Eine spannende Gelegenheit, die eigene Begriffsdefinition für „Klasse im RPG“ tiefer zu reflektieren
.
Hat mich spontan an das klassische Experiment aus der Allgemeinen Psychologie erinnert, das da fragt: Ab wann wird die Tasse zur Schüssel und umgekehrt (ähnlich
hier).
Generell gilt allerdings für solche Reflektionen, dass kleine und ohnehin unvermeidbare Unschärfen für die Alltagsverwendung von Begriffen i.d.R. irrelevant sind - Grenzfälle sind nun einmal selten.
So, nun mein Senf zu den einzelnen Kriterien:
Ein SC bei der Charaktererschaffung mindestens eine "Klasse" hat. Ja, der Grenzfall hier ist eine Mechanik wie bei DCC, wo Charaktere erst ab Stufe 1 eine Klasse erhalten.
Ein SC bei der Charaktererschaffung höchstens eine "Klasse" hat. Ja, sofern der Charakter mit der untersten Stufe des Systems erschaffen wird.
Ein SC während des Spiels keine weiteren "Klassen" bekommen kann. Nein, Multiclassing ist erlaubt.
Ein SC die "Klasse" nicht wechseln oder ablegen kann. Ja, der Grenzfall sind temporäre Verluste von Klassenfähigkeiten aufgrund der Verletzungen von Moralkodizes (etwa bei Paladinen in älteren D&D Iterationen).
Die "Klasse" ohne weitere Wahlmöglichkeit direkt gewisse Vorteile mitbringt. Ja, das ist für mich das Kernmerkmal einer Klasse – sie ist maßgeblich für deine Fähigkeiten und Fähigkeitslücken.
Die "Klasse" exklusive Vorzüge bietet, die Charaktere ohne die "Klasse" nie bekommen. Ja, zumindest eine Fähigkeit muss nach meiner Definition klassenexklusiv sein.
Die "Klasse" ausschließlich solche exklusiven Vorzüge bietet. Nein.
Man keine "Attribute" abseits der "Klasse" festlegt. Wenn damit gemeint ist, dass Startattribute und ggf. Steigerungen allein durch die Klasse bestimmt werden, dann nein. Diese Antwort gilt auch für die nächsten drei Fragen zu Zaubern, Fertigkeiten, Talenten und sonstigen Fähigkeiten.
Die "Klasse" von der Spieler*in ausgewählt wird. Diese Frage verstehe ich nicht, außer damit ist gemeint, was du spielst, könnte theoretisch auch durch die Spielleitung, Mehrheitsabstimmung in der Gruppe oder einen Zufallsgenerator entschieden werden. In diesem Fall nein.
Die "Klasse" von der Spieler*in frei ausgewählt wird (ohne z.B. irgendwelche Punkte zu bezahlen). Nein, ein Klassensystem darf z.B. Attributswerte oder andere Systemstatistiken, die vor der Klassenwahl festgelegt werden, als Voraussetzungen für bestimmte Klassen definieren.
Alle "Klassen" zumindest laut Regelwerk angeblich gleich gut sind. Das Kriterium finde ich witzig
. Aber nein, balancing ist in klassenbasierten Systemen zwar leichter (siehe PS am Ende meines Beitrags) aber deswegen gelingt es natürlich nicht automatisch und perfektes balancing ist ohnehin aus meiner Sicht ein zwar erstrebenswertes aber dennoch unerreichbares Ideal (zumindest in Güterabwägung mit anderen Designzielen wie Einfachheit oder Vielfalt).
Die "Klassen" Berufe, Tätigkeiten oder Befähigungen darstellen. Ja, wenn darstellen auch mit „beinhalten“ erfüllt ist.
Auch NSCs diese "Klassen" haben können. Nein, es ist zwar nicht meine bevorzugte Lösung aber ein gutes Anliegen, durch Sonderregeln für NSCs die Arbeit der Spielleitung leichter zu machen.
Die "Klassen" auch im Regelwerk Klassen heißen. Nein, die können auch Disziplinen oder sonst wie heißen.
Man in der "Klasse" Stufen aufsteigt. Ja, aber ob der „Machtmesser“ Stufe, Kreis oder sonst wie heißt ist egal. Grenzfall: Systeme, die auf Oneshots ausgelegt sind, brauchen theoretisch, auch wenn sie klassenbasiert sind, keine Möglichkeiten zur (numerischen) Charakterentwicklung.
PS
Ich mag klassenlose Systeme, deshalb ist DuoDecem auch ein klassenloses System im strengen Sinne (selbst Zauberfähigkeiten sind nicht angeboren sondern prinzipiell von jedem erlernbar). Die künstlichen Grenzen, die Klassen ermöglichen, umgehen aber viele Herausforderungen im Systemdesign, die bei klassenlosen Systemen zu beachten sind - balancing ist z.B. mit Klassen viel leichter. Doch diese Herausforderungen lassen sich gut genug lösen und sind aus meiner Sicht allemal die größere Freiheit & Vielfalt bei der Charaktergestaltung wert.