Grimm ist ein d20-Setting und wurde unter dem Horizon Label von Fantasy Flight Games veröffentlicht. Das Horizon-Label hat sich, wie wir im Heft erfahren können, auf die Fahne geschrieben immer mal wieder ungewöhnliche D20-Minisettings rauszubringen, die man ganz gut zwischendurch Spielen kann. Wer die D20-Regeln halbwegs kennt, wird mit wohl mit dem Heft alleine spielen können, ansonsten braucht man das D&D-Spielerhandbuch - es sollte aber auch möglich sein mit D20-Modern zu spielen.
Generell wird es darum gehen, das man kindliche Charaktere spielt die in ein Land hineingezogen wurden in denen die Märchen der Gebrüder Grimm auf eine schreckliche Art und Weise wahr sind.
Das Wort "Heft" wurde übrigens mit Bedacht gewählt. Trotz guter Bindung und einem typischen Softcoverumschlag, bleiben von dem 64-Seitigen Softcover nach Abzug von Werbung(3 Seiten), OGL-Lizenz(1 Seite), Credits(1 Seite) und dem Umschlag(2 Seiten) nun mal nicht viel übrig. Das Heft selbst ist in einem Format, das mir für den Amerikanischen Markt üblich scheint, also etwas kürzer als Din A4, dafür ein paar Millimeter breiter.
Das Cover zeigt ein Trio von Kindern das verängstigt durch einen Wald irrt, von dem sich herausstellt das er auf dem Rücken eines riesigen Trolls gewachsen ist. Der Untertitel "Adventures in a world of twisted fairy tales" lässt erst mal vermuten das dort das Rotkäppchen sowie Hänsel und Grätel gemeinsam unterwegs sind, man stellt sich aber auch die Frage wieso der junge Hans ein Kappy trägt? Insgesamt ein schönes und auch sehr stimmungsvolles Bild das wunderbar auf den Rest des Heftes einstimmt.
Der übersichtliche zweispaltige Text, der Rahmen und die vielen, durchgängig guten, Illustrationen verpassen dem Heft ein sehr gutes und sauberes Gesamtbild. Die Illustrationen sind sehr stimmungsvoll, von der handwerklichen Arbeit sind allesamt
wenigstens guter Qualität und eigentlich auch immer passend (Nur die Säbelschwingende Piratenelfe weiß ich nicht einzuordnen).
Das Buch selbst beginnt mit einem kurzen Inhaltsverzeichnis, einer Erklärung was es mit dem Horizon-label auf sich hat und einer Entstehungsgeschichte der Hintergrundwelt:
Wie es scheint, und wie es für dieses Spiel Realität ist, schrieben die Gebrüder Grimm in ihrem Buch keine Märchen nieder, vielmehr war es ihre Aufgabe die Monstrositäten unserer Welt zu bekämpfen. Indem sie die Geschichten, diese sich um diese Monstrositäten ragten, niederschrieben verbannten sie diese von unserer Welt in Welt der Phantasie und auch wenn die Brüder schon lange Tot sind, die Geschöpfe hausen dort noch immer. Unglücklicherweise "stranden" manchmal einige Kinder in einer Märchenwelt die ganz anders aussieht, als Disney sie versprochen hat. Darum, wie Kinder aus der heutigen Zeit dort Überleben oder wie sie nach Hause kommen, werden sich die meisten Kurzkampagnen von Grimm wohl drehen. Abgeschlossen wird dieses Kapitel durch eine Karte die einen Überblick über einen Teil der Grimm-Welt gibt. An dieser kann man schon sehen das die Zeit nicht Spurlos an ihr vorübergeht, denn auch Geschichten die die Gebrüder nicht niedergeschrieben haben, haben mittlerweile ihre Spuren hinterlassen.
