Ich beziehe mich folgend auf DSA4/4.1/5, da es sowohl von den Regeln als auch Setting für die meisten das heute dominante "DSA-Gefühl" bedeuten dürfte. Retro-DSA (DSA1-3) unterscheidet sich in etlichen Punkten.
Was macht DSA (4/4.1/5) als
Regelsystem (für mich) aus:
Verzahnung des Regelsystems mit dem HintergrundAuch wenn ich persönlich denke, dass diese Verzahnung bei weitem nicht so stark ist, wie die Fans oft meinen, sind doch gerade die Magie- und Geweihtenregeln sehr stark auf das Setting Aventurien hin getrimmt.
Keine KlassenDSA hat ein sehr freies, punktebasiertes Charakterbau- und entwicklungssystem, das keine Grenzen spezifischer archetypischer Klassen kennt. Dazu auch mehr im nächsten Punkt.
Sehr feingranulare Regeln- Extrem viele Möglichkeiten zur Charakter-Individualisierung. Dadurch kann man den Charakter sehr genau auf seine Vorstellung anpassen und praktisch alle innerweltlichen Eigenschaften in Regeln abbilden. Es gibt viele Fertigkeiten und Sonderfertigkeiten (Talente) für praktisch alles, von Kampfmanövern über Zaubervariationen bis hin zu Iglubau und Zahnbehandlung. Es ist dadurch auch möglich, Charaktere wie Händlerinnen oder Tänzer zu bauen, neben den üblichen Magiern, Kriegern und Schurken. Der Preis dafür ist eine extrem große Menge an zu beachtenden Einflussfaktoren (langer Charakterbau, für Anfänger oft überwältigend) und eine praktische Unmöglichkeit, eine Ausgewogenheit der Gruppe zu garantieren. Je nachdem was einem wichtig ist, ist es also mehr Vor- oder Nachteil.
- Zaubersprüche sind einzeln steigerbare und erlernbare Fertigkeiten, stark (aber durch die Regeln und Charakterfähigkeiten begrenzt, also nicht völlig frei) beim Wirken anpassbar (z.B. zusätzliche Energie oder Schwierigkeit um die Reichweite zu erhöhen) und verbrauchen Astralpunkte aus einem Pool, dadurch sehr flexibel einsetzbar. Immer nutzbare Kleinzauber gibt es nur für "Fluffzauber" wie das Kühlen von Getränken, aber nicht z.B. als brauchbare Kampfzauber. Magiewirker müssen sich also sehr genau überlegen, wofür sie ihre magische Kraft einsetzen.
- Viele Modifikatoren durch Umgebung und eigene Fähigkeiten im Kampf und Fertigkeiteneinsatz. Es gibt sowohl Trefferpunkte (Lebenspunkte) zum Runterkloppen als auch konkrete einschränkende Wunden und die Möglichkeit aktiv mit einer vergleichenden Probe einen Angriff zu parieren. Dadurch fühlen sich unterschiedliche Kampfstile auch unterschiedlich an und Faktoren wie das Wetter oder die Ausrüstung haben spürbaren (regeltechnischen) Einfluss. Der Preis ist viel Rechnerei (und Nachschlagen, falls die Spieler:innen nicht sehr regelfit sind) und damit oftmals eher zähe Kämpfe.
- Die 3W20 Probe. Fertigkeitswürfe gehen nicht auf einen, sondern gleich auf 3 Attribute mit einem ausgleichenden Fertigkeitspunktepool (z.B. Mut/Geschicklichkeit/Konstitution für Wildnisleben). Dadurch haben verschiedene in der Situation wichtige Attribute regeltechnischen Einfluss, der Preis ist wiederum ein relativ langwieriger Probenmechanismus.
Zusammengefasst: Praktisch jeder innerweltliche Faktor kann praktisch beliebig kleinteilig durch die Regeln abgebildet werden. Mit allen Vor- und Nachteilen, die das mit sich bringt.
Bei DSA5 wurde versucht, es mit vielen Optionalregeln (Fokusregeln) abzufedern, was aber nach Meinung vieler nur mäßig gelungen ist.
Hoher ProduktausstoßAuch wenn es vielen gerade bei DSA5 noch immer nicht schnell genug geht, die Menge an Produkten (Regel-, Hintergrund- und Abenteuerbände + viel Merch), die für DSA auf den Markt geworfen werden, ist beeindruckend.
Was macht
Aventurien (Das Hauptsetting von DSA) vom Hintergrund her für mich aus?
- Im Kern ist es ein EDO-Kitchen-Sink-Mittelalter-Fantasy-Setting, das viele europäische und nahöstliche Kulturen integriert.
