Es ist 1997 und die Welt ist im Arsch. Die Zivilisation strebt langsam aber unaufhaltsam dem Zusammenbruch entgegen und die meisten Leute sind in eine virtuelle Realität (VR) geflüchtet (für die es komischerweise immer noch Rechenzentren und Strom gibt und offenbar auch wen, der da Inhalte schafft). Von 1975 bis 1984 gab es in den USA einen zweiten Bürgerkrieg, der die Nation gespalten und die Umwelt zerstört hat. Und Wahrheit ist ein Wort, das keine Bedeutung mehr hat.
Der Ort ist Kalifornien. Die Charaktere wollen eine letzte Reise machen. In der echten Welt. Nicht wie sonst via VR-Headset und Drohnen. Sie suchen nach Sinn. Sinn weiter zu existieren. Ein Grund, sich nicht die Kugel zu geben oder wie die anderen alle in der VR zu verlieren. Aufzugeben. Sich dem Schicksal hinzugeben. Im Rauschen unterzugehen.
Die Reise spielt man in mehreren Stops, wo man jeweils Begegnungen in einer oder mehreren Szenen spielt und so etwas über die SCs lernt. Es ist eine persönliche Reise, die die SC verändern wird. Ankommen ist optional. Der Weg ist das Ziel. Es ist ein apokalyptisches Roadmovie als Rollenspiel, an dessen Ende ein Funken Hoffnung liegen kann. Oder eben nicht. Sehr wahrscheinlich nicht.
Charaktere haben die Ressource Hoffnung, die langsam aufgezehrt wird. Wer einen Wurf "strapaziert", muss das mit Hoffnung bezahlen. Ebenso kosten traumatische Erlebnisse Hoffnung. Und die VR macht abhängig, wodurch man Glückspunkte (als weitere Ressource) sammelt. Übersteigen diese die Hoffnung, kann man die VR nicht mehr verlassen. Game over.
Charaktere baut man nach dem üblichen YZE-W6-Pool-System.
Als Archetypen stehen bereit: **Künstler** (du musst etwas erschaffen, und wenn es das letzt ist, was du schaffst), **Verbrecher** (erst war es der Kick, etwas Verbotenes zu tun, dann wurde es Gewohnheit die du nun hasst), **Spinner** (dir wurde das Licht gezeigt und dann weggenommen und nun ist da ein schwarzes Loch, das du füllen willst), **Arzt** (helfen tut gut; aber wem?), **Drone** (du bist die Drone, die Drone bist du), **Ermittler** (dieses scheiß Pflichtgefühl…), **Außenseiter** (du hast nie dazu gehört, und willst es auch nicht, redest du dir ein), **Ausreißer** (es kann – nein darf – doch nicht überall so scheiße sein), Wissenschaftler (du glaubst nicht, du weißt - und das tut so weh), **Veteran** (der Krieg ist die Hölle, sagten sie, aber was ist denn das jetzt?).
Jeder Charakter hat einen Traum. Der Veteran will beispielsweise den Krieg hinter sich lassen können. Frieden finden. Ruhe. Etwas, das die toten Kinder aus der zufällig getroffene Schule wieder gut machen kann. Etwas, das unmöglich ist.
Jeder Charakter hat auch ein Problem. Der Ausreißer sieht beispielsweise in jedem automatisch neue Eltern, auch wenn klar ist, dass sie einen doch wieder im Stich lassen und enttäuschen. Man kennt es und kann doch nichts dagegen tun.
Alle Charaktere sind kaputt.
Das typischer Kampfsystem im Spiel scheint mir daher gar nicht weiter wichtig. Es sind die USA, natürlich gibt es Waffen und Gewalt, aber das ist alles scheißegal. Vorher brechen die Charaktere eh zusammen. Wahrscheinlich schaffen sie's noch nicht einmal, eine Gruppe zu bilden. Und dann sterben die anderen und das nimmt einen dann doch mehr mit als man denkt und zack, schon wieder weniger Hoffnung. Scheiß Leben.
Aber hey, es gibt Alkohol, Drogen oder eine Depression (und 15 andere Effekte), in die man sich dann flüchten kann. Wer jetzt einen Freund hätte, oder auch nur jemanden, mit dem man reden könnte, kommt da vielleicht noch mal raus. Oder die Reise endet eben. Egal. Nur scheiße, dass man nicht ein letztes Mal die VR besucht hat.
Angeblich spürt man da nicht, wenn der Körper stirbt.
Ein schöner Tod.
Ein Vorteil ist übrigens, dass es in der realen Welt recht einsam ist. Drohnen laufen rum. Oder fliegen. Jedenfalls die, die noch nicht kaputt sind. Und die meisten sehen zum schreien komisch aus. Haha. Erinnern ein bisschen an die Helfer von GLaDOS. Und Kuchen gibt es auch keinen.
Die Reise finden in einem Auto statt. Oder einen Bus. Einer Schrottkarre, die irgendeine Macke oder andere zufällige Eigenschaft hat. Gibt es eine Tabelle für. Und man kann Unfälle damit bauen, dafür gibt es extra eine Seite mit Tabellen. Tja, und reparieren kann Fahrzeuge, weil man muss. Sonst kann man nicht reisen.
Vielleicht kann man sogar die Charaktere reparieren.
Und dann haben wir knapp 80 Seiten mit Regeln hinter uns gebracht (was angenehm kurz ist und mir gut gefällt) und können auf den restlichen Seiten des Regelbuchs (das wohl noch dicker als die aktuelle Alpha wird) eine Reise von San Francisco in die Wüste machen.
Für jeden Archetypen (in der Gruppe sollte es jeden nur einmal geben) gibt es persönliche Probleme. Denn z.B. für den Kriminellen ist dies die ultimative Flucht. Wenn er nicht schnell genug ist, kriegen ihn die Cops und mit Glück killen sie ihn. Denn das restliche Leben hinter Gittern verbringen ist noch übler.
Ich sag mal so: Das Spiel liest sich interessant und die Vorstellung, es zu spielen, finde ich auf morbide Weise reizvoll, doch gleichzeitig ist mir das viel zu deprimierend, um darauf wirklich Spielzeit verschwenden zu wollen. Mein Leben ist nicht so bunt und toll, dass ich davon ab und zu eine Auszeit in Dunkelgrauschwarz brauche, sondern im Gegenteil, ich hätte gerne einen Eskapismus in eine schönere Welt. Tales from the Loop ist da mehr mein Geschmack. Selbst "The Walking Dead" kommt mir positiver vor ;-)
Disclaimer: Ich habe mit meiner Beschreibung versucht, die wahrgenommene Stimmung des Settings sinngemäß wiederzugeben. Einfach nur nüchtern die Regeln reproduzieren ist doch langweilig. Natürlich kann man das auch anders spielen.