Mondstahlsuche (Spoiler für das Abenteuer Mondstahlsuche!)
Timog und Maishi-See (Akira, Takur, Hao)
Ren, Luo und Hao nutzten ihre Zeit in Timog unter anderem, um ihre Kontakte zu in der Stadt lebenden Bekannten und Verwandten zu erneuern. Hao musste freilich feststellen, dass manche ihrer Bekannten sich aus unbekannten Gründen zurückhaltend verhielten, was die junge Unggoy-Priesterin verunsicherte. Allerdings blieb nicht viel Zeit zum Grübeln, da sie sich aufopferungsvoll in die Arbeit des lokalen Unggoy-Tempels einbrachte, der unter anderem in der Gesundheitsfürsorge tätig war und ein Lazarett für Kranke und Verletzte unterhielt. Aufgrund der zahlreichen Kriegsflüchtlinge gab es genug zu tun. Zudem hatte in letzter Zeit die Zahl der geistig verwirrten Einwohner zugenommen. Timog hatte schon immer den Ruf einer „Stadt der verwehten Seelen“ gehabt. Legenden machten dafür einen unter der auf Pfählen errichteten Stadt liegenden Schrein von Yuzui „der in die Seelen kriecht“ verantwortlich. Hatte vielleicht die durch die Aktivitäten des Piraten Jiang Biehe verursachte zeitweilige Zunahme des Nebels etwas mit dieser Entwicklung zu tun?
Ansonsten erschien Timog geschäftig wie früher – umso mehr, da der Handel mit Tsusaka wieder florierte. Luo ließ es sich nicht nehmen, die Verdienste der Abenteurer bei der Bezwingung Biehes herauszustreichen, der mehrere Monate lang den Seeweg nach Tsusaka blockiert hatte.
Es fiel auf, dass die Militärpräsenz in Timog deutlich zugenommen hatte. Man munkelte von einer drohenden Offensive der Truppen von General Wu gegen die Flussdelphin- und die Kranich-Provinz. Neben fürstlichen Truppen waren in Timog zahlreiche Triaden-Söldner wie die „Tigeraugen“ und die „Feuerhornissen“ anzutreffen. Die Söldner waren weder bei den Einwohnern noch bei den fürstlichen Soldaten beliebt. Weniger umstritten war der Besuch eines der kampfstarken und mit mehreren Kanonen bestückten „Eintausend-Li-Schiffs“, einer durch zahlreiche Schaufelräder getriebene gepanzerte Kriegsmaschine aus der benachbarten Flussdelphinprovinz. Das Motiv dieses Besuchs war allerdings unbekannt, da sich die Flussdelphinprovinz im Bürgerkrieg bisher strikt neutral verhalten hatte.
In diese angespannte Lage fiel die Ankunft Akiras und Takurs. Zunächst einmal überbrachte Akira seinen Gefährten Briefe vom Fürstenhof von Tsusaka. In erstaunlich formlosen Ton dankte der Fürst Ren und Luo noch einmal für ihre Rolle bei der Bezwingung des Piraten Jiang Biehe und kam zudem auf die Wünsche zu sprechen, die die Helden ihm gegenüber geäußert hatten:
Ren, die die Hoffnung geäußert hatte, dass der Fürst bezüglich des Bürgerkrieges in Zhoujiang eher Prinzessin Yi statt General Wu oder die Triaden befürworten würde, erhielt die Antwort, dass ihre Worte im Gedächtnis bleiben würden, insbesondere falls die Prinzessin sich selbst an den Fürsten wenden sollte. Allerdings müsse Tsusaka immer zuerst den Willen der Göttlichen Myuriko und den Schutz seiner Einwohner bedenken. Und dies würde manchmal dazu zwingen, einen schwierigen Weg einzuschlagen. Neben diesem nicht sehr ermutigenden Bescheid erhielt Ren ein Empfehlungsschreiben, welches Beamte und Gesandte Kintais bat, der Besitzerin mit Wohlwollen zu begegnen.
