das muss gar kein fancy Kram sein, die meisten (Meta-)Ressourcen, die für sowas in Systemen angeboten werden, reichen. Ich persönlich finde Lösungen wie die die Stressleiste in Blades in the Dark oder im Alien RPG etwas attraktiver als z.B. den im Vergleich eher passiven Sanity-Pool in Cthulhu, aber da gewichten andere sicher anders.
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HEXer

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Re: Horror Regeln - Simulation vs. Immersion
« Antwort #11 am: 21.10.2022 | 16:31 »
ich würde aber nie sehenden Auges Regeln ablehnen, die mir und den Spielern dabei helfen.

Jo, geht mir halt genau anders. Wenn Regeln - und am besten noch Ressourcen - ins Spiel kommen wird es berechenbar und für mich ist jeder Grusel weg.

Plus: Mechanismen, durch die das Spiel / die SL / die Mitspielenden in die Psyche meines Charakters eingreifen können, finde ich sehr schnell auch übergriffig.

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Re: Horror Regeln - Simulation vs. Immersion
« Antwort #12 am: 21.10.2022 | 16:35 »
Horror ist eh so ein Thema, bei dem ich mir nicht immer sicher bin, daß alle überhaupt auf derselben Wellenlänge sind. Wenn ich als SL den Hakenhandkiller aus dem Jenseits auf die Spielercharaktere loslasse -- was wird da eigentlich erwartet, das ich damit erreichen wollen "soll"? Das Auftreten eines harten Gegners? Ein Rätsel zum Lösen unter mehr oder weniger ausgeprägter Lebensgefahr? Eine Bedrohung, vor der einfach nur erfolgreich genug geflohen werden will? Einen stimmungsvollen TPK? Irgendwelche anderen Dinge, die mir gerade nicht so recht einfallen wollen, während ich das hier schreibe? :think:

Je nach Ziel wird, denke ich, die angestrebte Stimmung eh schon variieren, und wenn sich Spieler und SL untereinander womöglich nicht mal so recht einig sein sollten, um was es eigentlich gehen soll...dann Mahlzeit.

HEXer

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Re: Horror Regeln - Simulation vs. Immersion
« Antwort #13 am: 21.10.2022 | 16:37 »
@HExer: Wie meinst Du "Bleed"? Ist es das gleiche wie Immersion? Spielt das überhaupt eine Rolle?

Nein, tut es nicht, weil ich in diesem Falle die Überschneidung beider Begriffe wie sie oben beschrieben wurde, meine. 🙂

Wie gesagt, meiner Erfahrung nach ist es so, dass man eine gruselige Atmosphäre, bei der sich die Spieler selbst auch tatsächlich gruseln, entsteht oder nicht entsteht - Regeln können für mich keinen Grusel erschaffen; sie können ihn höchstens verhindern.

Und ja, ich finde auch, dass Grusel die ich sag mal „Prinzenklasse“ im Rollenspiel ist. Comedy ist für mich die Königsklasse… aber das ist dann wieder ein anderes Thema.

Offline Boba Fett

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Re: Horror Regeln - Simulation vs. Immersion
« Antwort #14 am: 21.10.2022 | 17:15 »
Geht das anderen auch so?

Weiss nicht... Bei mir entstehen Horror Situationen meist nicht vorsätzlich.

Aber ich geb mal Senf dazu.
Horror ist ja die Angst vor durch Kontrollverlust induzierte Verletzlichkeit und die daraus resultierenden Folgen. (meine eigene Defintion)
Also zum Beispiel das "sich ausgeliefert fühlen" und die Angst vor "was dann mit einem geschieht".