Wie schon gesagt, benutzt Grimm die D20-Regeln und dies schlägt sich gleich im ersten Kapitel("Character Archtypes"), das sich mit der Charaktererschaffung beschäftigt, nieder. Hierin finden wir erst mal ein paar notwendige Konventionen und Regeländerungen, etwa das alle SC kleine Menschenkinder sind, Gesinnungen nicht benutzt werden, und die Attribute etwas anders skaliert aber ganz normal ausgewürfelt werden(Soll heißen das ein Kind mit Stärke 10 schwächer wäre als ein Erwachsener mit Stärke 10, aber da keine Erwachsenen vorkommen braucht man eh nicht umrechnen). Nach diese Erklärung will mir Logik der Regelung das Stärke nur mit 2w8 statt mit "4w6 behalte 3w6" ausgewürfelt wird aber nicht ganz einleuchten, Schadet dem System aber auch nicht wirklich.
Verschiedene Rassen stehen nicht zur Wahl die sonst d20-üblichen Klassen, hier Archetypen genannt und die sogenannten Origin-Feats(von denen man einen (aber auch nur einen) zu beginn wählen muss), übernehmen diese Funktion. Die Archetpyen sehen erst mal so aus wie ganz normale Klassen, haben aber noch die neuen Eigenschaften das sie Attribute modifizieren, einen Verteidigungsbonus geben und sich durch sie, zu den Trefferpunkten auch "Imaginationpoints" hinzugesellen(dazu aber später mehr). Außerdem hat jeder Archetyp eine Schwäche die ihn anderweitig einzigartig macht. "Multiclassing" ist nicht möglich.
Als Archetypen stehen zur Verfügung:
Bully(Das Kind das andere Herumschubst um über seine eigentliche Angst hinwegzutäuschen), Dreamer(Das Kind das sich in Tagträume flüchtet), Jock(Das Sportbegeisterte Kind das über den Sport hinweg so manches andere vernachlässigt hat), Nerd(Der Intelligenzbolzen ohne Sportliche oder Soziale Kompetenz), the Normal Kid(Das abgesehen davon das es sich niemals besonders spezialisieren wird als "Redshirt" hinhalten muss), den Outcast(der Außenseiter der allen seinen Mut zusammennehmen muß um mit "Fremden" überhaupts zu reden) und das Popular Kid(Das jedermans Freund sein will und es echt schwer hat Geschenke abzulehnen(eine Eigenschaft die in Grimm echt Gefährlich werden kann)).
Die Sieben Archetypen haben jeweils nur 6 Stufen, sind in ihren besonderen Fähigkeiten und Beschreibungen stimmungsvoll und so archetypisch sie auch sind, verpassen sie ihrem Klischee spätestens am Ende eine interessante Wendung oder setzen noch eines Drauf. So stellt sich beim Normal Kid heraus das er alles andere als normal ist, der Bully begreift letzen Endes das er die anderen viel besser beschützen kann als sie herumzuschubsen und die Tagträumerin verwandelt sich bei vollem Bewusstsein in ihre Traumgestalt.
Wie für D20 üblich ist die Charaktererschaffung mit diesem Kapitel nicht beendet, man muss schon ein wenig in die nächsten Kapitel reinschauen um damit Fertig zu werden.
Das nächste Kapitel ("Skills & Feats") beschäftigt sich mit Fertigkeiten und Talenten. Während viele Fertigkeiten auf den ersten Blick wie umbenannte Fertigkeiten anhören(Survival->Boy Scout Stuff) gibt es auch einige neue die man so wahrscheinlich nicht in anderen Settings zu sehen bekommt("Home Economics" damit die böse Hexe einen erstmal als Haushaltshilfe und nicht als Abendessen ansieht). Generell kann man trotzdem sagen das die Fertigkeitsliste wesentlich kürzer geworden ist, weil viele Fertigkeiten sinnvoll kombiniert worden sind(Etwa Athletics=Climb+Jump+Balance). Diese Kombinationen gefallen eigentlich sehr gut, ich könnte mir vorstellen einiges davon in D&D zu übernehmen, falls ich noch mal die Gelegenheit bekomme eine normale Kampagne zu starten.