Luo, der eine Weissagung seiner Zukunft durch den für Prophezeiungen berühmten Tempel Tsusakas erbeten hatte, erhielt tatsächlich eine Prophezeiung zugesandt. Ihr Inhalt war freilich kryptisch: Die Mönche warnten vor dem Blutvergießen und der Zwietracht, die Luos Heimat bedrohe und in der er und seine Gefährten leicht zwischen die Linien geraten könnten. Gesichter und Namen würden täuschen und hinter einer Maske könne sich Freund und Feind verbergen. Tödlich sei der Kampf der drei Tiergeister. Doch es gäbe andere Mächte, die sich noch nicht in den Krieg eingemischt hätten. Wenn dies geschehe…
Sicherlich meinten sie damit den in Zhoujiang tobenden Bürgerkrieg.
Persönlicher war der zweite Teil der Botschaft, der Luo warnte, dass er einen blutigen Schatz suche. Luo solle sich vor dem Blute Shi Yaos (was „Basilisk“ oder „Schlangendämon“ bedeutete) hüten. Die Spur, der er folge, könne Dinge enthüllen, die besser verborgen bleiben sollten…
Luo bezog die letzten Worte auf seine Nachforschungen zu der Herkunft seines Schwertes „Vipernzahn“. Er ließ sich jedoch nicht entmutigen.
Der an Hao gerichtete Brief war weniger kryptisch. Der Fürst äußerte noch einmal ein Kompliment für Haos rhetorische Fähigkeiten, die er hatte erleben können und schickte ihr ein Buch mit Kintari-Geschichten über den Affenkönig. Hao erkannte schnell, dass in den Sagen das Wirken dieses größten Heiligen der Kirche Unggoys letztendlich immer den Interessen der göttlichen Myurikos entgegenkam. Sie interpretierte das Geschenk als eine Anspielung, war aber nicht beleidigt.
Da Luo und Ren momentan durch ihre eigenen Belange und Nachforschungen abgelenkt waren, besprach Akira erst einmal nur mit Hao den heiklen Auftrag, den er bei seiner Abreise aus Tsusaka erhalten hatte: Er sollte nach dem magischen Wurfspeer Myurikos suchen, der angeblich bei Timog eingeschlagen war.
Die gnomische Affenpriesterin war von der Geschichte von dem Artefakt fasziniert, welches die Göttin gen Zhoujiang geschleudert hatte. Sie äußerte den Wunsch, die Waffe genauer in Augenschein zu nehmen, warnte allerdings auch vor möglichen politischen Komplikationen. Ein solch mächtiges Artefakt könnte das Interesse verschiedener Machtgruppen wecken. Alleine die Tatsache, dass die Gottkaiserin eine Waffe gen Zhoujiang geschleudert hatte, könne sich zu einer politischen Krise entwickeln. Auf was (oder wen?) mochte sie gezielt haben? Akira stimmte Hao zu und spekulierte halb im Spaß, ob die Gottkaiserin vielleicht beschlossen hätte, dass die Grenzen Kintais nach fast 500 Jahren Stagnation einer Erweiterung bedürften. Die Affenpriesterin fand diese Idee wenig amüsant.
Aufgrund der politisch heiklen Natur der Mission und da Akira sich unsicher war, ob die in den Bürgerkrieg in Zhoujiang involvierte Ren nicht eigene Pläne für ein derart mächtiges Artefakt haben könnte, beschloss er, erst einmal auf Hilfe durch Ren und Luo zu verzichten. Der junge Samurai hatte deswegen ein schlechtes Gewissen, aber letzten Endes sah er seine Loyalität nun einmal in erster Linie bei seiner Heimat…
Um Unterstützung zu finden, suchten Hao, Akira und Takur die in Timog gelegene Kintari-Gesandtschaft auf. Sie wurden umgehend von Botschafterin Suguri Hanako und ihrem Ehemann Suguri Kenji empfangen. Offenbar kursierten in Timog bereits Gerüchte über den Speer, obwohl die Botschaft anfangs davon ausgegangen war, dass der Wurfspeer in den Wellen des Maishi-Sees verschwunden sei.
