Der Lextiusritter verfluchte sich innerlich. Eben diese Situation hatte er seit Tagen in Gedanken immer wieder durchgespielt, aber nie einen Ausweg gefunden. Wie sollte er die Wahrheit aus dem Baron herauskitzeln, wenn er die Einzelheiten selbst nicht kannte? Die Lüge war allerdings so plump, dass Enkidi wissen musste, dass Keitaro sie durchschaut hatte. Von nichts gewusst haben wollen, aber mich hinauszuwerfen, ohne überhaupt nachzufragen, über was ich eigentlich rede! Dass ein Angehöriger seines Hauses keine Bestürzung über die Schändung eines Heiligtums oder wenigstens etwas Interesse zeigte, war für den Li Halan-Ritter schlechthin unvorstellbar.
Was hast du vor, Baron? Enkidi versteckte sich hinter den ungeschriebenen und dennoch eisernen Regeln der Etikette, ging offenbar davon aus, dass Keitaro Folge leisten würde. Wollte er Zeit gewinnen? Aber wozu? Ich sollte es jetzt und hier aus dir herausprügeln! Bei allen Heiligen, ich will die Wahrheit wissen!
Was, wenn der Baron log, Vater Septimus aber die Wahrheit geschrieben hatte? Dann ist Kiritan tot! Und Enkidi wollte den Gegenstand aus dem Heiligtum für sich selbst. Zur Hölle mit Septimus, dem elenden Paranoiker! Hätte er geschrieben, um was es sich handelt, dann könnte ich Enkidi festnageln!
Keitaros Augenbrauen zogen sich bedrohlich zusammen. Die Wut wurde stärker, angeheizt durch die drohende Imponierhaltung seines Gastgebers. Wenn du kämpfen willst, dann komm doch! Seine Hände spannten sich. Der Baron stand nun direkt vor ihm. So einfach, ihm jetzt den Hals zu brechen. Enkidis Erscheinungsbild verriet einen formidablen Krieger, aber...
Er ist nur ein Mensch. Weiches Fleisch! Töte ihn und nimm dir was du willst! Es ist ganz nah...
Keitaro schauderte. Kaori. In seinem Zorn hatte er seinen ewigen Begleiter völlig vergessen.
Auch ich bin "nur" ein Mensch, alter Mann. Lass mich zufrieden!
"Bedauerlich, in der Tat, dass Ihr Euch an ein Gespräch dieser Art mit Vater Septimus nicht erinnern könnt. Ihr seid Euch sicher, dass er Euch nichts etwas mehr... Gegenständliches 'mit auf den Weg gegeben' hat? Möglicherweise hat er Euch auch gar nicht mitgeteilt, worum es sich eigentlich handelt. Um sich und auch Euch zu schützen - schließlich fühlte er den heißen Atem der Heiligen Inquisition im Nacken... und... was Ihr nicht wusstet, konntet Ihr auch niemandem verraten."
Keitaro warf einen kurzen Blick auf die beringte Hand des Barons. Erwartest du, dass ich auch noch deinen Ring küsse? In deinen Träumen, Kleiner!
"Was übrigens auch der Grund sein dürfte, warum gerade ich die lange Reise von Kish bis hierher auf mich nehmen musste. Ich bin wohl der einzige mit dieser... Angelegenheit befasste Kirchenmann, der nicht das Siegel der Inquisition auf der Brust trägt. Wie auch immer... ich bin untröstlich, Eure wertvolle Zeit verschwendet zu haben, Baron."
Er verbeugte sich vor dem Lord, diesmal gerade tief genug, um die Regeln des Decorum nicht zu verletzen.