Kleine Anmerkung: das mit dem "Ringpanzer sind nutzlos gegen Stiche" halte ich für eine Mär. Man braucht schon wirklich sehr viel Energie, um ein ordentliches (vernietetes) Kettengeflecht zu durchstoßen _und_ dann noch so tief einzudringen, dass es wirklich gefährlich für den Träger wird.
Das Problem mit vielen einschlägigen Videos ist halt - hatten wir iirc auch schonmal in diesem Thread angesprochen - dass die Produzenten für ihre Feldtests halt irgendeine lumpige Billigstrüstung hernehmen, und da ist es dann kein Wunder wenn die Waffen durchkommen.
Wenn schon, dann ist der Sinn von Stichwaffen, dass man damit die ungeschützten Stellen leichter finden und treffen kann.
Das Problem ist halt, einen Modus zu finden der einerseits das Simulationisten-Gen befriedigt ohne andererseits so kompliziert zu sein wie die AD&D-Rüstungsmatrix (die auch gar nicht so viel Mehrwert bietet da ja nur AC-Modifikation ohne weiteren Effekt).
Das klingt doch so ähnlich wie das, was ich hier gegen Ende des Beitrages von den Crawford-Spielen erzählt habe, nur bei den Rüstungen statt bei den Waffen aufgehängt. Oder primär bei den Rüstungen verortet und durch bestimmte Waffen modifiziert.
Ja, das geht tatsächlich so ungefähr in die Richtung. Meinethalben kann man auch die Schadenstypen mit berücksichtigen. Bspw nach dem von dir zitierten Muster könnten dann Piercing-Waffen einen geringen Shock-Wert haben (selbst wenn die Spitze durchstößt macht sie halt mangels tiefer Penetration 1 Punkt Schaden) und Wucht deutlich höher (Keule auf Knochen kann dir selbst durch Ringpanzer den Tag versauen).
(Nun bin ich ja defaultmäßig auf einen D&D-artigen Ansatz gepolt, wo es zB keine Verkrüppelungen gibt sondern nur abstrakte Hitpoints, von daher müsste man hier wohl unterscheiden zwischen einem solchen System und einem, das mehr Grim&Gritty ist.)
Auf der anderen Seite kann man freilich noch einiges mit Waffenproperties machen; da hatten wir ja auch hier schon das eine oder andere angeschnitten. ZB einen "Impact"-Effekt, der den Getroffenen zurück- oder gar umstoßen kann, wenn man nur satt genug trifft, selbst wenn der Angriff an der Plattenrüstung abprallt und keinen direkten Schaden macht.
Mal grob rumgesponnen, mit D20 als Basismechanik:
Gestaffelte Defense
"Touch" - typisch bei Zauberei: der Angreifer muss quasi nur mit der "Aura" Kontakt herstellen, weshalb weder Rüstung noch Schild dagegen hilft, nur reine Beweglichkeit (Dex, Dodge) [und evtl Magie: Deflection]
"Shield" - Touch-Defense erweitert um den Schild, also ob der Gegner es schafft direkten Kontakt zum Körper herzustellen
"Hard" - Shield-Defense erweitert um die Zonen(*), die von harter Panzerung geschützt werden.
"Soft" - Derjenige Prozentualbereich der Fläche, der von flexibler Rüstung wie "Kette" geschützt wird
"Flesh - ungepanzerte Körperteile, Schwachstellen
*) Um jetzt da eine umständliche Trefferzonen-Resolution zu vermeiden, interessiert uns nur die prozentuale Bedeckung. Also etwa, Torso 40%, Arme 20% und so weiter; es geht nicht um die exakte Fläche sondern wie schwer es ist, diesen Bereich zu treffen, wenn der Gegner das verhindern will. Für die klassischen Schwachstellen wie Gesicht, Achseln, Schritt reservieren wir ein paar %. Diese Anteile rechnen wir in Punktwerte um.
Den Shield-Wert müsste man nicht zwingend separat nachhalten, könnte man auch einfach in Hard reinrollen. Ist soweit eigentlich reiner Fluff, dass man im Spiel genau identifizieren kann ob der Angriff jetzt durch den Schild abgewehrt oder am Helm abgerutscht ist. Ich lass ihn jetzt mal der Anschaulichkeit halber stehen, aber wird dann wahrscheinlich in der nächsten Iteration wieder wegrationalisiert.