Spielregeln sind letztendlich ein Rettungsanker, denn in ihrer Gültigkeit ist das Maß an Kontrolle (und möglichem Kontrollverlust) berechenbar.
Wenn ich weiß, auf was ich mich eingelassen habe und in welchem Ausmaß Dinge passieren können, dann hab ich Kontrolle (in letzter Instanz, insofern, dass ich mich von vornherein nicht darauf einlasse muss, wenn es mir zu weit geht).
Nur wenn Regeln keine Gültigkeit haben, kann ich mich wirklich ängstigen. Bzw. in dem Moment, wo ich begreife, dass die angenommenen Regeln keine Gültigkeit mehr besitzen.
Letztendlich ist genau das, was das Gruselige am Übernatürlichen ausmacht - es widersetzt sich den Naturgesetzen, man versteht nicht was passiert, man weiss nicht, ob und welche Regeln gelten und letztendlich wir man einer Situation ausgeliefert, in der man keine Kontrolle mehr verspürt. Siehe "Freitag der 13." - "Nightmares on Elmstreet" oder "Scream" (der sehr schön mit dem Genre spielt, in dem er die Analysten unter den Zuschauern verwirrt...).

Insofern kann ich mir eigentlich nur vorstellen, dass ein Regelwerk immer nur im Wege stehen kann, weil es dem "ausgeliefert sein" Grenzen bereitet.
Kopfgeldjäger? Diesen Abschaum brauchen wir hier nicht!

Offline aikar

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Re: Horror Regeln - Simulation vs. Immersion
« Antwort #15 am: 21.10.2022 | 17:27 »
Jo, geht mir halt genau anders. Wenn Regeln - und am besten noch Ressourcen - ins Spiel kommen wird es berechenbar und für mich ist jeder Grusel weg.
Wie gesagt, meiner Erfahrung nach ist es so, dass man eine gruselige Atmosphäre, bei der sich die Spieler selbst auch tatsächlich gruseln, entsteht oder nicht entsteht - Regeln können für mich keinen Grusel erschaffen; sie können ihn höchstens verhindern.
Mit welchen Horror-Systemen hast du denn schon Erfahrung sammeln können?

Plus: Mechanismen, durch die das Spiel / die SL / die Mitspielenden in die Psyche meines Charakters eingreifen können, finde ich sehr schnell auch übergriffig.
Eine gewisse Übergriffigkeit gehört aber doch irgendwie zu Horror dazu?
Eben weil:
Horror ist ja die Angst vor durch Kontrollverlust induzierte Verletzlichkeit und die daraus resultierenden Folgen. (meine eigene Defintion)
Kontrollverlust. Darum geht es auf die eine oder andere Art immer.
Hängt aber natürlich auch vom genauen Horror-Genre ab: Während Slasher- oder Monster-Horror primär durch die externe Gefahr für das eigene Überleben arbeiten, haben Body-Horror (Verlust der Kontrolle über den Körper), Pycho-Horror (Verlust über die Zuverlässigkeit des eigenen Verstands/Wahrnehmung) und  kosmischer Horror (Erkennen der eigenen Bedeutungslosigkeit und der Unzuverlässigkeit der gewohnten Realität) immer einen Faktor der Übergriffigkeit.
« Letzte Änderung: 21.10.2022 | 17:33 von aikar »
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Offline Jiba

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Re: Horror Regeln - Simulation vs. Immersion
« Antwort #16 am: 21.10.2022 | 17:27 »
In Idealfall unterstützen die Regeln die Stimmung, indem sie nicht im Weg stehen (z.B. durch Meta-Ressourcen-Verwaltung). Also direkte einfache Regeln sind gut, z.B. über ein simples Fertigkeitssystem und einfache Gesundheits- und Geistesregeln.

Musst dich schon entscheiden. Entweder keine Metaregeln, oder Gesundheits- und Wahnsinnsregeln. "Sanity"-Rules sind so Meta, wie nur geht. Ständig muss ich drüber nachgrübeln, was der oder der Wahnsinnslevel jetzt konkret für meine Figur bedeutet und wie ich das in's Spiel einbaue.