Mit Ausnahme von ein paar Feats aus dem Spielerhandbuch sind die meisten dargestellten Feats völlig neu(und jene aus dem Spielerhandbuch werden auch nur erwähnt, nicht näher beschrieben). Die Feats selbst sind schön beschreibend und können dem Charakter oft mehr Tiefe geben als man dies von d20 gewohnt ist. Ein insgesamt sehr kurzes aber nützliches Kapitel.
Das nächste Kapitel("Facing the Darkness") widmet sich so ziemlich allem was einem beim Konfrontieren der Grimm'schen Monstrositäten helfen kann und auch was einem Kind dabei passieren kann wird näher erläutert.
Zu erst Erfahren wir das alle Charaktere anfänglich ein Paket verschiedenster Ausrüstungsgegenstände und einen Fokus erhalten. Man kann sich eines von 6 Paketen aussuchen die allerlei Krimskrams enthalten der für den Charakter von Wert(unter anderem sind in einem Paket z.B. 1w20 Tradingcards enthalten), nichts was augenscheinlich von Wert wäre aber es schmückt den Charakter schön aus. Der Fokus ist schon interessanter.
Der Fokus ist ein "Gegenstand" der dem Charakter besonders lieb ist und in dem sich seine Hoffnungen und Träume bündeln. Abgesehen davon kann der Fokus Effekte Produzieren von denen ein Kind
glauben würde das dieser Gegenstand so etwas tun kann. Es sind zwar recht viele interessante Beispiele gegeben (z.B. ermöglicht das Fernrohr mit der nie gelesenen Aufschrift "4fache Vergrößerung" es bis zu 100 Meilen weit zu sehen) aber der SL und Spieler werden dazu angehalten sich eigene Sachen auszudenken.
Dann folgen Beschreibungen von verschiedensten Waffen(von Bleistiften über Hockeyschlägern bis hin zu Märchenhaften Waffen wie Schwertern findet man eigentlich fast alles) und Rüstungen(Auch hier wieder ein bunter Mischmasch aus Fantasyrüstungen und Dingen die die Kinder von Anfang an haben könnten(etwa eine Footballrüstung)).
Was magische Gegenstände angeht so erfahren wir das es die "normalen" Magischen Gegenstände, wie etwa Schwerter+1, nicht gibt. Stattdessen gibt es nur Einzelstücke ("Gizmos") die sich (abgesehen von ein paar Beispielen) der SL ausdenken oder aus Märchen klauen darf. Außerdem gibt es noch "Crux"-Gegenstände die einem helfen gegen übermächtige Monster zu bestehen(Kreuz und Knoblauch wären z.B. der passende Gegenstand gegen einen Vampir) und natürlich gibt es noch die Zauberstäbe der Feen die aber eigentlich nur
Speicher für "Imaginationpoints" sind (Für diese Rezi und von jetzt an werden sie nur noch IP genannt). Und auch die IP werden hier im Detail erklärt: Zum einen benötigt man die IP um bestimmte Klassenfähigkeiten und Feats zu aktivieren zum anderen kann man damit eigentlich alles tun was sich die Kinder vorstellen können.
Für die Kosten des letzteren gibt es zwar grobe Richtlinien aber letzten Endes ist die Vorstellungskraft des Kindes die einzige Grenze die Gesetzt wird. Die IP gewinnt man durch inspirierende/Heldenhafte Taten und durch das Träumen während des Schlafes zurück.
Es gibt keinen Archetypen in Grim der die Fähigkeit zu zaubern hat. Jedes Kind kann dies erlernen wenn es einen Lehrer oder ein Zauberbuch und ordentlich Zeit findet. Gezaubert wird mit der neuen Fertigkeit "Magic Intuition"(die auch schon im Kapitel davor erwähnt wurde), während eine Begrenzung der Zauber dadurch gegeben wird, das man sie mit IP oder Feenzauberstäben aktiviert.
