Autor Thema: Wie man narrative Elemente fürs Rollenspiel einsetzen kann  (Gelesen 20901 mal)

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Offline Jestocost

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Nach der sehr interessanten Primetime Adventures Runde auf Hessenstein und dem Konsum von einigen Folgen "Dead like me" und anderen coolen Serien, stelle ich mir die Fragen, wie man das ganze narrativistische Zeugs in der Praxis einsetzen kann.

Eine übergreifende Prämisse für eine Kampagne oder einen Spielabend halte ich für wenig praktikabel. Dass sich aber der aktuelle Plot (und den brauchen wir, um Action, Spannung und Druck zu erzeugen) eine Art Prämisse haben sollte (ein Dilemma oder eine für Menschen relevante Fragestellung) ist jedem klar, der sich einen einfallen lassen muss...

Aber: Die Handlung einer Geschichte offenbart sich in den Konflikten, die sie besitzt, bzw. die die Protagonisten durchlaufen bzw. bestehen müssen.  Diese Konflikte können durch den Plot bereitgestellt (oder verschlimmert) werden oder aber durch die Spieler selbst, die ihren Charakteren Probleme stellen, an denen sie wachsen sollen.

Im (normalen) Rollenspiel kommen die Konflikte entweder vom SL oder über den SL aus der Hintergrundgeschichte. Eine charakterliche Entwicklung im Rahmen des Spielabends sowie über den Lauf der Kampagne hinweg, ist aber meist nicht vorgesehen.

Aber warum denn nicht? Als guter Spielleiter mache ich mir Gedanken, was am Spielabend passieren soll. Warum soll ich mir nicht auch die Frage stellen, wie der Charakter sich wohl entwickeln könnte. Ich brauche dazu nicht mal Entscheidungen, sondern "Schlachtfelder", Situationen in denen der Charakter sich entscheiden muss, und in denen diese Entscheidung auch Konsequenzen hat (Zu jemandem nett zu sein ist einfach. Aber zu seinem größten Feind nett zu sein, obwohl dadurch das Leben von Freunden gefährdet sein könnte, ist bedeutender und sagt etwas über einen Charakter aus).

Interessanterweise findet ja nebenbei schon jetzt charakterliche Entwicklung im Rollenspiel statt (und nicht nur über XP) - einfach, weil man als Spieler Entscheidungen unter Druck fallen muss. Wird mein Charakter zum Tugendbold, Verräter, Prahlhans oder Feigling - oft weiß man das als Spieler bei der Erschaffung seines Charakter noch nicht. Aber zwei, drei Spielabende später, hat es sich dann entschieden... Vielleicht sogar durch Zufall.

Aber sollte diese charakterliche Entwicklung nicht mehr ins Spielzentrum gestellt werden, anstatt dem Zufall überlassen zu werden? Wie die Lösung genau aussieht, weiß ich auch noch nicht...

Aber sich zu überlegen, wo der Charakter anfängt, wo er hinkommen will, wer er ist und zu wem er werden könnte, wäre schon ein Anfang... Und wenn der Spielleiter dies in sein Abenteuer mit hinein nimmt, wäre schon ein Anfang gemacht.
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Ein

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Re: Wie man narrative Elemente fürs Rollenspiel einsetzen kann
« Antwort #1 am: 16.02.2005 | 15:13 »
Zitat
Aber sich zu überlegen, wo der Charakter anfängt, wo er hinkommen will, wer er ist und zu wem er werden könnte, wäre schon ein Anfang... Und wenn der Spielleiter dies in sein Abenteuer mit hinein nimmt, wäre schon ein Anfang gemacht.

Ich bevorzuge es genau umgekehrt. Wenn wir einen Spielleiter im Spiel haben, dann soll der auch seinen Spaß haben. Da heißt, dann für mich, dass der Spielleiter, die Spieler vor Entscheidungen stellen darf, die diese nicht erwartet haben. Das kann auf dem Hintergrund oder der momentanen Situation des Charakters fußen, muss aber nicht. Im wirklichen Leben sind die interessantesten und schwierigsten Wendungen doch auch meistens die vollkommen unerwarteten.