Da schreib ich mir doch lieber den Aspekt oder den Nachteil "Hört die Stimmen seines toten Kameraden" oder "Hat Angst vor engen Räumen" aufs Blatt.  ;)

Mit den einfachen Regeln gebe ich dir Recht, weiß aber nicht so genau, warum man da ein Fertigkeitssystem benötigt... ich meine, wir spielen da ja kein Abenteuer, sondern eine Horrorgeschichte. Ich finde Horror-Regelsysteme sollten wenn überhaupt eher die inneren Zustände wiederspiegeln, mit denen eine Figur kämpft.

"Dread" hat beispielsweise überhaupt keine Fertigkeiten. Das hat nur Fragen, die die SL vorbereitet und die die Spieler beantworten. Das zielt darauf ab, deren Spielercharaktere mit dem Horrorszenario und der Bedrohung darinnen zu verzahnen. Wenn man nicht den Horror nur als "Set Dressing" will (wie z.B. bei der WoD, Ravenloft, Pulp Cthulhu, Opus Anima etc.), sondern eine tatsächliche Horrorgeschichte, wie wir sie aus anderen Medien kennen, dann muss man sich von dem Gedanken verabschieden, dass es darum geht, wie gut oder befähigt irgendwer in irgendwas ist.

Als gute Horrorspiele fallen mir "Dread", "Ten Candles", "Trophy", "Bluebeard's Bride" und "Lovecraftesque" ein. Die beiden letzten sind für den Threadersteller sicherlich deutlich zu Meta. Die ersten drei zielen aber hochgradig auf Immersion ab und haben eigentlich alle supersimple Regelmechaniken.
Engel – ein neues Kapitel enthüllt sich.

“Es ist wichtig zu beachten, dass es viele verschiedene Arten von Rollenspielern gibt, die unterschiedliche Vorlieben und Perspektiven haben. Es ist wichtig, dass alle Spieler respektvoll miteinander umgehen und dass keine Gruppe von Spielern das Recht hat, andere auszuschließen oder ihnen vorzuschreiben, wie sie spielen sollen.“ – Hofrat Settembrini

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Re: Horror Regeln - Simulation vs. Immersion
« Antwort #17 am: 21.10.2022 | 17:31 »
Für mich als Spieler entsteht ein Bleed bei Gruselspielen durch die Beschreibung der Szenen, nicht durch Regelmechanismen. Im Gegenteil reißt mich der Rückgriff darauf häufig aus der Immersion und ist für eine Gänsehaut kontraproduktiv. Geht das anderen auch so?
Mir geht das bei Horrorspielen eigentlich nicht so. Denn die meisten Horror-Rollenspiele, die ich kenne, haben Regeln, die eh relativ regelleicht sind und den Horror(faktor) im Spiel unterstützen und (imho) dadurch verstärken. Ganz egal, ob es sich nun um Geistige Stabilität, Wahnsinns-, oder  Traumapunkte handelt. Und viele Horror-Rollenspiele verstärken den Horror-Faktor ja noch durch entsprechende (drastische) Konsequenzen, die (mit) dem Charakter passieren, wenn er dem Horror begegnet- wie immer dieser auch aussehen mag. Mich reißen viel weniger irgendwelche Regelmechanismen denn irgendwelche externen Faktoren aus der Immersion bei Horror-Rollenspielen.

Zitat
Was würde das eurer Meinung nach für gutes Spieldesign bedeuten?
Im Umkehrschluss: Dass je weniger Regeln desto mehr (die) Immersion in Horror-Rollenspielen. Da steckt sicherlich ein Körnchen Wahrheit drin- lässt sich, aber glaube ich, nicht so einfach pauschalisieren - in Bezug auf Horror-Rollenspiele. Denn Horror hängt imho mehr als jedes andere Genre von den (richtigen) Mitspielern ab. Man braucht Mitspieler, die bereit sind, sich dem Horror und der Immersion hinzugeben und sich darauf einzulassen. Und zwar zu 100%. Wenn das nicht gegeben/gewährleistet ist, dann wird man früher oder später eh aus der Immersion gerissen- da können die Regeln noch so stark narrativ und so wenig simulationistisch (veranlagt) sein.