Mal ein paar grobe Werte aus dem Kettenärmel geschüttelt, bitte nicht auf die Goldwaage legen:
Normannischer Ritter (lange Kette, Nasalhelm, Tropfenschild): Shield 16, Hard 18, Soft 30
Übergangsritter (Kette mit Lentner, Beckenhaube, Dreickschild): Shield 15, Hard 24, Soft 30
"Gotischer" Ritter (Vollplatte, Helm, kein Schild): Shield = N/A, Hard 30, Soft 32
In der Rüstungsliste kann dann ein Rüstungstyp ohne Weiteres sowohl einen Hard- als auch Soft-Bonus liefern. ZB ein über Kette getragener Plattenrock vielleicht sowas wie "Hard +5, Soft +3". Die Werte im Einzelnen gilt es dann noch zu diskutieren; in erster Näherung habe ich einfach mal "abgedeckte Körperfläche in %, geteilt durch 5" genommen.
An der Nomenklatur sollte man vielleicht noch etwas feilen, damit im Spiel-Sprachgebrauch klarer wird was man nun getroffen hat. "Ich habe seine Hard AC getroffen und mache darum Soft-Schaden" ist etwas unintuitiv. Vielleicht den jeweiligen Punkt als "Schwelle"/Threshold bezeichnen.
>>> Exkurs:
Wäre das System nun so austariert, dass sowieso eine 30 der bestmögliche Angriffswurf ist (abseits von Auto-Hit bei einer 20 vielleicht), hätte sich damit also das Thema Grenznutzen eines Schildes bereits wohlfeil gelöst: wenn man mit der Plattenrüstung schon auf 30 kommt, bringt es nichts mit einem Schild nochmal +3 draufzupacken.
Das ist aber eben in einem System mit so starker Progression wie 3.X nicht der Fall, da hier Angriffsboni über die Stufen und mit Ausrüstung selbst ohne jeglichen Cheese und Sonderfähigkeiten schon locker +35 und mehr erreichen, also ACs bis 55 getroffen werden können, während rein die AC ohne besondere Kniffe bis 45 ansteigen kann. (Und eh es jemand sagt; 5E ist mir eindeutig zu weaksauce und ich verabscheue die BA).
Das wäre vllt die Gelegenheit, das eigentliche Würfelsystem von D20 auf sowas wie 3d6 umzustellen; oder eher: "d12+d8" sagt die Theorycraft, weil das den Wertebereich eines d20 fast vollständig erhält und dabei eine recht glockenähnliche Stufenpyramide erzeugt. Aber ich will jetzt nicht zu viele Baustellen gleichzeitig bebaggern.
Also langer Rede kurzer Sinn, selbst wenn wir eine kleinere Progression wählen, werden wir so oder so noch eine Regel brauchen, aus der sich quasi automatisch ergeben soll, dass "Vollplatte + Schild" nicht sinnvoll ist.
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Zurück zu den Defense-Schichten:
- bei (gleich kompetenten) Kontrahenten mit relativ viel Kette am Leib wäre es quasi normal, dass der Kampf in erster Linie über "Schockschaden" entschieden wird, um mal bei Crawfords Normenklatur zu bleiben. Bei zB einem Duell zwischen Normannen und Übergangsritter hätte letzterer durch die Harte Rüstung einen ziemlichen Vorteil, da er einfach mehr Treffer komplett tanken kann und weit weniger Schockschaden nimmt.
- bei Vollplatte mag es erforderlich oder sinnvoll sein, den Gegner erst etwas zu verausgaben (da bräuchten wir eine Ausdauerregel), bis man so einen Vorteil herausspielen kann dass man in den Ringkampf übergeht und den Dolch zückt, statt ewig hin und her zu würfeln bis einer einen Crit bekommt.
--> In Summe spricht wohl schon einiges dafür, so ein Kampfsystem nicht ins 3E-Gerüst zu zwängen, sondern lieber ein neues Regelsystem aufzubauen, das von Grund auf darauf ausgelegt ist solche Späße zu unterstützen. Hmm. Ich schwanke zwischen "Her damit" und "Ogott bloß nicht". xD