Offline Lord Verminaard

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Re: Wie man narrative Elemente fürs Rollenspiel einsetzen kann
« Antwort #2 am: 16.02.2005 | 15:22 »
Ich sehe es eher wie Jesto. Wobei es auch Charakterentwicklung ohne Konflikt und auch Konflikt ohne Charakterentwicklung geben kann, und beides hat ebenfalls seinen Reiz. Nur ist's dann wohl kein Narrativismus mehr. Oder?

Am besten kann man dieses "Narrenzeugs" natürlich nutzen, wenn man ein komplett darauf zugeschnittenes Regelwerk wie eben Primetime Adventures oder Dogs in the Vineyard verwendet. The Pool würde ich hier nicht unbedingt aufzählen, da es sehr frei ist und nicht von sich aus auf Konflikte und Charakterentwicklung hinwirkt. Aber es hat, genau wie die vorgenannten Spiele, die Eigenschaft, dass es auf andere Dinge wie Simulation der "Naturgesetze" oder Wargame-Elemente komplett verzichtet.

Ich denke allerdings, dass man auf diese Dinge gar nicht verzichten muss, um interessante Charakterentwicklung und Konflikte für das Spiel zu nutzen. Man kann auch beides haben. Dann muss man den Persönlichkeits-Kram allerdings ohne große Hilfestellung vom System erledigen, jedenfalls in den meisten "klassischen" Systemen. Aber hey, das hat uns noch nie aufgehalten. Inzwischen gibt es ja auch Hybriden wie The Riddle of Steel, die beides vereinen.

Wichtig ist in jedem Fall das Input der Spieler. Schon bei der Charaktererschaffung müssen interessante Konflikte und Entwicklungspotentiale in seiner Situation und Persönlichkeit angelegt sein. An dieser Stelle auch noch mal der Hinweis: Entwicklung muss nicht immer gleich heißen, dass sich das Weltbild oder das Selbstbild des Charakters grundlegend ändert. Die Entwicklung kann auch darin liegen, dass er von seinen Mitmenschen anders wahrgenommen wird, dass er ein für ihn persönlich wichtiges Ziel erreicht und sich nun neu orientieren muss, usw.
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Offline Fredi der Elch

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Re: Wie man narrative Elemente fürs Rollenspiel einsetzen kann
« Antwort #3 am: 16.02.2005 | 16:22 »
Wow. Tim, du ... Wow!  :o Der coolste Post zu Narrativismus evarr! :D Das fasst alle Überlegungen besser zusammen als ich das schreiben könnte... Ich geb mal für 2 Cent Senf dazu.

Wir hatten das ja schon mal mit der Charakterentwicklung. Im "klassischen" Rollenspiel ist sie tatsächlich oft mit der Hintergrundgeschichte beendet, oder wie du anmerkst nach den erszen 2-3 Sitzungen hat der Spieler seine "Rolle" gefunden und gut is. Was ich (ebenfalls?) nicht besonders wünschenswert finde.
Für mich gehört tatsächlich zu einer guten Geschichte Charakterentwicklung durch Konflikt. Oder wie du sagtest:
Ich brauche dazu nicht mal Entscheidungen, sondern "Schlachtfelder", Situationen in denen der Charakter sich entscheiden muss, und in denen diese Entscheidung auch Konsequenzen hat (Zu jemandem nett zu sein ist einfach. Aber zu seinem größten Feind nett zu sein, obwohl dadurch das Leben von Freunden gefährdet sein könnte, ist bedeutender und sagt etwas über einen Charakter aus).
Ich persönlich brauche Sitautionen, in denen ich als Spieler entwas über meinen Charakter aussagen kann. Und am Besten sollte diese Aussage an eine Entwicklung des Charakters geknüpft sein. Ist nur meine Meinung.