Als gute Horrorspiele fallen mir "Dread", "Ten Candles", "Trophy", "Bluebeard's Bride" und "Lovecraftesque" ein. Die beiden letzten sind für den Threadersteller sicherlich deutlich zu Meta. Die ersten drei zielen aber hochgradig auf Immersion ab und haben eigentlich alle supersimple Regelmechaniken.
Ich stimme zu und würde zu den ersten Dreien auch noch "Don't Walk in Winterwood" hinzufügen.
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Offline unicum

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Re: Horror Regeln - Simulation vs. Immersion
« Antwort #18 am: 21.10.2022 | 17:38 »
Als gute Horrorspiele fallen mir "Dread", "Ten Candles", "Trophy", "Bluebeard's Bride" und "Lovecraftesque" ein. Die beiden letzten sind für den Threadersteller sicherlich deutlich zu Meta. Die ersten drei zielen aber hochgradig auf Immersion ab und haben eigentlich alle supersimple Regelmechaniken.

Zugestanden ich kenne im ansatz davon nur den Jenga Turm von Dread - und eigentlich würde mich sowas sehr aus der immersion rausreissen.

Die collsten Horror RPGS Sessions die ich hatte waren tatsächlich mit Coc auf RQ Basis und da glitt es irgendwann von diesen doch nicht gerade einfachen Regeln in etwas "nebulös regelarmes atmosphärisches erzählspiel" rüber.
Viel mehr kann ich dazu nicht sagen aber ich kenne einige welche sich als SL an Horror versucht haben und ... es kahm einfach keine Stimmung rüber. Wohingegen es einige wenige super gepackt haben.

Offline Jiba

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Re: Horror Regeln - Simulation vs. Immersion
« Antwort #19 am: 21.10.2022 | 17:43 »
Nur so viel, unicum: Mit "Trophy" kämste wahrscheinlich klar.  ;)

Als Destillat aus dem alten Cthulhu-Zeugs könnte ich auch noch "Cthulhu Dark" empfehlen. Das ist auch sehr simpel.
« Letzte Änderung: 21.10.2022 | 18:06 von Jiba »
Engel – ein neues Kapitel enthüllt sich.

“Es ist wichtig zu beachten, dass es viele verschiedene Arten von Rollenspielern gibt, die unterschiedliche Vorlieben und Perspektiven haben. Es ist wichtig, dass alle Spieler respektvoll miteinander umgehen und dass keine Gruppe von Spielern das Recht hat, andere auszuschließen oder ihnen vorzuschreiben, wie sie spielen sollen.“ – Hofrat Settembrini

Offline felixs

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Re: Horror Regeln - Simulation vs. Immersion
« Antwort #20 am: 21.10.2022 | 18:15 »
Als Destillat aus dem alten Cthulhu-Zeugs könnte ich auch noch "Cthulhu Dark" empfehlen. Das ist auch sehr simpel.

Das ist extrem vereinfacht. Eigentlich schon kein richtiges Regelwerk mehr, eher eine Beschreibung einer Herangehensweise. Vor allem die "Kampfregeln" sind schon recht speziell.
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Offline Maarzan

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Re: Horror Regeln - Simulation vs. Immersion
« Antwort #21 am: 22.10.2022 | 02:14 »
Bleed ist aber gerade nicht (zumindest Figuren)-Immersion, sondern zielt direkt auf den Spieler und nicht die Figur, indem es geradewegs die Emotionen des Spielers angeht - welche eben nicht zwingend diejenigen der Figur sind.

Beispiel zur Verdeutlichung: Die Figur Tarantul der Spinnenmagier wird keine Probleme mit Spinnen haben, sein zur Spinnenphobie neigender Spieler bei entsprechend plastischer Darstellung schon.