Während Fürstin Liu Luli offiziell den Vorfall ignorierte, hatten sich offenbar schon verschiedene Personen für den Speer zu interessieren begonnen. Namentlich erwähnte die Botschafterin einen Kintari-Samurai namens Rokaku Jun. Dieser stellte auf eigene Faust Nachforschungen an und hatte angeblich kürzlich einen zu redseligen Untergebenen getötet. Die Botschafterin traute dem Mann nicht, der offenbar eigene Ziele verfolgte.
Hanako betonte, dass der Speer unbedingt gefunden werden müsse. Wenn eine der Bürgerkriegsparteien ihn in die Hände bekäme, könne diese ihn als politisches Druckmittel einsetzen oder gar verkaufen, was Kintai und den göttlichen Kranich brüskieren oder eine diplomatische Krise heraufbeschwören würde. Schnelligkeit sei bei der Suche ebenso wichtig wie Diskretion.
Die Helden überlegten, wie sie potentielle Konkurrenten auf eine falsche Fährte locken könnten. Akira schlug vor, das Gerücht zu verbreiten, dass der Speer bereits von der Botschaft gefunden worden sei. Das würde andere Interessenten vielleicht bei ihrer Suche entmutigen. Dies lehnte der Ehemann der Botschafterin allerdings ab, da ein solches Gerücht seine schwangere Frau zu einem Ziel machen könnte.
Weniger riskant erschien es, das Gerücht zu verbreiten, der Speer sei im Schilfmeer heruntergekommen – einem unübersichtlichen Wirrwarr aus Schilf, kleinen Inseln, Schlamm und flachen Wasserarmen nahe Timog. Um das plausibler zu machen, sollte die Botschaft eine „Suchexpedition“ ins Schilfmeer schicken. Hoffentlich würde dies potentielle Konkurrenten ablenken, während die Helden unauffällig weitere Nachforschungen nach dem Wurfspeer anstellten. Man vereinbarte, dass Suguri Kenji und Akira über einen örtlichen Myuriko-Tempel unauffällig Kontakt halten sollten.
Während Akira sich in den „besseren“ Kreisen umhörte, recherchierte Hao bei der einfachen Bevölkerung nach Gerüchten, die auf den Speer und Zeugen seines Einschlages hindeuteten. Zwar wurde schnell deutlich, dass den Helden das Kontaktnetzwerk ihres Gefährten Luo fehlte, doch letztlich wurde Hao fündig. Angeblich hatte eine Fischerin etwas über ein merkwürdiges Objekt oder Wesen erzählt, das auf einer Insel niedergegangen sei.
Weitere Nachforschungen zu dieser Spur brachten den Helden den Namen und die Beschreibung der Fischerin: Hong Ni gehörte zu den Fischvargen, einer am Maishi-See lebenden Unterart der Varge, die bekannt für ihre Schwimmkünste und ihre Kenntnisse der Ufer- und Sumpflandschaften war. Die Suche nach Hong Ni wurde verzögert, als die Helden auf eine jener Unglücklichen stießen, denen Yuzui „der in die Seelen kriecht“ den Verstand geraubt hatte. Auch wenn gerade Takur und Akira von der Begegnung verunsichert waren (Hao hatte bereits Erfahrungen mit diesen Unglücklichen gesammelt), sorgten die Helden dafür, dass die Kranke zu einem Heiler geschafft wurde. Ob man der Zwergin allerdings würde helfen können…
Endlich war die Suche nach Hong Ni erfolgreich. Die fuchsartige Vargin, die wie viele Fisch-Varge Schwimmhäute zwischen Fingern und Zehen aufwies, gab – widerwillig – Auskunft. Sie hatte in der Tat beim Fischen „Etwas“ auf einer Insel niedergehen sehen, was ihr einen ziemlichen Schrecken eingejagt hatte. Da auf der Insel zudem Harpyien hausten, hatte sie von einer Untersuchung abgesehen. Akira schlug Hong Ni vor, die Helden gegen Bezahlung zu der Insel zu fahren (auch um die Vargin so anderen Suchenden zu entziehen).