Wie kriege ich jetzt aber sowas in meine Sitzung rein (und btw: ich finde schon, dass man eine durchgehende Prämisse für eine Kampagne machen kann, auch wenn du Recht hast und man sie natürlich nicht machen muss)?
Geschichte kommt im Rollenspiel aus einer der drei Quellen:
- SL
- Spieler
- System
Irgendwer von den dreien muss dazu was beitragen. Höchstwahrscheinlich alle drei in unterschiedlichen Mengen.
Im klassischen Rollenspiel liegt die Last fast ausschließlich auf den Schultern des SL. Er macht sich die Gedanken, die Spieler wenig und das System trägt quasi Nichts dazu bei. Für sinnvoll halte ich deswegen den Ansatz, diese Last auf mehrere Schultern zu verteilen, wenn man oft, viel und gute Story haben will.
Du hast es (und Vermi auch) ja schon betont: wichtig ist hierbei der Input der Spieler. wenn die sich zu Anfang schon mal Gedanken machen, um was es so ungefähr gehen soll, nehmen sie dem SL viel Arbeit ab. Beispiel PtA: durch die Issue und die Beziehungen geben die Spieler an, worum sich die Geschichte ihres protagonisten drehen soll. Der SL muss es nur noch umsetzen. Und das ist etwas, dass man (völlig unabhängig vom System) auch in anderen Spielen machen kann.
Als zweites (und da hat Vermi Recht) kann das System helfen. Es kann den Ablauf der Geschichte strukturieren usw. Bei PtA ist das z.B. Screen Presence oder die Art, in der die Szenen erarbeitet werden.

Jetzt hab ich irgendwie nur Sachen wiederholt, die andere schon gesagt haben... Was war jetzt nochmal das Ziel des Threads?
Zitat
Aber sollte diese charakterliche Entwicklung nicht mehr ins Spielzentrum gestellt werden, anstatt dem Zufall überlassen zu werden? Wie die Lösung genau aussieht, weiß ich auch noch nicht...
Ah ja. Ab mit der Charakterentwicklung ins Spielzentrum. Bin ich sehr, sehr dafür! :) Wie? Tja. Ich persönlich halte inzwischen PtA für ein ziemliches "Allheilmittel". ;) Man nehme sich ein paar (nicht zu viele) Leute, die gerne Fernsehserien schauen. Man spielt mit ihnen einmal PtA. Dann haben sie (hoffentlich) irgendwie verstanden, worum es geht. Denn ich vermute mal, dass eine Runde PtA mehr Informationsgehalt hat, als alle GNS-Threads hier im Forum zusammen. ;) Und dann sind die Leute vielleicht in der Lage, solche Konzepte wie "Issue" oder Charakterentwicklung auch in anderen Rollenspielen umzusetzen. Hm, naja, ist ein frommer Wunsch... :)
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Teclador

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Re: Wie man narrative Elemente fürs Rollenspiel einsetzen kann
« Antwort #4 am: 16.02.2005 | 17:36 »
@Fredi: Potztausend, das hört sich ja nach einem Wunderwekr von einem System an. Man spielt einmal und dann versteht man wirklich GNS?

Offline Lord Verminaard

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Re: Wie man narrative Elemente fürs Rollenspiel einsetzen kann
« Antwort #5 am: 16.02.2005 | 17:38 »
Nee, aber man versteht narrativistisches Spiel. (Solange man es nicht zu genau wissen will. ;))
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Offline Fredi der Elch

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Re: Wie man narrative Elemente fürs Rollenspiel einsetzen kann
« Antwort #6 am: 16.02.2005 | 17:47 »
Nee, aber man versteht narrativistisches Spiel.
Jenau.
Ich denke man unter Umständen mehr verstanden als nach den GNS-Threads zu Narrativismus und was das ist. Viele der Widerstände gegen GNS kommen eben daher, dass die nicht leicht zu verstehen ist und so unglaublich theoretisch. Und wenn man es dann mal wirklich spielt, fallen so manchem die Schuppen von den Augen.
Frag Tinka. Sie mag zwar Narrativismus nicht für das Beste Ding Evarr halten (so wie ich ;) ) und es mag nicht 100% ihr Stil sein, aber ich denke, sie hat durch die Runde PtA einen groben Eindruck davon gewonnen, was Nar bedeutet. Auf jeden Fall mehr Eindruck als durch die Threads. :)

