Ich hab noch ne These. Alles was Rollenspiel "interessant" macht, ist gesellschaftlich absolut nicht en vogue.
"Gewalt ist keine Lösung!" heißt es bei uns so schön. Und wenn Gewalt im Kinofilm gezeigt wird, wird die FSK Bewertung gleich hochgewertet.
In Deutschland wird Gun-Porn in Quellenbüchern eher negativ behaftet und kaum einer gibt zu, dass er gern mal darin schwelgt, die Knarren anzugucken.
Hingegen ist das in den Guns'R'USA (dem Rollenspiel-Vorreiterland) gar kein Thema. Da wird die PG Wertung nur aufgehübscht, wenn nackte Tatsachen gezeigt werden.
Scheint mir für ein Land voller Schützenvereine und Mittelalterfeste, auf denen Leute sich mit Schwertern beharken, eine steile These zu sein. Gerade angesichts dessen, dass Shooter und Echtzeitstrategie-Games, die diese Inhalte auch enthalten, in Deutschland absolute Renner sind.
Und wenn ich mir hier die Vehemenz der Abwehr anschaue, wenn es um auch nur um eine Messerspitze einer irgendwie gearteten politischen Agenda in einem Rollenspiel geht (außer natürlich es handelt sich um die Agenda des eingeschliffenen, nostalgisch verklärten Gesellschafts-Status Quo der 90er und frühen 00er Jahre) – und diese Abwehr kommt hier ja auch gerade von Geisteswissenschaftlern (Historikern, etc.) – dann halte ich diese These für nicht aufrecht zu erhalten.
Aces in Space ist beispielsweise das "wokeste Woke"-Spiel, was man auf dem deutschen Markt so finden kann (und es ist ein fantastisches Spiel, das noch dazu; das interessanteste Fate-Game seit Turbo Fate)... und darin geht es um Raumpilot:innen, die andere Raumpilot:innen im Weltall mit Geschützen ins Jenseits knallen, nur um dann im SciFi-Insta damit anzugeben.
Mir fiele einfach beim besten Willen kein größeres deutsches Rollenspiel moderner Prägung, abgesehen von den dezidierten Kinderrollenspiele, ein, bei dem die Macher:innen zimperlich mit Gewalt sein sollen.
Hexxen,
Malmsturm und jetzt jüngst
NoReturn... das alles sind brutale Spiele. Und bei
Splittermond,
DSA,
Midgard, what have you, werden auch die Schwerter ausgepackt. Erinnern wir uns an diese jüngst veröffentliche dicke, fette Rollenspielkampagne, die hier mit Begeisterung im Forum aufgenommen wurde? Die spielt im Ersten Weltkrieg!
Deutsche Rollenspiele lehnen sogar, wenn wir das historisch betrachten, eher
mehr in die Richtung einer non-pazifistischen, grimdarken Settingfarbe. Die neue deutsche Endzeit mit
Degenesis und
Engel fielen mir da ein. Oder die deutsche Vorliebe für Krimirollenspiele, die in der Regel mit einem Mord anfangen. Und die deutschen
Shadowrun-Bücher zur ADL, die vor schillerndem Gunporn und gewalttätigen Milieus nur so strotzen.
Ja, es gibt eine kleine Nische von, wie es hier impliziert wird "geisteswissenschaftlichen Rollenspielen mit Erziehungsauftrag". Aber die sind die Nische. Und die sind auch keine deutsche Erfindung. Die meisten erfolgreichen Rollenspiele dieser Kategorie stammen aus den USA und UK. Dort hat diese Bewegung, die sich aus der zweiten bis dritten "Forge-Generation" (for lack of a better term) entwickelt hat, auch ihren Ursprung.
Also, nee, dieser Analyse muss ich entschieden widersprechen. Gewalt ist in über 90% der originär deutschsprachigen Rollenspiele immer eine Lösungsoption. Ulisses bringt ja neuerdings sogar für jede aventurische Region ein eigenes "Sword Porn"-Regelheft raus.
Edit: Und von der pauschalen Aussage, dass gewalttätige Konflikte "alles sind, was Rollenspiel interessant macht", halte ich auch nicht viel. Das gehört aber nicht in den Thread.