Der Absatz über Kämpfe ist erfreulich kurz, es wird eigentlich nur auf die Schwierigkeiten der Kinder beim Ringen("Grappling") und des Verschluckens durch Monster eingegangen(und wir alle wissen das das in Märchen ganz anders als in D20 abläuft ;-)).
Ein letzter Abschnitt widmet sich der Verzweifelung welche die Kinder heimsuchen kann wenn diese zu lange alleine sind. Etwas kurz beschrieben aber es wird klar worum es geht und wieso die Verzweiflung nur zuschlägt wenn die Kleinen alleine sind.
Das Nächste Kapitel ("Oh Brave New World") beschäftigt sich mit dem Land und Abenteuern darin. Neben geographischen Eigenheiten und Orten(etwa dem sagenumwobenen Babylon, das einen Ausgang aus diesen Ländern bieten soll) werden auch ein paar "Naturgesetze" erklärt. Unter diese Naturgesetzte fallen unter anderem auch das man Versprechen und Eide nicht brechen darf (aber das haben wir eh schon gewusst) und was für Konsequenzen drohen wenn man dies tut.
Anschließen widmet man sich ein paar grundsätzlichen Begegnungstypen die in Grimm vorkommen könnten.
Der erste Typ dreht sich um "Places of Note" und damit oft verbundenen "Temptations", letztere sind eine Entsprechung zu Fallen, aber statt ihnen auszuweichen, geht es mehr darum ihnen zu widerstehen(kann der Junge z.B. im Wald an Schneewittchens Sarg vorübergehen ohne zu versuchen sie Wachzuküssen? Besser wäre es wahrscheinlich für ihn. All die Toten die dort herum liegen...). Bei der zweiten Begegnungsart geht es einfach um Menschen(oder Wesen die wie solche Aussehen, es kommen ja keine "echten" Erwachsenen vor), in der Dritten Kategorie erwischt es sprechende Tieren und in letzter Kategorie Fantastische Wesen wie z.B. Drachen und Riesen. Dabei wird auf all diese Wesen etwas näher eingegangen welche Rolle sie in Grimm haben sollten oder könnten und wie man sie als SL am besten einsetzt.
Auch hier flossen viele schöne Ideen und bei den Beispielcharakteren macht es wirklich Spaß zu lesen wieso es beim Aschenputtel nicht lang hin war was das "und wenn sie nicht gestorben sind" angeht oder wieso der Große Böse Wolf heutzutage auch mal Hilfreich ist (Jedenfalls wenn ihn der Hunger nicht überwältigt
).
Als letzter Teil bietet ein Anhang Hilfe für den SL wenn es darum geht Abenteuer oder eine Kampagne für Grimm zu entwerfen. Hier geht es zum einen darum was die Grundelemente von Märchen sind und wie man sie in Abenteuer einbaut, aber auch wie man das Märchenhafte in den Fordergrund rückt und wie man das vorhandene "Quellenmaterial" am besten nutzt.
Nach einem kurzem Schlusswort des Autor folgt noch etwas Werbung, der obligatorische Druck der OGL und D20-Lizens und auch wir sind am Schluss dieser Rezension angekommen.
Abschließend kann ich sagen das hier einfach alles, sowohl Stimmungstechnisch als auch vom Layout und von den abgewandelten D20-Regeln, stimmt. Trotz des geringen Umfangs hat FFG eine Menge von Ideen und Inspiration in dieses Produkt gepackt, die ich sonst selbst in Hardcovern mit zig hundert Seiten nicht finde.
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Grimm
Fantasy Flight GamesSoftcover, 64 Seiten, $14.95--
Erste Rezi, Kritik erwünscht