So, und mit ordentlicher Verzögerung, dann auch noch meine Vision für eine neue Shadowrun-Edition.
Wie vermutlich schon zu befürchten war
: es wird ein Reboot, das sich v.a. den Geist ursprünglichen Version aufnehmen soll, sich aber nur grob am existierenden Regelgerüst orientiert - quasi das Spiel, das man sich vorstellt, wenn man Dodger, Sally Tsung und Ghost Who Walks Inside auf dem ikonischen Elmore-Cover sieht. Effektiv also Retro-Cyberpunk mit moderater Modernisierung.
Gedankliches Vorbild ist die Free League-Edition von Twilight 2K. Auch regelseitig liefert Year Zero Inspiration - dort v.a. die klassische W6-Variante, ggf. mit Ergänzungen um Artefaktwürfel wie bei Forbidden Lands - ebenso allerdings funktionale Konversionen wie Sprawlrunners.
Generell könnte man sagen: das Spiel bekommt die "Free League-Kur" verabreicht. Sprich: es gibt hohe Produktionswerte (entweder der typische Free League Concept Art Style oder hochwertige Schwarzweiß-Illustrationen im Stile der hochwertigen Bilder aus der 1e und 2e), ein maximal mittelkomplexes Trad/Neo-Trad-Regelsystem und eine nicht allzu hohe Publikationsfrequenz.
Zielgruppe sind einerseits Altspieler, die v.a. das Setting mögen bzw. ggf. gute Erinnerungen an Shadowrun von vor 25-35 Jahren (sprich: 1e bis 3e) haben, andererseits Neuspieler, die mit mittelkomplexen Systemen wie D&D5, Call of Cthulhu o.ä. ins Hobby gekommen sind. In beiden Fällen zielt das Ganze vor allem auf Leute ab, die dem Setting und den literarischen Vorlagen etwas abgewinnen können, aber nur bedingt Lust auf Komplexität haben.
Wen die Edition wahrscheinlich nicht abholen wird: Altfans, die Spaß an der höheren Regelkomplexität des Originalsystems haben, oder die speziell die Entwicklungen des Metaplots ab SR4 mögen. Außerdem ist die Annahme, dass ambitionierte Selberbauer und/oder Erzählspieler tendenziell sowieso bei ihren präferierten Systemen bleiben werden.
Regelseitig sind die grundsätzlichen Leitlinien (manches davon hier im Thread schon diskutiert):
- Als Kernspielfokus gelten die drei Bereiche: Missionen, (Leben im) Kiez, Unterschlupf (und Ausbau desselben). Alles, was sich nicht in diese Bereiche einsortiert, ist im Zweifelsfall verzichtbar. Annahme beim Design ist, dass die Gewichtung etwa 2/3 Missionen, 1/3 Rest ist (wobei in der Praxis letztlich jede Gruppe selbst entscheidet, wie sie ihre Schwerpunkte setzt). Es gibt keine harte Abgrenzung der einzelnen Bereiche.
- Missionen sind grundsätzlich unterteilt in die Teilbereiche: Kontaktaufnahme, Informationsbeschaffung, Durchführung, Bezahlung - Schwerpunkt ist die Durchführung der Runs/Missionen; Informationsbeschaffung bleibt wichtig, wird aber stärker abstrahiert
- Solo-Spielbereiche werden rausgekürzt und im Zweifelsfall durch einfache oder komplexe Fertigkeitsproben - Ziel ist, dass die Gruppe grundsätzlich immer gemeinsam agieren kann und niemand über Gebühr warten muss. Das betrifft in erster Linie Matrixaktivitäten, in zweiter aber auch Astralprojektion.
- Generell braucht's eine Mechanik für abstrahiertes Abhandeln von komplexeren Aktivitäten (im Zweifelsfall erstmal andernorts geklaut und anschließend ins System eingebaut)
- Der ganze Waffen- und Ausrüstungsbereich wird ebenfalls ordentlich zusammengekürzt, Zaubersprüche ebenfalls; Zielbereich ist das Abstraktionsniveau von Savage Worlds/Sprawlrunners (also z.B. Leichte Pistole, Schwere Pistole, Maschinengewehr - innerweltliches Modell ist Fluff), ggf. etwas darüber; evtl. kann man sich auch von Twilight 2K ein bisschen was abschauen.
- Bei den Zaubern ist außerdem abzuklopfen, ob man ein Stück weit weggehen kann von der klassischen Fantasyausprägung und dem ganzen einen stärkeren Urban Fantasy-Anstrich geben kann, also z.B. statt Feuerball spontane Selbstentzündung des Ziels, statt Unsichtbarkeit Chamäleon-artiges Verschmelzen mit der Wand im Hintergrund, etc.
- Was Verbrauchsgüter angeht, werden Munitionsvorräte ebenfalls abstrahiert und speziell für Burst und Dauerfeuer braucht's eine Lösung, die exzessives Würfeln und Buchhalten eindämmt; sowas wie Raketen oder Granaten können weiterhin einzeln gezählt werden (davon hat man ja ohnehin typischerweise nicht dutzende)
- Cyberware, Foki und ähnliche Charakterverbesserungen werden über die Charakterprogression abgehandelt; Geld dient vor allem als Schmiermittel für das soziale Gefüge sowie maximal noch für den Ausbau des eigenen Unterschlupfs. Theoretisch wäre ein kompletter Verzicht denkbar, aber wie gerade festgestellt: so ganz ohne Geld fühlt sich für Shadowrun auch nicht ganz richtig an.