- Aber: Es wurde über die Jahre immer mehr individualisiert um die Länder von ihren irdischen Vorbildern abzuheben. Gerade seit DSA5 wird auch viel Wert auf Cultural Sensitivity gelegt (was manchen gefällt und manchen nicht). Gerade auch die Elfen und Orks Aventuriens sind durch ihre Philosophie und Lebensweise sehr speziell und heben sich stark von ihren Äquivalenten in anderen Settings ab.
- Der oberflächliche Magiegrad ist geringer als bei vielen High Fantasy-Settings, Magie ist für die meisten Menschen bekannt, aber kein Teil des Alltags.
- Aber: Die Welt an sich ist absolut High Fantasy, gerade im Umfeld von Spielercharakteren sind Dämonen und Feuerbälle nicht wirklich seltener als bei D&D und bei den großen Ereignissen der näheren und ferneren Vergangenheit wird auch nicht mit epischer Magie, beschworenen Kreaturen, dämonischen Kriegsmaschinen, fliegenden Festungen, dem Eingreifen der Götter etc. gegeizt. Und nach meinem persönlichen Gefühl nimmt gerade bei DSA5 auch die Alltagsmagie etwas zu.
- Der Detailgrad der Weltbeschreibung ist praktisch konkurrenzlos. Selbst kleine Dörfer sind eingezeichnet und oft zumindest mit ein paar Schlagworten versehen, über bedeutendere Lokalitäten gibt es Tonnen an Informationen. Es gibt sogar einen Routenplaner und Gebetsbücher für die einzelnen Gottheiten. Das bedeutet viel Aufwand, wenn man sich einarbeiten will, aber die Welt hat auch einen extrem hohen Wiedererkennungswert und fühlt sich "echt" und "lebendig" an.
- Der Metaplot. Aventurien entwickelt sich seit über 30 Jahren immer weiter, was zum Teil nur beschrieben wird, zum Teil in Abenteuern erlebbar ist, aber vor allem spürbar Einfluss auf das Setting hat (auch wenn das nach vielen Meinungen bei DSA5 stark nachgelassen hat, im Vergleich zu den großen Umwälzungen während DSA3/4).
Die große Stärke, die sich dadurch ergibt ist, dass sich gerade Spieler:innen, die viel Zeit beim Spiel in Aventurien verbracht haben, sich dort zu Hause fühlen. Man erkennt Orte und Personen wieder, hat Gerüchte gehört, selbst (oder mit anderen Charakteren) historischen Ereignissen beigewohnt. Und man kann sich mit Spieler:innen aus anderen Gruppen darüber austauschen. Das schafft eine extrem starke Bindung und Geschichten, die lange in Erinnerung bleiben, auch weil man ihren Auswirkungen auf das Setting noch lange danach begegnet und sagen kann "ich war dabei".
Es macht Aventurien auch zu einem guten Platz für eine bestimmte Art von Sandbox: Freies (Open World) Spiel in einer bestehenden Welt (Im Gegensatz zu Entwicklung der Welt während des Spiels).
Der reichhaltige Hintergrund gibt sehr viele Aufhänger um Charaktere mit der Welt und ihren Bewohnern zu verbinden und entlastet die SL, weil man prinzipiell immer nachschlagen kann, was sich im nächsten Ort findet.
Der Nachteil daran ist, dass wenn man diese Vorteile nutzen will, gewisse Tatsachen und Ereignisse in der Welt unveränderlich sind, weil die eigene Welt sonst eben nicht mehr der beschriebenen entspricht und die Beschreibungen dadurch ihre Wertigkeiten verlieren. Das ist natürlich je nach Fakt unterschiedlich stark, aber der Butterfly-Effekt, wenn man bestehende Setzungen verändert, kann beachtlich sein.
Das hat den DSA-Abenteuern, vor allem denen, die sich um den Metaplot drehen, den Ruf des Railroadings eingebracht, was manchmal gerechtfertig, oft aber auch nur ein Vorurteil ist. Wie überall gibt es bessere und schlechtere Abenteuer und wie überall ist es sehr subjektiv, was ein gutes Abenteuer ausmacht.
Es ist durch die detaillierte Beschreibung auch sehr schwer, als SL etwas völlig eigenes einzubringen. In Aventurien spielt man, weil man in Aventurien spielen will. Nicht, wenn man die Welt beliebig formen will.
Was macht
Myranor (Den zweiten großen Kontinent der DSA-Welt Dere im Westen Aventuriens) für mich aus?
Myranor ist einen echtes High Fantasy-Setting mit in weiten Teilen (aber bei weitem nicht überall) römischem Touch, das leider in meinen Augen viel zu wenig bzw. die falsche Aufmerksamkeit bekommen hat.
