Ich würde gerne mal über Erkenntnisse diskutieren, die man für das alltägliche Rollenspiel aus dem Lumpley-Prinzip (LP) ziehen kann. Lumpley-Prinzip, was ist das überhaupt? Es gibt eine kurze Definition im Definitionen-Thread, aber zum besseren Verständnis möchte ich das etwas genauer ausführen.
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Benannt nach dem Forge-Nick seines Schöpfers Vincent Baker, Autor von "Dogs in the Vineyard", "Kill Puppies for Satan" und "Otherkind", ist das LP ein Stück Forge-Theorie, das ich für wirklich hervorragend halte.
Das LP befasst sich mit der Frage, wie eigentlich die Spielrealität, genauer die gemeinsame Vorstellung von der Spielrealität ("shared imagined space"), zustande kommt. Es besagt, dass der Inhalt der Spielrealität von allen am Rollenspiel beteiligten Mitspielern verhandelt und durch Einigung festgelegt wird.
Also: Etwas ist nicht da, weil der SL es sagt, sondern weil der SL es sagt
und jeder einzelne Spieler es akzeptiert. Vielleicht hat ein Spieler einen guten Grund, es anzuzweifeln, z.B. weil in einem Setting-Band das Gegenteil steht. Vielleicht haben sich aber die anderen Spieler mit dem SL darauf geeinigt, diesen Setting-Band nicht oder nur als Anregung zu verwenden. Die Aussage des SL, dass X in der Spielrealität existiert oder stattfindet, ist daher ein Vorschlag, der der Annahme durch alle Spieler bedarf, ehe das Spiel fortgesetzt werden kann. Oftmals erfolgt die Annahme natürlich stillschweigend. Ob der Vorschlag angenommen wird oder nicht, hängt von der Glaubwürdigkeit ("credibility") des Vorschlags ab. Glaubwürdigkeit kann von den verschiedensten Dingen herrühren: Regeln und Würfelwürfe, Setting-Informationen, gesunder Menschenverstand, persönliche Sympathie, u.v.a.m.
Ebenso sind die Ansagen der Spieler, was ihre Charaktere tun, als Vorschläge zu begreifen. Dies nicht nur, wenn eine Handlung etwa nach den Regeln von einer Probe abhängt - in diesem Fall besteht eine vorweggenommene Einigung darüber, dass das Ergebnis der Probe Inhalt der Spielrealität werden soll. Aber auch jede andere Ansage eines Spielers bedarf der Zustimmung aller anderen Mitspieler. Ein Spieler kann mit seinem Charakter nicht tun, was er will, sondern nur das, was seine Mitspieler akzeptieren. Daher ist es auch nicht per se illegitim, wenn gegen die Art und Weise, wie ein Charakter gespielt wird, protestiert wird. Das ist alles Teil des Verhandlungsprozesses.
Sp1: "Ich reite zurück in die Stadt."
Sp2: "Och nö, das ist doch kacke, geh uns doch lieber suchen, dann sind wir zusammen und können den Endkampf machen."
Sp1: "Aber ich hab doch gar keinen Grund, euch zu suchen."
SL: "Na ja, du könntest ja einer inneren Stimme folgen. Schau, es ist schon 23 Uhr und ich möchte bald zum Schluss kommen."
Sp1: "Na okay, ich geh sie suchen."
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Die Gesamtheit der Mittel, mit denen dieser Verhandlungsprozess geführt wird, nennt das LP das System ("system"). Eine unglückliche Begriffswahl, wie ich finde, da viele Rollenspieler mit System schlicht die Regeln meinen. Wie wir aber gerade gehört haben, können nicht nur die Regeln, sondern auch viele andere Dinge Glaubwürdigkeit verleihen.
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Zurück zur Ausgangsfrage: Was lernt und das?
Das LP zu verinnerlichen heißt, jedem Setting-Sklaven und Abuse Actor von vornherein den Wind aus den Segeln zu nehmen. Die letzte Instanz, die entscheidet was geht und was nicht, sind WIR - deine Mitspieler. UNS gegenüber musst du begründen, warum wir das was du willst in unsere gemeinsame Vorstellung aufnehmen sollen. Der Verweis auf ein Splatbook oder die Rolle deines Charakters kann als Begründung ausreichen. Muss sie aber nicht.
Das gleiche gilt für tyrannische und inkompetente SLs. Es ist nicht so, weil DU es so sagst, sondern nur, weil WIR dir zustimmen. Vielleicht machen wir es, weil wir dir vertrauen und davon ausgehen, dass du dir etwas vernünftiges dabei gedacht hast. Aber wenn wir das Gefühl bekommen, dass du dir nichts vernünftiges dabei denkst, können wir dir auch ganz einfach das Vertrauen entziehen.
Dann sind da noch die SLs, die wie mit Pattex an ihrem vorbereiteten Plot kleben, oder an ihrem Kaufabenteuer, oder an ihrem Hintergrundband. Denen kann man sagen: Es ist nicht Teil der Spielrealität, bloß weil es da steht. Du kannst es jederzeit ändern und anpassen, bis zu dem Punkt, wo du es den Spielern beschreibst und sie deiner Beschreibung nicht widersprechen (sei es direkt oder, was wahrscheinlicher ist, indirekt durch Nachfragen). Erst danach ist es Teil der Spielrealität und kann nicht mehr so ohne weiteres geändert werden.
Umgekehrt folgt daraus auch, dass z.B. die oft gehörte Beschwerde, Spieler hätten es zu akzeptieren, wenn der SL das vorgegebene Setting ändert, zu hinterfragen ist. Denn der SL hat nicht ohne weiteres das Recht, das vorgegebene Setting zu ändern. Wenn alle Mitspieler das vorgegebene Setting kennen und davon ausgehen, dass es Anwendung findet, dann
ist dieses Setting teil der Spielrealität. Jede Änderung bedarf dann der Zustimmung der Spieler.