Ein Spiel sagt da tatsächlich mehr also 1000 Worte... :)
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Zitat von: 1of3
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Teclador

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Re: Wie man narrative Elemente fürs Rollenspiel einsetzen kann
« Antwort #7 am: 16.02.2005 | 17:52 »
Aha....und ich werde nicht verhauen, wenn ich zugebe bei meinen eigenen Gruppen Würfelergebnisse zu verdrehen, oder dem "Drift" zu unterliegen? ;)

Offline Fredi der Elch

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Re: Wie man narrative Elemente fürs Rollenspiel einsetzen kann
« Antwort #8 am: 16.02.2005 | 17:55 »
und ich werde nicht verhauen, wenn ich zugebe bei meinen eigenen Gruppen Würfelergebnisse zu verdrehen, oder dem "Drift" zu unterliegen?
Doch, klar! Du glaubst doch wohl nicht, dass du mit sowas durchkommst! Vermi haben wir wegen des Drifts auch schon böse zugerichtet. Schau dir nur seinen Avatar an...  ~;D
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Zitat von: 1of3
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Preacher

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Re: Wie man narrative Elemente fürs Rollenspiel einsetzen kann
« Antwort #9 am: 16.02.2005 | 18:00 »
Auch auf die Gefahr hin, dazustehen wie der letzte Depp:

Was ist Drift denn eigentlich? Ich nehme mal nicht an, daß es was mit Segeln zu tun hat, oder?

Offline Lord Verminaard

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Re: Wie man narrative Elemente fürs Rollenspiel einsetzen kann
« Antwort #10 am: 16.02.2005 | 18:26 »
Zitat von: Ron Edwards
Changing from one Creative Agenda to another, or from the lack of shared Creative Agenda to a specific one, during play, typically through changing the System. In observational terms, often marked by openly deciding to ignore or alter the use of a given rule.

An weiteren Erklärungen versuche ich mich lieber nicht, ich verstehe ja immer alles falsch... ;)
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Preacher

  • Gast
Re: Wie man narrative Elemente fürs Rollenspiel einsetzen kann
« Antwort #11 am: 16.02.2005 | 18:31 »
Aha. Danke.

Da kann ich nun aber gar nichts schlimmes dran finden. Ich meine, wenn ich beim Spiel feststelle, daß eine Regel Fuppes ist, dann tret ich sie in die Tonne. So einfach ist das ;)

Damit wollt ich nun aber keine Diskussion auslösen. Danke für die Erklärung, weiter im Thema ;)

Ein

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Re: Wie man narrative Elemente fürs Rollenspiel einsetzen kann
« Antwort #12 am: 18.02.2005 | 11:45 »
So, ich habe mich damit noch einmal in Ruhe auseinandergesetzt. Artikel gewälzt, vorallem solche von der Konkurrenz (dem Film). Was wir brauchen um narrative Elemente ins Spiel zu bringen, ist eine Story und Charaktere. Allerdings sollte an beide gewisse Ansprüche gestellt werden.

Story:
Die Story muss keinen Spannungsbogen haben, dennoch arbeitet sie auf ein Ziel hin: die Charakterentwicklung.

Desweiteren spreche ich mich hier bewusst gegen DAGs aus. Denn kollektive Geschichten sind schlicht inkonsistenter als Geschichten, die von einem einzelnen geplant und dann nur angepasst werden. Und gerade solche Inkonsistenten sind es, die die Charakterentwicklung behindern oder sogar in Frage stellen und auch eine gute Story verhindern (es geht hier immerhin um narrative Elemente).

Charaktere:
Die Charaktere sollten Motivationen haben, die sie alle an einen "Ort" fesseln.

Denkbar wäre der typische Apartmentblock, wie wir ihn aus Friends kennen, aber ich bin mittlerweile zu dem Schluss gekommen, dass die perfekte Wahl dafür die Strasse ist. Wenn wir als Setting einen Road Movie zugrunde legen, haben wir einen gerade zu optimale Mischung des klassischen Party-Prinzips und eines narrativ sehr starken "Genres".