- Das zentrale Imperium ist stark antik-römisch geprägt, im Norden werden die Kulturen germanisch, im Süden indisch und persisch, aber mit jeweils deutlich stärkeren Anpassungen als in vielen anderen Settings, die auf irdische Kulturen zugreifen
- Die Herrscherschicht wird in weiten Teilen von einem Magier-Adel gestellt, der aus mehreren Häusern besteht und abseits des zentralen Imperiums oft in den örtlichen Kulturen aufgeht. Dadurch hat Magie einen ganz anderen Stellenwert als in Aventurien.
- Magische Maschinen sind bekannt und für diejenigen, die sie sich leisten können, auch verfügbar. Die ärmeren und ländlichereren Einwohner holen sich dafür den Segen der Animisten (Geisterbeschwörer), die oft deutlich stärker in die Gesellschaft integriert sind als aventurische Druiden und Hexen. Dadurch existiert mehr "Alltagsmagie".
- Die meisten nichtmenschlichen Völker sind "Tiermenschen" verschiedener Art, Elfen und Zwerge existieren zwar, sind aber extreme Minderheiten. Das hat Myranor den Ruf eines "Furry"-Settings eingebracht. Der Großteil der Bewohner ist aber menschlich und die "Tiermenschen" haben sehr eigenständige und interessante Kulturen. Und es gibt auch Völker wie die vierarmigen Neristu oder die androgynen Raveseran, die gänzlich besonders sind.
- Myranor ist deutlich größer als Aventurien und die Besiedelung konzentriert sich auf große Metropolen und verstreute "Gehöfe", dadurch gibt es viel Raum für Reise- und Wildnisabenteuer, die in Aventurien zum Teil sehr eingeschränkt sind.
- Myranor ist schön beschrieben, aber bei weitem nicht so detailliert wie Aventurien. Das lässt viel mehr Freiheiten für eigene Geschichten und Lokalitäten. Und auch wenn es eine umfangreiche Geschichte bis zur Jetztzeit gibt, gibt es keinen aktuellen Metaplot, dem man folgen müsste (bzw. könnte). Hier kann man noch (Als SL und als SC) Königreiche errichten und zerschmettern.
- Es greift, als Teil der selben Welt, viele Eigenheiten des aventurischen Kosmos auf, zum Teil aber aus neuen Blickwinkeln. Für Fans beider Settings kann es sehr spaßig und spannend sein, die Verknüpfungen zu erkennen (so wurde z.B. das myranische Totenbeschwörer-Optimatenhaus Onachos in Aventurien als Honak zu einer Stütze des Al'Anfanischen Boron-Kultes und bestimmte Götter werden auf beiden Kontinenten verehrt, zum Teil aber sehr unterschiedlich gesehen.)
- Der Uhrwerk-Verlag hat viele hervorragende Bände zu Myranor herausgebracht, die inzwischen nur mehr als pdf im Ulisses Ebook-Store erhältlich sind. Jedem, der in das Setting reinschnuppern will, empfehle ich den Setting-Band "Unter dem Sternpfeiler". Ein neues Myranor wurde von Ulisses angekündigt, lässt aber seit Jahren auf sich warten und wird wohl auch noch zumindest einige weitere Jahre nicht das Licht der Welt erblicken. Und wenn ich die Aussagen richtig verstanden habe, auch stark verändert werden.
Es lässt sich für mich schwer in Worte fassen, was Myranor für mich so faszinierend macht, die Hintergrundbeschreibungen atmen für mich einfach Abenteuer. Und durch den römischen Stil mit Magierherrschern (und vielen anderen Eigenheiten) hebt es sich auch stark von üblichen Mittelalter-Fantasy-Settings ab und hat eine starke Eigenständigkeit.
Wo Aventurien für mich die Heimat ist, für die man kämpft, ist Myranor für mich immer noch der Kontinent der Wunder, der erforscht werden will.
Uthuria (Der Südkontinent) wurde in einer kurzen (und nach recht breiter Meinung nicht all zu guten) Kampagne angerissen, verschwand dann aber wieder in der Versenkung.
Das Riesland (Der Ostkontinent) wird in offiziellen Texten nur angerissen, aber durch ein sehr ambitioniertes Fanprojekt "Rakshazar" beschrieben.
Wie kataklysmisch war die Borbarad-Episode? (Und lag die nicht in der Vergangenheit, oder gab es zwei Episoden?)
Sehr, ja und ja
. Es gab einen Borbarad-Krieg knapp 400 Jahre vor der üblichen Spielzeit, der eigentlich nur Teil des Hintergrunds ist. Und einen weiteren, als Borbarad knapp 25 Jahre vor der jetzigen DSA-Zeit zurück kehrte. Das war die Ära der berühmten Gezeichneten-Kampagne und konnte entsprechend bespielt werden und hat das Setting stark verändert und bis heute in vielen Teilen geprägt.