Dass Akiras Befürchtungen nicht unbegründet waren, zeigte sich, als Takur, der während der Verhandlung außerhalb der Fischerhütte Wache hielt, Alarm gab: Es näherten sich drei Bewaffnete, darunter ein hochgewachsener, muskulöser Schwertalb mit einer zweihändigen Klinge. Offenbar war Rokaku Jun ebenfalls auf die Spur Hon Nis gestoßen.
Es kam zu einer Konfrontation, die in ein Blutvergießen zu eskalieren drohte. Akira war nicht bereit, Jun den Weg frei geben und ihm Hong Ni zu überlassen und Jun wollte auf keinen Fall zurückzustecken.
Rokaku Jun versuchte, die Helden einzuschüchtern, indem er darauf verwies, im Auftrag des mächtigen Daimyo Gankoda Saburo zu handeln. Dieser Fürst gehörte zwar nicht zu einem der großen Kintari-Klans (Zakur, Uome, Suguri, Ranku, Momoku), stellte aber einen wichtigen Machtfaktor an der nordöstlichen Grenze Kintais dar. Er kontrollierte weite und fruchtbare Ländereien in der Nähe von Atasato und gebot über eine große Zahl von Soldaten und Vasallen. Der stolze und willensstarke Fürst war sehr auf seine Unabhängigkeit im Machtspiel der großen Klans bedacht, auch wenn ihm niemand mangelnde Loyalität gegenüber der Gottkaiserin nachsagen konnte. Gerüchten zufolge war er ein entschiedener Expansionist und würde Palitan und das nördliche Umland gerne als Teil des Kranichreiches sehen. Er sah in Myurikos Wurfspeer wohl ein Werkzeug, um Spannungen mit Zhoujiang zu schüren und einen Vorwand für eine militärische Intervention zu schaffen. Angesichts dessen wollte Hao auf keinen Fall, dass die Waffe in die Hände Rokakus geriet. Ihr Heimatland hatte schon genug zu leiden. Ein Krieg mit Kintai…
Akira war zwiegespalten. Eigentlich befürwortete er eine offensivere Außenpolitik Kintais (wenn auch nicht unbedingt gen Zhoujiang). Er konnte die Argumente Rokaku Juns nachvollziehen, der die Bequemlichkeit und Stagnation Kintais kritisierte. Doch da Akira geschworen hatte, den Speer Klan Suguri zu übergeben und weil er Hao nicht in den Rücken fallen wollte, hatte er keine Wahl, als Jun weiter den Weg zu verwehren.
Zu Haos (und seiner eigenen) großen Überraschung konnte Akira Rokaku Jun durch seine geschickte Argumentation dazu bewegen, erst einmal zurückzustecken. Vermutlich schätzte Jun seine Chancen in einem Kampf gegen die drei Helden als ungewiss ein. Außerdem befürchtete er wohl, dass ein Gefecht zu viel Aufsehen erregen würde und wollte nicht, dass andere Parteien bei der Jagd auf den Speer erfolgreich waren, weil Jun und die Abenteurer sich gegenseitig ausschalteten. Im Zweifelsfall bevorzugte er es wohl, dass der Speer durch Akira wieder in Kintari-Hände überging, statt dass er in die Hände einer der Bürgerkriegsparteien Zhoujiangs geriet. Grollend entfernte sich der Samurai deshalb mit der Warnung, dass sich die Helden Feinde gemacht hätten.
Nach dieser spannungsgeladenen Begegnung hatten die Helden Mühe, Hong Ni zu beruhigen (die tatsächlich versuchte, sich schwimmend davonzustehlen). Sie verfluchte den Tag, an dem sie den Speer hatte niedergehen sehen. Die Helden brachten sie in einem sicheren Quartier unter und planten, so schnell wie möglich Hong Nis Geschichte von dem auf der Insel eingeschlagenen Objekt zu überprüfen.