Das sollte einen Appeal haben, der auch den typischen Rollenspieler reizt.

Um das kurz zu erläutern im Road Movie geht es um Menschen, die sich nach utopischer Freiheit sehnen. Dieses Freiheitsbedürfnis treibt sie dazu ihre Vergangenheit zurück zu lassen und "nach Westen" zu gehen, immer in Richtung einer Utopie. Allerdings hat diese ganze Geschichte natürlich einige Haken: Die Strasse ist rau und gefährlich. Man hat keine Wurzeln und stattdessen nur die Last seiner Vergangenheit auf den Schultern. Je weiter man reist, desto gefährlicher wird und anhand dieser Gefährlichkeit entwickeln sie die Charaktere, denn nur die Starken überleben auf der Strasse.

Am Ende der Geschichte errreichen die Charaktere (evtl.) ihr Utopia. Doch leider stellt sich heraus, dass es aus der Ferne alles viel besser aussah, als es aus der Nähe betrachtet ist. Was bleibt ist die Entwicklung, die die Charaktere gemacht haben, die Erfahrungen, die sie auf der Strasse gesammelt haben, und die Erkenntnis, dass man noch nicht weit genug gereist ist oder dass das Zuhause immer noch das beste ist (à la Wizard of Oz).

Wie setzt man das um?

Alles dreht sich um einen Plot. Der SL konfrontiert die Charaktere mit immer größeren Gefahren und wirft sie in Konfliktsituationen, in denen sie sich entscheiden müssen. Ich denke man braucht dafür alltägliche Charaktere, denn der typische Abenteurer ist bereits das Resultat der Entwicklung, und man braucht natürliche Spieler, die an Charakterentwicklung interessiert sind.

Meiner Meinung kann man aber technisch nichts machen, das für eine gute Charakterentwicklung sorgt. Sowas kann man halt nicht erzwingen, sondern nur lenken, und die Lenkung kommt durch die Geschichte, nicht durch irgendeinen Mechanismus (ebenso wenig wie halt hochstilisierte Filme automatisch gute Filme sind).

wjassula

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Re: Wie man narrative Elemente fürs Rollenspiel einsetzen kann
« Antwort #13 am: 19.02.2005 | 14:00 »
Ich möchte deinem letzten Punkt widersprechen, Ein, weil ich glaube, dass man durchaus Mechanismen braucht, die Konflikte provozieren und auch bewusst machen.

Um mal bei dem Beispiel mit dem Roadmovie zu bleiben: Das ist ja eigentlich das Urbild des Fantasy-Rollenspiels. Die Helden brechen aus den gewohnten Verhältnissen einer peseudomittelalterlichen Welt aus, ziehen auf Abenteuer aus und leben ihre Individualität in einer Welt, in die Individualität nicht kennt. Bei jedem zweiten Fantasy-Charakter steht ja im Hintergrund, dass ihm das heimatliche Dorf zu eng wurde und er deshalb das Abenteuer suchte. Nur: Genau dieser Konflikt - nämlich das Individuum gegen die Enge der Welt- taucht im Spiel meist nicht ausdrücklich auf. Das Spiel besteht zwar aus Konflikten (Monsterschlachten, Prinzessinnenretten), die sich so nicht ergeben hätten, wenn dieser Über-Konflikt nicht im Hintergrund liegen würde, aber wenn man die Spielenden fragen würde, was das Thema des Spiels ist, würden sie sagen: Monsterschlachten und Prinzessinnenretten, nicht "Ich gegen die Welt".

Das heisst also: Die Spielenden als Autoren müssen gar nicht automatisch alle Konflikte ausagieren, die zu den Genrekonventionen gehören. Ein Roadmovie spielen heisst noch nicht, auch die Prämisse dieses Genres auszuspielen. Um mal neben dem Filmvergleich auch den Vergleich mit der Literatur zu ziehen: Genau so, wie Autoren ihre Texte nie vollständig kontrollieren können, und immer mit Generes arbeiten, die mehr Bedeutung mitschleppen, als sie wissen, arbeiten auch Rollenspieler mit vorgegebenen Genres, deren Bedingungen gar nicht immer alle im Spiel auftauchen.