- Auf der Archetypenseite wird die Liste mal ordentlich auf "Run-Tauglichkeit" durchgekämmt und ansonsten darauf geachtet, dass unterschiedliche Schwerpunkte vorhanden sind. Relativ sicher dabei sind:
* Messerklaue/Straßensamurai - vercybert und bewaffnet, Leute fürs Grobe
* Schamane - magische Unterstützung mit Fokus auf Geisterbeschwörung, tendenziell eher auf der soziale/intuitiven Seite zuhause
* Magier - magische Unterstützung mit Fokus auf Zauber, tendenziell eher auf der Wissens-/Bildungseite zuhause
* Decker - Fokus ggnüb. SR verschoben auf die Überwindung und Manipulation von technischen Anlegen während des Runs
* Rigger - Fahrzeuge aller Arte, Teamunterstützung über Drohnen und anderes Gerät
- Archetypen werden generell mehr in den Vordergrund gestellt, potentiell (aber noch nicht sicher) Abkehr vom Prioritäten- und Baukastensystem und Ersetzung durch ein anpassbares Klassensystem wie bei Forbidden Lands
- Einige Kernelemente des alten Systems sollen erhalten bleiben:
* Schwerpunktmäßig W6er-Poolsystem (ggf. ergeben für höherwertige Ausrüstung und Cyberware Artefaktwürfel wie in Forbidden Lands Sinn); eher fester als variabler Zielwert und entsprechende Anpassung des Würfelpools (also konzeptionell die SR4-Lösung); Poolgröße sollte typischerweise im mittleren Bereich (3-12 Würfel) sein
* Aktive Verteidigung (tendenziell allerdings alles mit einer vergleichenden Probe abhandeln statt noch ein zweites Mal zu würfeln)
* Zwei Schadenstracks (körperlich, mental)
* Zaubersprüche und Beschwörungen erschöpfen den Zauberwirker - wenn's hart auf hart kommt, blutet auch die Nase
- Voraussichtlich eine Meta-Währung für Re-Rolls & Co., allerdings mit übersichtlicher Buchhaltung und nicht zu viel Punkteschieberei während des Spiels (also grob im Bereich von Savage Worlds Bennies, wenn man diese schwerpunktmäßig zu Beginn der Sitzung auffüllt, oder der Forbidden Lands Willenskraftpunkte); könnte man aus Anknüpfungsgründen "Edge" nennen
- Ausstieg für Spielercharaktere (neben dem eigenen Ableben) entweder Richtung "Szenegröße" (eigene Runnerbar o.ä.) oder mit gut gefülltem Sparkonto auf den Bahamas; dazu entsprechender Progressionstrack
Das war jetzt schon relativ viel Text (@Doc-Byte: Du siehst, das betrifft nicht nur Dich
), daher kürze ich ab hier erstmal ab und liste nur noch die Ideen für die Produktstrategie nur in sehr groben Stichpunkten (fürs Setting gäb's ansonsten auch noch ein bisschen was):
- Startpaket ist die "Seattle Box" - ein Grundregelwerk für Spieler, ein zusätzliches für Spielleiter, außerdem eine Serie von Abenteuern, welche die Spieler mit einigen zentralen Elementen der Spielwelt in Kontakt (typische Runnerviertel in Seattle, Gangs, Ork-Untergrund, Natives aus den NaN) bringen und inhaltlich auch ein oder zwei Runs gegen kleine Außenstellen von Kons bieten
- Zusätzliche Produkte sollen einerseits interessante Locations bieten (national: nähere NaN-Gebiete, Tir Tairngire, internatioal z.B. Berlin, Hong Kong, ...), andererseits unterschiedliche Schwerpunkte setzen (z.B. Punk Lifestyle/Status F in Berlin, Intrigen an den Elfenhöfen, Konflikte innerhalb der NaN); für internationale Locations sollte eine stärkere Einbindung in die lokale Mythenwelt erfolgen.
- Klassische Spielklassenerweiterungen a la "das Rigger-Buch", "das Decker-Buch" fallen weg, aber gerade weil Virtual Reality ein essentieller Teil des klassischen Cyberpunk ist, gehört eine Matrix-Box auf die Roadmap. Selbige sollte die Möglichkeit bieten, dass eine ganze Gruppe sich durch die Matrix bewegt (das eröffnet zudem die Möglichkeit, ein paar fantastischere Elemente einzubringen oder die "Echtwelt" im Setting damit vollzupflastern). Ein Run auf das Zürich-Orbital ist vielleicht ein bisschen arg nah an Neuromancer, aber ggf. ließe sich der Matrix-Teil von Renraku-Shutdown/Brainscan ausbauen.
- Grundsätzliches Ziel aller Produkte ist es, einerseits Spielleiter in die Lage zu versetzen, eigene Runs mit den neuen Spielschwerpunkten vorzubereiten, andererseits aber genug vorgefertigtes Material zu liefern, damit auch Leute mit wenig Zeiten einen guten Startpunkt haben
- Für einige Großthemen (Insektengeister, "echte" AI, ...) sind auch größere Kampagnenbände denkbar; einen festen Meta-Plot gibt es dabei aber nicht