Hao und Akira nutzen den Abend, um an dem Aschefest teilzunehmen, das an die Selbstverbrennung des Phönixgottes Hüengs erinnerte. Das Fest war eindrucksvoll, wenn auch eher besinnlich als ausgelassen und partiell überschattet durch die politischen Fronten des Bürgerkriegs. Immerhin war Hüeng der Schutzpatron des Kaiserhauses.
Takur leistete währenddessen Hog Ni Gesellschaft, der nach dem Zusammenstoß mit Rokaku Jun der Sinn nach Festlichkeiten vergangen war. Takur fand die Vargin attraktiv und wollte sie zudem vor dem möglichen Zugriff anderer Parteien schützen – allerdings auch dem Risiko vorbeugen, dass sie kalte Füße bekam und sich absetzte. Hong Ni fand den rauen Humor des Jaguarkriegers gewöhnungsbedürftig, aber die beiden kamen gut miteinander zurecht.
Um etwaigen Konkurrenten keine Gelegenheit zum Aufholen zu geben, wollten die Helden schon am nächsten Tag aufbrechen. Sie besorgten sich Verpflegung sowie zwei Schleudern (als zusätzliche Vorkehrung gegen die angeblich auf der Insel nistenden Harpyien), hinterließen der Kintari-Botschaft eine Nachricht über ihr weiteres Vorgehen und stachen in See. Der kleine Fischerkahn Hong Nis war mit vier Personen schon sehr gut gefüllt. Die Helden unterstützten die Fischvargin nach Kräften und obwohl keiner von ihnen viel Ahnung von Seefahrt hatte, kamen sie gut voran. Die Fahrt verlief ereignislos, nur einmal wäre das Boot beinahe auf einen im Schlamm versunkenen Baumstamm aufgelaufen.
Gegen späten Nachmittag kam die mangrovenbestandene Insel in Sicht, auf der laut Hong Ni der Wurfspeer Myurikos (oder zumindest „Etwas“) heruntergekommen war. Im Schutze einer kleinen Nachbarinsel spähten die Helden ihr Ziel aus. Schnell erkannten sie, dass Hong Ni bezüglich der Harpyien recht gehabt hatte: mehrere dieser Wesen kreisten in der Luft. Die Helden beschlossen, in der Nacht einen Vorstoß zu wagen, wenn die Ungeheuer hoffentlich schliefen. Bei der Beobachtung fiel außerdem auf, dass die Harpyien immer wieder um einen alten Baum kreisten, dessen Standort sich laut Hong Ni ungefähr mit dem Einschlagort des von ihr beobachteten Objektes deckte.
Im Schutze der Dunkelheit brachte Hong Ni das Boot nahe genug an das Ufer heran, sodass die Helden an Land waten konnten. So leise wie möglich schlichen sie in Richtung des alten Baums, wo sie den Wurfspeer vermuteten. Tatsächlich ließ ein von dem Baum ausgehendes schwaches Leuchten und eine seltsame…Aura in der Luft vermuten, dass das Ziel der Suche in greifbarer Nähe war. Um die Harpyien nicht aufzuschrecken, blieben Hao und Akira zurück, während Takur die letzte Strecke alleine zurücklegte. Jetzt machte sich bezahlt, dass der Jaguarkrieger durch die harte Lebensschule seiner fernen Dschungelheimat gegangen war: fast unsichtbar und beinahe lautlos pirschte er sich an den Baum heran.
Die Helden hatten richtig vermutet: der Wurfspeer Myurikos hatte den Stamm praktisch gespalten und steckte tief im Holz. Die Waffe war von beeindruckender Eleganz und ein silbriges Leuchten ging von ihrer Spitze aus. Vorsichtig lockerte Takur die Waffe und tatsächlich konnte er sie unbemerkt aus dem Holz lösen und sich davonschleichen, ohne dass eine der schlafenden Harpyien erwachte. So leise wie möglich kehrten die Helden zum Ufer der Insel zurück, wo Hong Ni mit dem Boot auf sie wartete.
