Du hast es so gewollt!
Vorweg: Das GNS-Modell ergibt nur Sinn, wenn man es eingebettet in das "Große Modell" betrachtet. Einen noch einigermaßen überschaubaren und sehr guten Artikel über das "Große Modell" findet man
hier (von Ralph Mazza, einem der Autoren von Universalis, Achtung Englisch). GNS selbst wird dort allerdings nur angerissen.
Ich habe ja versprochen, nicht mehr zu lästern. Die Begrifflichkeiten des Big Model sind teilweise recht nützlich, um Dinge auf den Punkt zu bringen, teilweise aber auch irritierend, da manche Begriffe von Nicht-Eingeweihten anders interpretiert werden (z.B. "Credibility" oder "System"). GNS selbst hilft, bestimmte Verhaltensmuster oder Präferenzen mit einem Wort zu umschreiben. Die Unterscheidung der "Creative Agendas" hat ein paar Aspekte des Rollenspiels herausgearbeitet, die vorher vermutlich nicht so differenziert betrachtet wurden. Es ist sicher nützlich, sich über die
möglichen Widersprüche zwischen den verschiedenen GNS-Motivationen klar zu werden.
Der Nutzen von GNS für das tatsächliche Spiel und auch fürs Design von Rollenspielen ist m.E. aber beschränkt. Auf The Forge ist sehr viel die Rede von "GNS-Game-Design" bzw. kohärentem Design, das also konsequent eine bestimmte "Creative Agenda" unterstützt. Das birgt aber ebenso viele Risiken wie Chancen. Es birgt das Risiko, andere Aspekte zu vernachlässigen. Es birgt das Risiko, die möglichen Synergie-Effekte zwischen den unterschiedlichen "Creative Agendas" (CA) abzuschneiden. Es birgt das Risiko, Spielsituationen nicht mehr unter anderen als GNS-Aspekten analysieren zu können (ich merke es schon bei mir selbst, obwohl ich erklärter GNS-Skeptiker bin) - also ein Scheuklappen-Effekt. Dazu gehört auch, dass man sich womöglich unnötiger Weise auf eine bestimmte CA versteift.
Und jetzt erzählt mir bitte nicht wieder, dass es gerade ein Feature von GNS sei, dass man nicht
eine bestimmte CA spielen muss. Das ganze Modell macht doch überhaupt nur Sinn, wenn man die Annahme zugrunde legt, dass "kohärentes Spiel" an einer ganz bestimmten CA ausgerichtet ist. Siehe "Instance of Play" und "Drift". Siehe "GNS Game Design".
Das größte Problem mit GNS ist aber die Narrativismus-Definition. "Story Now" als CA ist ja noch okay. Aber der unbedingte und ausschließliche Bezug auf die Prämisse ist irreführend. Wie Ralph Mazza in seinem Artikel richtig ausgeführt hat, sind Plausibilität und Stimmigkeit auch in narrativistischem Spiel wichtig. Hinzu kommt: Atmosphäre ist wichtig. Die Profilierung von Charakteren ist wichtig. Spannung und Dramatik sind wichtig. Die Konflikte im "Schmelztigel" zu halten ist wichtig. All diese Dinge haben, wenn überhaupt, nur indirekt mit der Prämisse einer Geschichte zu tun. Es ist schlicht falsch, zu sagen, die Geschichte
sei die Prämisse. Das deckt sich weder mit Egri* noch mit anderen Literaturwissenschaftlern. Eine gute Geschichte
hat eine Prämisse, das ja. Aber sie hat mehr als nur das.
Noch wichtiger: Die Prämisse, laut Egri und den meisten anderen, ist die Veränderung der Hauptperson durch einen zentralen Konflikt hin zu einer Lösung. Nicht mehr und nicht weniger. Bei einer fertigen Geschichte ist die Prämisse eine Aussage. Z.B. "Kampf führt zum Sieg". Es ist ein nachvollziehbarer Schritt von Ron Edwards, die Prämisse für das Rollenspiel zu einer Frage umzugestalten, da die Auflösung ja gerade erst durch das Spiel gegeben werden soll. Nur leider funktioniert es so nicht. Die Prämisse ist
keine ethisch-moralische Fragestellung! Das ist das Problem. Dieser Schritt geht zu weit. Es gibt jede Menge hervorragende Geschichten, die sich nicht im Geringsten mit moralischen Fragen auseinander setzen. Egri ist vereinzelt dahingehend interpretiert worden, aber das hat sich zu Recht nicht durchgesetzt.
Egri leitet seine Prämisse von Aristoteles ab, der mal geschrieben hat, in einem Drama müssten die einzelnen Szenen sich als eine Kette von Ursache und Wirkung darstellen, so dass jede Szene wichtig sei, um das Ende zu verstehen. Die Prämisse ist der rote Faden der Geschichte, der die Szenen verbindet. Sie ist der Motor, der die Geschichte in Bewegung hält. Sie ist aber als Werkzeug für Rollenspiel nicht besonders geeignet, da sie bereits die Auflösung des zentralen Konfliktes beinhaltet (die Szenen müssen
für die Auflösung wichtig sein). Keine Auflösung, keine Prämisse. Nimmt man die Auflösung weg, bleibt übrig: Die Veränderung des Protagonisten durch einen zentralen Konflikt. Und genau das sollte auch die Definition von "Story" sein. Nicht dieser ethisch-moralische Schwachsinn.
*Lajos Egri,
The Art of Dramatic Writing, 1946, ein Literaturwissenschaftler, auf den sich Ron Edwards (der Schöpfer von GNS) beruft