So, nach unserer zweiten Session hier mal ein erster Erfahrungsbericht. Ich bin etwas in Eile, hoffe, es wird brauchbar. Die erste Schwierigkeit ist natürlich, dass es sowohl mein erstes Chat-RPG als auch meine erste Runde Universalis war. Insofern sind vielleicht einige Schwierigkeiten eher dem Kommunikationsmedium als dem Spiel an sich geschuldet. Ich habe versucht, das herauszufiltern.
Universalis unterscheidet sich in seiner Struktur grundsätzlich von allen anderen Rollenspielen, die ich kenne. Charaktere und Erzählgewalt sind einzelnen Personen nur temporär zugeordnet und können jederzeit von anderen Mitspielern übernommen werden. Jeder kann Fakten in die Spielrealität einführen, Szenen setzen und Konflikte beginnen. Ist es noch Rollenspiel? Reine Definitionssache und mir piepegal. Jedenfalls kommt direkte Rede und "schauspielerische" Darstellung auch vor (okay, das letztere im Chat natürlich nicht, aber vom Prinzip her). Das herkömmliche Rollenspiel ermöglicht sicherlich eine stärkere Identifikation mit einem bestimmten Charakter. Auf der anderen Seite kann man mit Universlis jede Art von Geschichte erzählen, während im "klassischen" Rollenspiel bestimmte Dinge deutlich schwerer umzusetzen sind. Eine monumentale Schlacht. Eine Geschichte, in der genau eine Person die Hauptrolle spielt. Oder zwei Personen (klassische Love Story). Oder in der verschiedene Handlungsstränge parallel an verschiedenen Orten spielen (mit unterschiedlich vielen Protagonisten).
Diese ungewohnte Struktur von Universalis eröffnet also viele Möglichkeiten, hat aber auch ihre Tücken:
- Das Spiel erfordert viel Konzentration von den Mitspielern. Man muss versuchen, all die geschaffenen Fakten und auch die "Tenets", die vor dem Spiel gemachten Vorgaben über Setting, Flair, Thematik und Inhalte, die ganze Zeit im Kopf zu behalten und bei der Erzählung zu berücksichtigen. Natürlich muss auch ein SL im "klassischen" Rollenspiel diese Dinge im Kopf behalten, aber das ist einfacher, weil es erstens größtenteils seine eigenen Ideen sind und er sie sich vorher in Ruhe überlegt hat. Bei Universalis hingegen muss man den Input aller Mitspieler aufnehmen, und es kommt ständig etwas neues hinzu.
Nun haben wir es uns in unserer Chat-Runde auch recht schwer gemacht, da wir recht viele "Tenets" gewählt haben, vor allem auch viele, die nicht nur Setting und Flair, sondern auch die Story betrafen. Außerdem hatte Fredi die Idee, die Geschichte als Rückblende zu erzählen, was zwar sehr stylish ist, aber dazu führt, dass man an noch mehr Dinge denken muss. Ich denke daher, dass man hier, wenn man die Geschichte linear erzählt und nur ein paar wenige, setting- und flair-bezogene Tenets wählt, es sich ein bisschen leichter machen kann. Routine ist sicherlich auch ein Faktor, der vieles leichter macht. Trotzdem würde ich immer noch sagen, es erfordert mehr Konzentration als "normales" Rollenspiel.
- Der Ablauf ist stark formalisiert. Durch die Beschränkung der Münzen kann man nicht draufloserzählen, wie man will, sondern muss erst mal überlegen, was man sich leisten kann. Das war gerade für mich schwierig, da ich normalerweise gerne sehr detailreich beschreibe. Andererseits ist das natürlich gerade so gewollt, damit nicht ein Spieler bereits die komplette Szene fertig ausgestaltet, sondern alle ihren Anteil haben. Und wenn man ein bisschen maßvoll rangeht und den Begriff "Color" (als Gegensatz zu "Fakt") weit auslegt, kann man trotzdem noch einigermaßen poetisch beschreiben.
Was allerdings ein Nebeneffekt dieses "Nach-und-nach-Ausgestaltens" ist, ist die Tatsache, dass eine Szene zu ihrem Beginn noch recht farblos und neutral ist, jedenfalls am Anfang des Spiels, wenn noch nicht viele Fakten eingeführt sind. Es sind drei Charaktere anwesend, aber nur einer hat einen Namen und keiner ein Aussehen. Ebenso unscharf ist die Umgebung. Da man sich zwangsläufig irgend ein Bild macht, muss man dieses ständig korrigieren und anpassen, wenn neue Fakten geschaffen werden. In verschärfter Form tritt die beim "Challenge" auf, wenn Fakten sogar nachträglich abgeändert werden. Dadurch ermöglicht Universalis keine so dichte und lebhafte Vorstellung von dem imaginären Geschehen, wie sie bei "klassischem" Rollenspiel möglich ist.
- Man muss die geschaffenen Eigenschaften von Spielkomponenten festhalten, um später bei Konflikten darauf zurückgreifen zu können. Das ist eine Menge Schreibarbeit, und wenn es zum Konflikt kommt, muss man erst mal das Spiel unterbrechen, um die Listen nach hilfreichen Eigenschaften zu durchforsten. Dieses umständliche Procedere scheint mir leider alternativlos und nervt schon ein bisschen. Wobei es im RL wahrscheinlich besser abzuwickeln ist als im Chat, wo man ja nun mal niemandem über die Schulter gucken kann.
Fazit: Universalis ist wirklich mal was ganz anderes. Nachdem ich nach der ersten Sitzung doch noch sehr skeptisch war, hat mir die zweite richtig Spaß gemacht. Ein paar Kleinigkeiten empfinde ich schon als störend, aber diese sind wohl unvermeidlich. Die Alternative wäre allenfalls totales Freeform-Spiel (was sicher nicht die schlechteste Alternative ist). Andererseits bietet da System von Universalis eine recht gut durchdachte Hilfestellung, um sowohl Konflikte als auch eine gleichmäßige Beteiligung aller Mitspieler an der Erzählung zu gewährleisten. Ich kann nur jedem empfehlen, mal einen Blick drauf zu werfen, allein schon um den eigenen Horizont zu erweitern.