Obwohl alle übermüdet waren, war an Rast nicht zu denken. Wenn die Harpyien erwachten, würden sie das Verschwinden des Speers bemerken. Die Helden wollten nicht direkt nach Timog zurückfahren, um eventuell sie verfolgende Harpyien – oder in Timog wartende Konkurrenten – zu verwirren und hielten sich bei ihrer Rückfahrt so gut wie möglich im Schutz kleiner Eilande und Inseln.
Tatsächlich hatten sie Glück: auch wenn sie einige Harpyien sichteten, wurde das Boot offenbar nicht bemerkt. Im Schutz einer größeren Insel hatten die Helden dann endlich die Muße, die Weihegabe an Myuriko genauer in Augenschein zu nehmen. Die Spitze der Waffe bestand aus Mondsteinstahl und war wie der kunstvoll gedrechselte Schaft mit anmutig-filigranen Kranich-Gravuren überzogen. Alleine die Waffe auch nur zu berühren, flößte ein Gefühl der Ehrfurcht ein. Wie Takur etwas zweideutig bemerkte, war die Waffe zweifellos einer Göttin würdig (er meinte damit die „lebende Göttin“ seiner Heimatstadt Huatla). Der Jaguarkrieger stellte sich kurz vor, wie viel Ehre und Würde ihm winken könnten, wenn er dieses großartige Geschenk nach Hause bringen würde. Aber er wusste, dass seine Kameraden dem niemals zustimmen würden und dass die Waffe einer anderen „lebenden Gottheit“ – nämlich Myuriko – gebührte. Es fiel ihm dennoch schwer, den Speer aus der Hand zu legen…
Hao bewunderte vor allem die Kunstfertigkeit und Macht des Artefaktes. Sie überlegte immer noch, warum der Göttliche Kranich solch ein prachtvolles Geschenk fortgeschleudert hatte. Sei das eine Warnung oder Botschaft gen Zhoujiang gewesen – oder würde vielleicht ein Fluch auf der Waffe liegen?
Akira, der leichte Hemmungen hatte, eine Waffe zu berühren, die die Göttliche Myuriko in den Händen gehalten hatte, versicherte im Brustton der Überzeugung, dass kein simpler Fluch die Berührung durch den Göttlichen Kranich überstehen würde. Er vermutete in dem Wurf Myurikos eher eine Botschaft. Welchen Wortlaut diese freilich haben mochte…
Nachdem sich die Helden nach der Anstrengung der letzten Tage etwas ausgeruht hatten und die in der Ferne kreisenden Harpyien verschwunden waren, machten sich die Helden auf die letzte Etappe ihrer Fahrt.
Dass ihre Vorsicht nicht unbegründet war, zeigte sich beim Erreichen des Hafens. Von Ferne sichteten die Helden ein Undare (ein elementares Wasserwesen), welches sich zwischen den einlaufenden Fischerbooten herumtrieb. Einen magischen Spion fürchtend, wichen die Helden dem Wesen so gut wie möglich aus und konnten das Elementarwesen in der Tat umgehen. Die zahlreichen Kanäle der auf Pfählen errichteten Stadt ausnutzend, schafften es die Abenteurer bis in die Nähe der Botschaft, wo sie Hong Ni auszahlten und verabschiedeten. Akira überzeugte sie, über die ganze Angelegenheit vorerst Stillschweigen zu bewahren.
Noch war der Wurfspeer Myurikos freilich nicht in Sicherheit, denn den Helden fielen mehrere Bewaffnete auf, die die Umgebung der Kintari-Botschaft aufmerksam beobachteten. Jetzt kam den Helden die gedrängte Bauweise Timogs und das lebhafte Straßenleben zugute: Im Schutze der Passanten konnten sie die Beobachter umgehen und das Tor der Botschaft erreichen, bevor diese einen letzten Versuch unternehmen konnten, den Speer an sich zu bringen. Wie die Abenteurer später erfuhren, war ihr Gegenspieler Chiu Hu, ein Söldner und Schläger mit Triadenverbindungen, der dem Speer wohl auf eigene Faust hinterherjagte.