Narrative Konflikte fürs Spiel fruchtbar zu machen, heisst doch, das man Regelnmechanismen entwickelt, die den Spielenden ermöglichen, zwischen Immersion in die Charakterperspektive und der Autorperspektive zu wechseln, die nicht das Spiel betrachtet, sondern das Genre, den Rahmen, in dem das Spiel stattfindet.



Ein

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Re: Wie man narrative Elemente fürs Rollenspiel einsetzen kann
« Antwort #14 am: 19.02.2005 | 15:22 »
Zitat
Narrative Konflikte fürs Spiel fruchtbar zu machen, heisst doch, das man Regelnmechanismen entwickelt, die den Spielenden ermöglichen, zwischen Immersion in die Charakterperspektive und der Autorperspektive zu wechseln, die nicht das Spiel betrachtet, sondern das Genre, den Rahmen, in dem das Spiel stattfindet.

Nun, ich bin mir weder sicher, dass solche Regelmechanismen wirklich funktionieren können, noch wie sie denn in der Praxis aussehen sollten. Weiterhin bezweifel ich desweiteren, dass über der Wechsel in die Autorenperspektive an sich überhaupt irgendeinen positiven Nutzen für das Spiel bringt. Meinen bisherigen Erfahrungen nach eher nicht, was für mich außerdem auch immer noch für die Relevanz des SLs spricht, die auch nach 15 Jahren Player Empowerment (wie immer man es jetzt auch grade nennen möchte) immer noch nicht aus der Welt geräumt ist.

Offline Bitpicker

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Re: Wie man narrative Elemente fürs Rollenspiel einsetzen kann
« Antwort #15 am: 21.02.2005 | 15:59 »
Ich bin immer wieder aufs Neue verwirrt, wenn der Begriff Narrativismus irgendwo auftaucht. Gerade wenn ich mich daran gewöhnt habe, dass ich wohl doch kein Narrativist bin, weil ich das Spielen einer Rolle und nicht das kollektive Erschaffen einer Geschichte als Zweck des Spiels definiere, kommt einer und nennt etwas Narrativismus, was Fredi gefällt und ich schon so mache.

Diese Art von Charakterentwicklung, wie Tim sie hier beschreibt, kann ich haben, ohne dazu ein System zu verwenden, das so etwas in Regeln kleidet - da würde ich Ein zustimmen. Ich kann es sogar machen, wenn ich völlig regelfrei spiele. Ich kann mir zwar vorstellen, dass es Regelsysteme geben mag, die es mehr erzwingen oder in der Simulation der Realität des Charakters durch Werte festhalten (der Unterschied zwischen einem bloßen 'du entwickelst Xenophobie' und 'du entwickelst Xenophobie wegen all der failed notches'), aber nötig ist das nicht.

Bloß hatte ich mich an den Umstand gewöhnt, dass Narrativismus einen Fokus auf das Konstruieren einer Geschichte legt, dass narrativistisches Spiel also Mechanismen bereitstellt, die nichts mit der Darstellung einer Rolle und alles mit der Erschaffung und Veränderung von Plot-Elementen zu tun haben. Das, was ich in meiner Sig als Erzählspiel schmähe.

Was Tim gleich zu Anfang als Prämisse ablehnt, ist doch das vorherige Absprechen solcher Dinge wie 'lasst uns austesten, wie wir uns unter dem Druck, Unschuldige umzubringen, verhalten', oder vertue ich mich da?

Irgendwie sehe ich nicht, was Charakter-Veränderung mit Narrativismus zu tun hat - für mich ist das genau so auch Simulation der Realität, wenn ich erwarte, dass ein Spieler abschätzt, wie sein Charakter real mit einer Situation umgehen würde. Am ehesten passt das vielleicht noch zum Begriff des Storytelling, wie ihn WW vewendet, und damit zu einem literarischen Herangehen an den Stoff - weil die Veränderung eines Charakters eines der Grundmotive der Literatur ist, kann es auch ein Motiv im Rollenspiel sein. Es ist sogar ganz zentral eben Rollen-Spiel, denn die Veränderung des Charakters ist doch Rollen-Spiel par excellence.