Sollte flow gemeint sein, als Immersion in die Beschäftigung selbst, wird das wohl sehr je nach persönlichen Vorlieben schwanken.

Bei Horror würde ich dann aber gerade bleed als den Reiz dahinter vermuten.



 
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HEXer

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Re: Horror Regeln - Simulation vs. Immersion
« Antwort #22 am: 22.10.2022 | 08:40 »
Hach, gutes altes Tanelorn… 🙄

Also gut, hier die Definitionen der Begriffe Immersion und Bleed so wie ich sie in diesem Thread meine:

Immersion
Zitat
Immersion (fachsprachlich für „Eintauchen“) beschreibt den durch eine Umgebung der Virtuellen Realität (VR) hervorgerufenen Effekt, der das Bewusstsein des Nutzers, illusorischen Stimuli ausgesetzt zu sein, so weit in den Hintergrund treten lässt, dass die virtuelle Umgebung als real empfunden wird.

Bleed
Zitat
Bleed is experienced by a player when her thoughts and feelings are influenced by those of her character, or vice versa. With increasing bleed, the border between player and character becomes more and more transparent. It makes sense to think of the degree of bleed as a measure of how separated different levels of play (actual/inner/meta) are.

Bleed is instrumental for horror role-playing: It is often harder to scare the player through the character than the other way around. An overt secluded dice roll against a player's perception stat is likely to make the character more catious.

Ich ergänze das sicherheitshalber auch noch mal im Startpost.

Und jetzt bitte:

😉

« Letzte Änderung: 22.10.2022 | 08:41 von HEXer »

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Re: Horror Regeln - Simulation vs. Immersion
« Antwort #23 am: 22.10.2022 | 08:59 »
Kommt auf die Regelmechanismen an. Klar. Blanke Probenwürfe können sehr schnell die Immersion zerschiessen. Es gibt aber durchaus Regelmechanismen, die dir Limitationen auferlegen, die zu harten Konsequenzen führen, wenn sie übertreten werden. (z.B. Dystopie, Deine Familie muss pro Tag soundsoviel Tagesmahlzeiten zu sich nehmen oder eines deiner Kinder verhungert. An diesem Tag findest Du nur einen stark verletzten Menschen und keine weitere Beute. Wie reagierst Du? Wenn Du den stark verletzten Menschen jetzt verfüttert, weil er ja nicht überlebensfähig ist, wie fühlst Du Dich als Spieler?)
Solche Mechanismen, besonders wenn sie nicht wegverhandelt werden können steigern meiner Meinung nach die Immersion und stabilisieren den Gruselfaktor.
Ich bin viel lieber suess als ich kein Esel sein will...
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
Nicht Sieg sollte der Zweck der Diskussion sein, sondern
Gewinn.

Joseph Joubert (1754 - 1824), französischer Moralist

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Re: Horror Regeln - Simulation vs. Immersion
« Antwort #24 am: 23.10.2022 | 10:11 »
Simulation vs. Immersion ist kein Entweder - Oder für mich, sondern alles zu seiner Zeit und maßvoll eingesetzt:

1. Sobald ich gezwungen werde, in Regeln und Mechanismen zu denken, ist die Immersion/Bleed/wieauchimmerihrdasnennt für mich dahin - sowohl als SL als auch als Spieler.
2. Horror kann nur gemeinsam durch alle Mitspieler erzeugt werden. Sobald jemand am Tisch nicht will oder nicht kann, ist kein Horror möglich. Für mich hat es viel oder ausschließlich mit Gruppendynamik zu tun. Und die ist unglaublich mächtig.
3. Regeln können dennoch unterstützend wirken - aber erst nach der Szene. Dann lässt sich das Erlebte gut auch in Werten und Spielmechaniken ausdrücken, um Heilungsprozess oder längerfristige Auswirkungen zu simulieren oder zumindest in einen allgemein verständlichen Rahmen zu bringen.

Das funktioniert für mich zumindest bei Cthulhu oder KULT ziemlich gut...