In der Botschaft wurden die Abenteurer sofort von Botschafterin Suguri Hanako empfangen, der Akira feierlich den Wurfspeer überreichte. Natürlich war die Botschafterin hoch erfreut und sparte nicht mit Lob – zumal die Helden den Wurfspeer ohne größeres Aufsehen oder gar Blutvergießen zurückgebracht hatten, was die diplomatische Beilegung der Angelegenheit erleichtern würde.
Entsprechend großzügig war die Belohnung: Die Helden erhielten nicht nur etliche Lunare, sondern ihnen wurde zudem die Möglichkeit angeboten, sich eine materielle Belohnung aus den Schatzkammern und Werkstätten eines Myuriko-Tempels (etwa des Tempels in Tsusaka) zu wünschen oder in der Gunst von Klan Suguri aufzusteigen. Akira entschied sich für letzteres, hoffte er doch, so sein Ansehen (und damit das seiner Familie) zu erhöhen.
Hao – die sich nicht in die komplizierten Machtkonflikte und Beziehungsnetzwerke der Kintari-Politik verwickeln lassen wollte – entschloss sich für eine handfestere Belohnung. Sie erbat sich Wandelndes Holz, einem kostbaren, aus dem Stamm der gefährlichen Dämmerweiden gewonnenen Rohstoff. Auch Takur folgte einem eher praktischen Ansatz und erfragte Unterstützung bei der Fertigung einer verbesserten Waffe.
In den folgenden Tagen beschäftigten sich die Helden mit ihren jeweils eigenen Projekten. Takur verbrachte noch etwas Zeit mit Hong Ni, da er Gefallen an der sarkastischen Vargin gefunden hatte, was diese erwiderte. Akira hingegen unterstützte die Botschaft bei der Bewachung des Wurfspeers Myurikos. Er befürchtete, dass eine der anderen Interessensgruppen von dem Fund des Speers erfahren und einen Angriff auf die Botschaft versuchen könnte. Seine Aufmerksamkeit wurde allerdings abgelenkt, als er von Luo erfuhr, dass dessen Halbweltkontakte möglicherweise auf eine Spur des verschwundenen Katanas von Akiras Vater gestoßen waren: Angeblich hatte ein rothaariger zwergischer Triadensöldner von einer ähnlich aussehenden Waffe erzählt. Die Spur, die vielleicht zu den Mördern von Akiras Vater führen mochte, war zwar schwach, aber sie war es sicherlich wert, verfolgt zu werden…
In einer ganz anderen Angelegenheit trafen sich Ren und Hao zu einem gemeinsamen Essen. Die Magierin, die aus ihrer Abneigung gegenüber den Triaden und ganz besonders gegenüber General Wu kein großes Geheimnis gemacht hatte, wollte ihrer Weggefährtin reinen Wein einschenken. Sie gab zu, im Bürgerkrieg fest auf Seiten von Prinzessin Yi zu stehen und versuchte die Affenpriesterin von ihrem Standpunkt zu überzeugen.
Tatsächlich fielen ihre Argumente teilweise auf fruchtbaren Boden. Hao stimmte ihr zu, dass General Wus brutale Machtpolitik und wenig durchdachte Reformversuche der schlechteste Weg für Zhoujiang waren. Bezüglich der sehr heterogenen Triaden war Haos Meinung weniger eindeutig. Sie sah die Händler und Kriminellen ganz gewiss nicht an der Spitze des Staates, konnte aber einigen ihrer Argumente für mehr Rechte für Händler und Handwerker und mehr Autonomie für die einzelnen Regionen durchaus etwas abgewinnen. Und was Prinzessin Yi anging, so war diese noch sehr jung und unerfahren…