Robin
« Letzte Änderung: 21.02.2005 | 16:02 von Bitpicker »
Wie heißt das Zauberwort? -- sudo

(Avatar von brunocb, http://tux.crystalxp.net/)

Offline Jestocost

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Re: Wie man narrative Elemente fürs Rollenspiel einsetzen kann
« Antwort #16 am: 21.02.2005 | 16:42 »
Ich denke, wir sollten uns nicht zu sehr an den Labels aufhängen: Von der Theorie her kommen die 3 Aspekte in unterschiedlicher Gewichtung bei jedem Rollenspiel irgendwie vor: Und ich habe auch bei Primetime Adventures gamistische Momente, wenn es darum geht, aufzutrumpfen, damit man ein paar Fanmail-Würfel mehr bekommt...

Aber mittels der Prämisse, dem Kicker und den Bangs stellt narrativistisches Spiel die Charakterentwicklung bewusst in den Mittelpunkt. Da in den meisten Spielen dieser Art ja am Anfang nur die Charaktere exisitieren und die Welt erst nach und nach gebaut wird, bleibt einem nichts anderes übrig, als das Spiel an den Charakteren festzumachen.

Wie ich kein System fürs Rollenspiel brauche (bzw. wie auch das System bei vielen Rollenspielern nach und nach in den Hintergrund tritt), so braucht 'man' kein System für das Integrieren von narrativen Elementen ins Spiel, da viele Spieler so etwas ganz natürlich entwickeln (Zuerst: Ich räche mich an dem, koste es, was es wolle... Später: Jetzt ist mir auch klar, dass der nicht anders konnte, als gegen mich vorzugehen)

Wogegen du dich beim Narrativismus sträubst (und ich mich manchmal auch), ist dieses vom Spielerlebnis abgetrennte Entwickeln eines Plots, das bewusste Aufbrechen der Spielillusion und das Annehmen eines anderen Erzähler-Stances.

Ich glaube aber, dass wir während des immersiven, meiner Meinung auch simulationistischen Spiels uns (mehr oder minder) unbewusst an Erzählkonventionen orientieren, die wir aus der persönlichen Erfahrung, dem Genre oder von Aristoteles übernehmen. Und ich möchte wetten, dass die richtig guten Rollenspielerlebnisse die waren, bei dem das Spiel, die Immersion und die Konfliktsituation zu einer beeindruckenden Einheit verschmolzen sind: Jene Momente, an denen man sagt, dass sich der Charakter wirklich gebildet oder verändert hat.

Aber ich finde, dass die Aufgabe diesen Threads sich nicht in irgendwelchen Grundsatzdiskussionen erschöpfen soll, sondern dass wir selbst schauen, wie wir die Bedeutung von Konflikten und deren Auswirkung auf die Charaktere im Spiel am effektivsten einsetzen können.

Ob das ein Regelwerk ist, eine Abkommen oder ein gemeinsames Mantra oder Ritual vor dem Spiel, ist unerheblich.

Wie hat es Henry James ausgedrückt:

"What is character but the determination of incident? What is incident but the illustration of character?"

Ereignisse/Konflikte erzeugen Charaktere. Ereignisse/Konflikte sind aber nur dafür da, um den Charakter herauszustellen.

Ich erschaffe eine Szene, die auf den Charakter einwirken soll, aber der Charakter wirkt selbst darauf ein, wie die Szene ablaufen, wirken soll... Und das ist ja das Seltsame und Abgefahrene an der ganzen Geschichte...

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wjassula

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Re: Wie man narrative Elemente fürs Rollenspiel einsetzen kann
« Antwort #17 am: 21.02.2005 | 17:03 »
Ein schöner Beitrag...vor allem der letzte Absatz gefällt mir. Allerdings verstehe ich jetzt nicht genau, was du erreichen möchtest. Du suchst nach konkreten Möglichkeiten Charakterentwicklung in den Mittelpunkt des Rollenspiels zu rücken. Dabei möchtest du aber vermeiden, dass diese Entwicklung explizit vor oder während des Spiels besprochen wird, und du möchtest auch eher keine Regelmechanismen dafür?

Das kann ich nachvollziehen, aber was möchtest du dann entwickeln? Oder versteh ich dich jetzt ganz falsch?

Offline Jestocost

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Re: Wie man narrative Elemente fürs Rollenspiel einsetzen kann
« Antwort #18 am: 21.02.2005 | 17:11 »
Ich glaube, dass wir gar nicht so sehr Regeln brauchen, sondern eher Verhaltensweisen bzw. Richtlinien, wie man sowas ins Spiel implementieren kann: Vielleicht ist es eine bestimmte offene Einstellung oder halt irgendwas: Im Endeffekt suche ich nach Praktiken, wie man das im Spiel effektiv einsetzt, und wenn wir die definiert haben, können wir schauen, wie man sowas gut implementiert.

Klarer?
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Re: Wie man narrative Elemente fürs Rollenspiel einsetzen kann
« Antwort #19 am: 21.02.2005 | 17:25 »
Ja und nein. Ist das, was du dir wünschst, nicht schon getan, wenn die Spielenden sagen: Wir möchten, dass Charakterentwicklung in unserem Spiel im Vordergrund steht? Halt, nein: Ich formulier es mal positiv, auf die Gefahr hin, etwas Triviales zu sagen.

1. Die Spielenden müssen wollen, dass Charakterentwicklung im Mittelpunkt des Spiels steht.

2. Das muss dann wohl Konsequenzen für alle anderen Spielelemente haben. Von der Charaktererschaffung (wo man "verwertbares Material" für spätere Konflikte festlegt) übers Setting (im Verhältnis zu den Charakteren: Welche Umgebung ist für diese Charaktere am Interessantesten?) bis hin zu outgame-Aspekten wie: Wofür soll die Spielleitung verantwortlich sein.

Aber 2. sind doch Regeln, oder?

Offline Jestocost

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Re: Wie man narrative Elemente fürs Rollenspiel einsetzen kann
« Antwort #20 am: 21.02.2005 | 18:37 »
Ja schon, Jasper, irgendwie. Aber wir verraten das keinem...
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wjassula

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Re: Wie man narrative Elemente fürs Rollenspiel einsetzen kann
« Antwort #21 am: 21.02.2005 | 19:24 »
Ach so.

Ich glaube, ich bin noch zu klein, um Rollenspielautor zu werden.  :-[

Ein

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Re: Wie man narrative Elemente fürs Rollenspiel einsetzen kann
« Antwort #22 am: 21.02.2005 | 19:30 »
Naja, es gibt Regeln und es gibt Designkonsistenz. Das oben ist eigentlich eher letzteres.

wjassula

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Re: Wie man narrative Elemente fürs Rollenspiel einsetzen kann
« Antwort #23 am: 21.02.2005 | 19:44 »
@Ein: Stimmt, und genau das war ja mein Problem. Ich hatte das Gefühl, das Tim über Designkonsistenz reden möchte, ohne über Regeln zu reden. Ich will mich da jetzt gar nicht lange über die Feinunterscheidung zwischen den beiden verbreiten - schliesslich soll es ja um praktische Umsetzung gehen. Mir war aber echt nicht klar, was ich dem Tim jetzt antworten soll. Aber wenn es - pssst! - doch um Regeln geht, irgendwie...


Ein

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Re: Wie man narrative Elemente fürs Rollenspiel einsetzen kann
« Antwort #24 am: 21.02.2005 | 19:47 »
Naja, N ist gleich Prämisse. Wie fördert man eine Prämisse und damit Charakterentwicklung regeltechnisch? Mit fällt da nur XP-Vergabe für Charakterentwicklung ein - aber wenn das richtig betrachtet, ist das keine Regel im technischen Sinn, weil sich Charakterentwicklung qualitativ nur sehr schwer messen lässt.